Schwerpunkt: Warum Menschen ihren Urlaub im Kloster verbringen
„Der liebste Platz auf Erden“
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Karin Bretzinger - „Die Woche dort ist mir wertvoller als alles andere“
Der erste Klosteraufenthalt war für Karin Bretzinger „eher eine Notlösung“, wie sie sagt. „Für einen teuren Familienurlaub mit Kind und Kegel reichte unser Einkommen nicht“, erklärt die heute 59-jährige Wahlberlinerin. Also kam sie 2006 mit ihrem Mann auf die Idee, in dem nahegelegenen Kloster Alexanderdorf nachzufragen, ob sie dort mit ihrer einjährigen Tochter einen Teil der Ferien verbringen könnten. „Kommen Sie einfach her“, sagte die freundliche Stimme der Gastschwester am Telefon, erinnert sich Bretzinger.
Foto: Theresa Bretzinger
19 Jahre ist das her. Bretzingers Tochter Theresa ist inzwischen 20 Jahre alt. Doch der Benediktinerinnenabtei St. Gertrud ist die kleine Familie seither immer treu geblieben. Jeden Sommer verbringen die drei eine Woche im Brandenburgischen. Ihre Zeit dort würden die Bretzingers „gegen keinen anderen Urlaub mehr eintauschen. Auf Gran Canaria, Mallorca, Ibiza, auf all das kann ich verzichten. Nur auf das Kloster nicht. Die eine Woche dort im Jahr ist mir wertvoller als alles andere“, sagt sie.
Das Besondere an einem Klosteraufenthalt sei, dass man dort eigentlich alles hat, was man zur Erholung brauche: „Musik, Natur, Gebet, Gesang und Gemeinschaft.“ Dieser Mix „aus allem, was ich sehr mag“, hilft Bretzinger, sich zu entspannen und Lebensfreude zu tanken. Nirgendwo sonst, sagt sie, könne sie als Mutter so schnell, „von einem Moment auf den anderen abschalten“ wie in den Tagen im Kloster: „Gerade für uns Mütter ist es ja oft schwierig, loszulassen und abzuschalten.“
In Alexanderdorf hilft ihr der regelmäßige Rhythmus der Gebets- und Mahlzeiten dabei. Auch wurde ihre Tochter dort bereits als kleines Mädchen stets gut umsorgt: „Die meisten Klöster haben Spielzimmer und Spielplätze.“ Vor allem in Frauenklöstern seien Kinder sehr willkommen. Aber auch „die Mönche kümmern sich oft rührend um Kinder“, weiß Bretzinger, die einmal mit Mann und Tochter im österreichischen Zisterzienserstift Heiligenkreuz gastierte.
Außerdem mögen wir es, „als Familie nicht ganz auf uns selbst zurückgeworfen zu sein“, sagt die Katholikin. Im Kloster sei ihre Tochter Theresa immer rasch auf andere Kinder zum Mitspielen gestoßen, sei es in der Nachbarschaft oder unter den Klostergästen. Und die Erwachsenen lernten bald andere Erwachsene, auch Familieneltern kennen. Zudem könne man im Kloster täglich neu entscheiden, ob man viel Kontakt und Begegnung zulassen oder doch lieber die Abgeschiedenheit und Stille suchen möchte. Beides sei gut möglich: „Konzentration oder Zerstreuung“. In Alexanderdorf tickten die Uhren einfach anders, „es ist eine komplett andere Welt“, sagt Bretzinger.
„Das Kloster ist meine Tankstelle“
Allerdings hat sie anfänglich eine Weile gebraucht, um sich „an die Ruhe und Reizarmut im Kloster zu gewöhnen. Heute brauche ich die Stille und suche danach.“ Außerdem treffe man im Kloster gelegentlich auf andere Gäste, die eine ähnliche Sehnsucht nach Spiritualität hätten. „Lebenslange Kontakte und Freundschaften können so entstehen“, sagt Bretzinger. Sie ist überzeugt, dass sie durch die Einkehrzeiten auch die Kraft erfahren habe, sich wieder stärker ehrenamtlich zu engagieren. Etwa in der Obdachlosenhilfe. „Das Kloster ist meine Tankstelle“, sagt sie.
Wilhelm Breitenbürger - „Ich erlebe dort oft eine spirituelle Weite“
Eigentlich war es nur ein Tagesausflug, der Wilhelm Breitenbürger einst auf den Geschmack brachte. Vor gut 20 Jahren hat der heute 76-jährige, noch immer praktizierende Hausarzt das Kloster Damme besucht, in dem er spontan übernachtet hat. „Das hat mich inspiriert, so etwas häufiger zu tun“, sagt er. Im Kloster Meschede belegte er alsbald einen mehrtägigen Workshop „Klang und Stille“. Auch dieser Workshop hallte nach. „Und so habe ich mich mit einem Freund zusammengetan und in den vergangenen 15 Jahren zwölf verschiedene Klöster besucht.“ Jedes Jahr jeweils eine Woche. „Das ist für uns ein festes Ritual geworden“, sagt der evangelische Christ.
„Die Ordensleute sind Vorbilder für mich“
Breitenbürgers Freund ist Psychotherapeut. Morgens, mittags und abends besuchen die beiden gerne das Stundengebet. „Zwischendrin sind wir auch unterwegs, gehen spazieren, fahren Fahrrad, schauen uns die Umgebung an.“ Besonders angetan hat es Breitenbürger der Geist in einem Kloster: „Das ist etwas komplett anderes, als wenn man nach Juist, Borkum oder Spanien in den Urlaub fährt.“ Da sei man meist mit äußerlichen Dingen beschäftigt: „Welche Sehenswürdigkeit besuche ich heute? Wo gehe ich an den Strand? Wo gehe ich abends essen?“ Im Kloster dagegen sei man auf das Wesentliche konzentriert.
Foto: privat
Zudem habe man im Kloster alles, was man zum Leben braucht. „Mehrere Fliegen mit einer Klappe. Du hast Erholung. Du hast meist eine schöne Landschaft um dich herum. Du hast die alten, innen aber oft modern eingerichteten Gemäuer“, sagt Breitenbürger. „Du hast Vollpension und brauchst dich um nichts zu kümmern. Und du hast deinen eigenen Raum, in den du dich zurückziehen kannst. Aber du hast auch Gemeinschaft. Außerdem hast du einen spirituellen Rahmen, sodass du rasch zu geistigen Fragen vorstoßen kannst, zu den Grundlagen des Lebens.“
Der Kreuzberger Arzt ist ein spiritueller Mensch. Seine Heimat sei das Geistliche, sagt er: „Darauf lenke ich gerne die Gespräche.“ Auch mit seinen Patienten. „Die Lösung liegt fast immer im geistlichen Bereich“, ist Breitenbürger überzeugt. Für den Menschen sei es wichtig, „in den Kontakt mit dem Urgrund, der Quelle, mit dem Ganzen zu kommen und daraus zu leben“.
Deswegen sind ihm die Klosteraufenthalte so wichtig. Im Kloster ergeben sich „auch mal gute, anregende Einzelgespräche mit den Mönchen“. In einem weltlichen Urlaub dagegen sei man oft „sehr abgelenkt“, sagt Breitenbürger, der zuletzt mit seiner Frau in Galizien war.
Dauerhaft im Kloster leben möchte er allerdings nicht. „Da würde ich meine Freiheit vermissen“, sagt Breitenbürger. Gleichwohl habe das Klosterleben inzwischen auf seinen Berliner Alltag abgefärbt. Er meditiert täglich eine Viertelstunde, und jeden Sonntag geht er in die Kirche. Auch seine Gespräche mit Nachbarn und Freunden seien tiefer geworden, sagt Breitenbürger: „Die Ordensleute sind schon Vorbilder für mich. Ich erlebe dort oft eine spirituelle Weite, die ich von weltlichen Priestern so nicht kenne.“
Wigbert Siller - „Die Gespräche sind oft wesentlich tiefer“
Wigbert Siller, heute Ruheständler, einst Amtsleiter, war 1995 das erste Mal in einem Kloster zu Gast. „Ich hatte damals beruflich viel um die Ohren, auch familiär war es recht anspruchsvoll“, sagt er. In Berlin hatte Siller bereits die christliche Kontemplation kennen und schätzen gelernt, als „Gegengewicht für einen stressigen Alltag“, wie er sagt. Doch die Meditationen, angeleitet von einem Dominikaner, fanden nur einmal im Monat statt. Siller aber wollte „mal so richtig zur Ruhe kommen, ohne immer neuen Input von außen“. Er suchte einen Ausgleich zu seiner Arbeit und seiner Freizeit als Vater von zwei Kindern. In einem Verzeichnis der Ordenshäuser stieß er auf das Angebot „zum Mitleben“ eines Kapuzinerklosters in der Schweiz.
Foto: Andreas Kaiser
In Altdorf im Kanton Uri angekommen, war Siller sofort begeistert von der traumhaften Lage. „Ringsherum hohe Berge, eine fantastische Aussicht, der nahe gelegene Vierwaldstättersee“, erinnert sich der heute 69-jährige Berliner. 14 Jahre fuhr er immer wieder hin. Mindestens einmal im Jahr für eine Woche. „Das war für mich außer zu Hause immer der liebste Platz auf Erden“, sagt er. Das Besondere: Anders als in anderen klösterlichen Gästehäusern, etwa bei den Benediktinern oder Zisterziensern, sind die Gäste bei den Kapuzinern und Franziskanern mittendrin statt nur dabei. Sie leben Tür an Tür mit den Ordensleuten in der Klausur zusammen und teilen sich alles: das Chorgestühl beim Stundengebet, die Mahlzeiten, die Arbeit im Haus und im Garten, die Waschräume.
2009 wurde das Kloster in Uri aufgelöst. Grund: Der Orden hat bis heute große Nachwuchssorgen. Von den ehemals 30 Klöstern wurden inzwischen mehr als 20 Häuser geschlossen. Den Niedergang dieser mehr als tausendjährigen Kultur mitanzusehen, war für Siller „sehr schmerzhaft“. Doch von seiner neuen Vorliebe wollte er deswegen nicht lassen. „Die Gespräche mit den anderen Gästen sind oft wesentlich tiefer als die Gespräche, die man sonst so im Alltag oder Urlaub führt“, sagt er. Zudem passiere in den Einkehrzeiten immer so etwas wie innere Entwicklung: „Ich habe im Kloster oft neue Impulse bekommen, sogar manche Ideen für meine Arbeit fand ich dort. Und ich tanke Kraft für den Alltag.“ Noch immer zieht Siller sich daher ein, zweimal pro Jahr für eine kurze Auszeit in verschiedene deutschsprachige Klöster zurück.
„Man wird stark eingebunden“
Bei seinen Reisen als Einzelgast hat er bereits die unterschiedlichsten Ordenshäuser kennengelernt. Etwa die Benediktinerklöster in Nütschau und Huysburg, den Hülfensberg der Franziskaner, die Abtei Sankt Gertrud der Benediktinerinnen von Alexanderdorf, das Zisterzienserinnenkloster Marienstern in der Oberlausitz, die Trappistenabtei Marienwald in der Eifel. „Das alles waren für mich prägende Orte“, sagt der ehemalige Beamte. Trotz der zum Teil sehr unterschiedlichen Spiritualität der einzelnen Gemeinschaften.
„Bei den Klöstern in der Familie der Franziskaner wird man stark eingebunden in das Klosterleben“, sagt Siller. Bei den Benediktinern wird man in Gästehäusern untergebracht, kann aber geistliche Begleitung in Anspruch nehmen. Um die großen Häuser wie in Münsterschwarzach oder Andechs macht Siller einen Bogen: „Ich suche eher die Stille und keine überlaufenen Ausflugsziele.“ Auch in seinen weltlichen Urlauben mit seiner Frau, etwa nach Kroatien oder an die Ostsee, meidet er große Hotels sowie Pauschalreisen.
Doch auch das Ordensleben erlebt Siller mitunter ambivalent. „Das vom Klang der Kirchenglocken und dem Stundengebet geprägte Leben“ sei so etwas wie ein Geländer, an dem man sich in der Stille auch mal festhalten könne, sagt er. Doch wenn er länger bliebe, vermutet er, „käme mir der strenge, immergleiche und streng regulierte Tagesablauf wahrscheinlich bald vor wie ein Gefängnis“. Dauerhaft für sich vorstellen kann er sich ein Klosterleben deshalb nicht.
Bruder Johannes Küpper - „Manchmal entstehen daraus Freundschaften“
Bei seinem Zivildienst in den 1980er Jahren hat Johannes Küpper eine Entdeckung gemacht. „Wenn ich anderen helfe, bin ich selber glücklich“, sagt der heute 62-jährige Franziskaner. Zudem habe er damals das Buch „Bruder Feuer“ von Luise Rinser gelesen: „Da habe ich dann selbst Feuer für den Heiligen Franziskus gefangen.“ 1986 trat er als Bruder Johannes in den Orden ein.
Foto: Rosi Jörig
Seit 2005 gibt er Menschen geistliche Begleitung. Dabei hat er eine spannende Beobachtung gemacht. „Im Prinzip lassen sich die Klostergäste in drei größere Gruppen unterteilen. Da sind zum einen die spirituell Suchenden. Dann gibt es Menschen, die aus einer aktuellen Krise, oft Beziehungskrisen, kommen und nun Neuorientierung suchen. Eine dritte große Gruppe besteht aus Menschen, die sonst vorwiegend allein durch ihr Leben gehen und sich zur Abwechslung etwas mehr Gemeinschaft wünschen.“
Auch seien unter den Klostergästen „viele Randgänger, also Menschen, die noch irgendwie mit dem Christlichen verbunden sind, aber mit der Kirche mitunter ihre Schwierigkeiten haben“, sagt Bruder Johannes. Der Ordensmann, der heute in einem Haus seiner Gemeinschaft in Berlin-Pankow lebt, hat zuvor in vier verschiedenen Franziskanerklöstern gearbeitet, unter anderem auf dem Hülfensberg in Thüringen. Zudem war er einst selbst eine ganze Weile woanders zu Gast. Für ein Sabbatjahr hat er im Haus Gries von Jesuitenpater Franz Jalics mitgelebt und sich dort in der christlichen Kontemplation unterweisen lassen. Später hat Bruder Johannes noch eine Ausbildung als Krankenhausseelsorger absolviert.
„Das Ganze ist ein Geben und Nehmen“
Seit gut zwanzig Jahren bietet er selbst Kontemplationskurse, Pilgerwanderungen und Exerzitien an. Aus diesen Tätigkeiten konnte er immer auch eine Menge für sich selbst mitnehmen. „Es ist für mich jedes Mal spannend, Menschen aus den verschiedensten Lebenszusammenhängen kennenzulernen und mich auf eine andere Sicht- und Lebensweise einzulassen“, sagt der Ordensmann. „Mein Lebensentwurf ist ja nur einer von vielen.“ Darüber hinaus seien die meisten Gäste „eine Bereicherung für uns Brüder. Das Ganze ist ein Geben und Nehmen“, sagt er. Die Franziskaner bemühten sich, ihren Besuchern zu signalisieren, dass sie im Kloster nichts mitmachen müssen, sondern aus den Angeboten frei wählen können. „Sie sollen das wahrnehmen, was ihnen guttut.“
Doch den meisten Klostergästen scheint gar nicht nach der großen Freiheit zumute zu sein: „Die sind fast immer dankbar für den strukturierten Tag mit dem festen Ablauf und der Möglichkeit zum Gebet bei uns. Außerdem tut die Gemeinschaft vielen Menschen gut.“ Oft seien sich die Gäste auch untereinander eine Stütze: „Sie erzählen sich ihre Geschichten und profitieren von den Erfahrungen anderer. Manchmal entstehen daraus Freundschaften.“
Und nicht zuletzt lägen etliche Klöster in landschaftlich reizvollen Umgebungen. Auch das gebe vielen Menschen neue Kraft, sagt Bruder Johannes: „Die Natur hat etwas Heilendes. Nietzsche hat mal gesagt, das sei so, weil die Natur den Menschen so lässt, wie er ist.“ Genau das sei auch die Kunst einer guten geistlichen Begleitung, sagt Bruder Johannes: „die Menschen in ihrer Verschiedenheit so anzunehmen, wie sie sind. Und sie nicht verbiegen zu wollen. Ich denke, das ist auch eine franziskanische Stärke.“