Interview mit dem neuen Bischof
"Schon fast zu Hause"
Foto: Patrick Kleibold
Herr Bischof, waren Sie vor Ihrem Auftritt zur Bekanntgabe schon einmal in Stadt und Bistum Osnabrück?
Ich war schon einmal da zu einer Feier von Bischof Bode. Aber sonst ist Osnabrück für mich unbekannt. Ich wurde aber sehr positiv aufgenommen. Als ich am Nachmittag nach der Bekanntgabe durch die Straßen ging, haben Menschen das registriert: ‚Da ist der Neue‘. Es war sehr herzlich. Als ich abends im Bischofshaus endlich zu Bett gehen konnte, fühlte ich mich schon fast zu Hause.
Bei Ihrer Vorstellung haben Sie die Ostfriesischen Inseln erwähnt, die zum Bistum gehören. Wie lange brauchen Sie, um diesen Teil Ihres neuen Bistums zu besuchen?
Nicht lange, hoffe ich. Am 8. September wird die Einführung ins Amt sein. Danach möchte ich beginnen, die eher entlegenen Dekanate kennenzulernen. Oft beginnt vieles am Bischofssitz. Ich möchte dagegen weit entfernt anfangen. Deswegen könnte es sein, dass die Inseln zu den ersten Stationen gehören.
Das Domkapitel hat Sie gewählt. Danach hat Weihbischof Wübbe Ihnen per Telefon die Botschaft übermittelt. Nach zwei durchwachten Nächten und einem Besuch von Wübbe und Domkapitular Wieh haben Sie „Ja“ sagen können. Wie haben die beiden Sie überzeugt?
Wenn die Nachricht kommt, ist man zunächst einmal sprachlos. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Kann ich mich noch einmal für zehn Jahre auf etwas ganz Neues einlassen? Wenn mir etwas zugetraut wird und ich spüre, da sind andere, die tragen mich mit, kann ich gut Ja sagen. Das Gespräch hat mir dabei geholfen. Es ging über zwei Stunden, war sehr ehrlich und hat auch die Probleme und großen Themen aufgegriffen, die ja überall dran sind – von der Missbrauchsaufarbeitung über Finanzfragen bis zu den Menschen, die uns den Rücken kehren.
Was hätte denn gegen die Entscheidung für Osnabrück sprechen können?
"Mein Leben verändert sich wieder einmal"
Das Alter. Dann die Frage, ob ich die Kompetenz habe, mich auf ein unbekanntes Bistum einzulassen. Mein Leben verändert sich wieder einmal. Ich bin Mönch und sehr bewusst nicht in eine Diözese gegangen, sondern ins Kloster. Erst seit ich 2015 Weihbischof wurde, habe ich mehr mit der Arbeit für eine Diözese zu tun. Da treffen Welten aufeinander. Deshalb brauche ich Orte wie meine Terrasse, wo ich abends sitze und mal einfach nichts mache. Einfach Ruhe.
Im Kloster lebt man eher bescheiden, auf wenigen Quadratmetern und in Gemeinschaft. Haben Sie überhaupt genügend Möbel für die Bischofswohnung?
In Paderborn lebe ich allein in einer kleinen Wohnung mit wenigen Möbeln. Deswegen war ich etwas erschrocken, als ich das Bischofshaus betrat. Allein dieses Treppenhaus, diese großen Räume, dieser Park dahinter. Wie ich im Bischofshaus leben werde, wird sich zeigen. Aber es ist ja zugleich ein Arbeitsort, nicht nur für mich.
Sie sind bewusst Mönch geworden, nicht Diözesanpriester. Warum?
Ich habe ja erst einmal eine Ausbildung als Justizsekretär gemacht, hatte aber immer eine Freude an der Liturgie, am Engagement in der Pfarrei etwa als Messdiener und Küster. Nach der Ausbildung war schnell deutlich: Ich will doch Priester werden, aber eher in Gemeinschaft. Ich spürte, die Liturgie in einer solchen Gemeinschaft hat noch eine andere, stärkere Kraft, als wenn ich nur alleine bin. Wichtig sind mir auch die ruhigen Zeiten, die den Tagesablauf unterbrechen. Dass man sich im Kloster immer wieder im Gebet bei Gott verortet. Man macht einen Schnitt am Tag, bringt das, was man bis dahin erlebt hat, ins Gebet und bittet um den Segen für das Kommende. Dann kann man wieder anders durchstarten.
Wie bleibt ein Bischof auch Privatmensch? Haben Sie Freunde und Familie, bei denen Sie Zuflucht und Rat suchen können?
Natürlich, das braucht jeder, vor allem bei solchen Aufgaben. Das habe ich schon als Abt gemerkt. Ich habe gute Freunde, die nicht direkt vor Ort sind. Das ist etwa ein Ehepaar, das ich aus der Studienzeit in Salzburg kenne. Ich habe sehr gute Kontakte auf einer nordfriesischen Insel. Das ist jemand außerhalb kirchlicher Bezüge. Wenn ich dort Urlaub mache, frühstücken wir gemeinsam. Dann macht jeder am Tag was Eigenes. Das Schönste ist dann, abends gemeinsam zu kochen. Oder es wird ein Korb gepackt und man setzt sich noch in den Strandkorb.
Bei Ihrer Vorstellung haben Sie drei Prinzipien hervorgehoben, die Ihnen wichtig sind: die Zeichen der Zeit erkennen, aus der Kraft des Evangeliums zu handeln und an der Einheit der Kirche mitzuwirken. Was meinen Sie damit?
Ich habe diese Prinzipien in den Kontext von vier Worten aus der Regel des heiligen Benedikt gesetzt. Da ist immer wieder dieses Wahrnehmen: Was bewegt die Menschen? Was geschieht in der Gesellschaft? Wir sind Kirche in dieser Gesellschaft. Das Evangelium hat eine solche Aktualität. Wenn ich nur die Fragen um das christliche Menschenbild sehe. Oder all das, was am rechten Rand gerade immer kräftiger wird. Ich habe mich am Nachmittag der Bekanntgabe auch mit den Laien aus dem Auswahlgremium für die Bischofswahl getroffen. Da habe ich zugehört, was sie bewogen hat, bestimmte Kriterien für einen neuen Bischof aufzuschreiben.
Was heißt für Sie, aus der Kraft des Evangeliums zu handeln?
"Es ist so notwendig, solche karitativen Dinge zu tun"
Wir leben mit einer immer größer werdenden Armut, die immer sichtbarer wird. Hier in Paderborn gibt es zum Beispiel das „Gasthaus für Bedürftige“. Das Domkapitel und andere Sponsoren haben eine alte Gaststätte umgebaut. Jetzt kommen jeden Tag über 250 bedürftige Menschen zum Essen. Es ist so notwendig, solche karitativen Dinge zu tun. Das Evangelium Jesu Christi hat auch heute eine Botschaft.
Der dritte Punkt war, an der Einheit der Kirche mitzuwirken. Spielen Sie da auf die Lage zwischen Deutschland und dem Vatikan an?
Mein Wahlspruch lautet: „Wir werden durch Christus zusammengeführt.“ Ich bin Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die katholischen Ostkirchen. Es gibt neben der lateinischen noch 23 andere katholische Kirchen, die zu uns gehören. Oder: Ich habe beim Katholikentag die Chance genutzt, mich bei der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche vorzustellen. Wir müssen viel mehr miteinander sprechen. Dann können wir Barrieren abbauen. Das gilt auch im Blick auf Vorstellungen, die man von außen vom Synodalen Weg hat. Etwa in Rom. Wenn man über die Inhalte spricht, bewegt sich auch ein bisschen was, wie man gemerkt hat. Etwa bei der Segnung von Homosexuellen.
Aber der Veränderungsdruck ist gigantisch und das Reden miteinander kostet viel Zeit.
Das ist mir bewusst. Aber es hilft nicht, jetzt nur in die eine Richtung zu springen. Dann kommt der Druck von der anderen Seite. Mich fordern jetzt Leute auf, alles so weiterzumachen, wie Bischof Bode es eingeleitet hat. Andere sagen, jetzt müssen Sie das endlich ändern. Auch das muss man wahrnehmen. Es gibt nicht die eine Linie, auch nicht im Bistum Osnabrück. Die örtlichen Voraussetzungen sind auch unterschiedlich. Was in Bremen geht, muss nicht in Osnabrück oder in Lingen funktionieren. Deswegen sind mir die Besuche vor Ort ganz wichtig, die ich möglichst schnell anfangen werde.
Es gibt weniger Gläubige und Priester, weniger Geld. Was ist Ihr Zukunftsbild der Kirche?
Wir werden mehr über gewohnte Tellerränder schauen. Im Sauerland, wo ich geboren bin, wurde früher der Begriff des Kirchspiels genutzt. Mehrere Gemeinden schließen sich zusammen und gestalten Kirche quasi spielerisch: Was kann ich in das Gemeinsame geben? Was kannst du hineingeben? Wo ist der Ort, wo verlässlich Eucharistie gefeiert und Sakramente gespendet werden, wo gibt es besondere Angebote für Kinder und Familien? Engagiertes Christentum schaut nicht immer nur auf den eigenen Kirchturm.
Manche Menschen haben Angst, dass bei Ihnen die Kirche den Schlüssel umdreht. Werden wir weiße Flecken auf der kirchlichen Landkarte haben?
Die gibt es doch jetzt schon. Wir können auch die vielen Immobilien auf Dauer nicht mehr halten. Kirche ist und bleibt aber vielfältig präsent, wenn ich nur an die Schulen oder karitativen Einrichtungen, an so viele Formen kirchlichen Engagements denke. Kirche reduziert sich nicht nur auf die Liturgie des Hochamts.
Was meinen Sie damit?
Es stimmt, dass die Eucharistie Quelle und Höhepunkt, die Mitte von allem ist. Dadurch sind aber alle anderen gottesdienstlichen Formen in den Hintergrund gerückt. Das Stundengebet, Betrachtungen, Andachten. Für die Eucharistie brauche ich zurzeit den Priester. Alle anderen Formen der Wort-Gottes-Verkündigung können aber andere engagierte Menschen übernehmen. Unsere Angst, dass alles noch schlimmer wird, hemmt uns oft, Neues zu versuchen. Das hat Bischof Bode gemacht, etwa mit der Taufbeauftragung von Frauen und Männern ohne Priesterweihe.
Sie haben bei der Vorstellung die Tradition des Benediktiner-Ordens der gemeinsamen Entscheidungsfindung betont. Was heißt das?
"Man redet miteinander darüber und wägt gemeinsam ab"
Ich kenne das aus meiner Zeit als Abt: Ich habe ein Thema und bringe es in die Gemeinschaft. Man redet miteinander darüber und wägt gemeinsam ab. Viele Dinge brauchen ein bestimmtes Quorum. Wenn nicht zwei Drittel der Gemeinschaft zustimmen, ist das Thema erledigt. Da musste man als Abt immer früher schauen, in welche Richtung die Diskussion lief. Dann kann man einen Antrag auch erstmal wieder zurücknehmen. Das ist dieses Wahrnehmen. Das gibt eine Gesprächskultur, die ich weiterführen möchte. Auch in der Regel des heiligen Benedikt kommt irgendwann der Satz, dass der Abt entscheidet. Aber erst einmal sagt Benedikt, man soll alle und sogar insbesondere die Jüngeren hören. Irgendwann muss natürlich entschieden werden.
Im Bistum Osnabrück stehen Entscheidungen für einen Sparkurs bevor. Werden Sie sich schon in diese Diskussion einbringen?
Ich bin da noch nicht im Thema. Aber allen Bistümern geht es so. In Paderborn haben wir einen Immobilienprozess, bei dem alle Gemeinden 30 Prozent einsparen müssen. In Osnabrück gab es eine erste Stufe der Konsolidierung. Wie es aussieht, kommt noch eine zweite Stufe, bevor ich komme. Das sind die Realitäten. Wir müssen hinschauen, wo wir Akzente setzen wollen und was wir künftig weglassen. Hier braucht es die Kompetenz des Steuerrates und von Finanzleuten, auch von außen.
Ein wichtiges Thema ist der Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs. Für den Herbst erwarten wir den zweiten Teil des Missbrauchsgutachtens. Haben Sie den ersten Teil schon lesen können?
Das sind ca. 600 Seiten, wie man mir sagte. Dafür reichte die kurze Zeit nicht. Aber das Thema hat Priorität. Ich werde wahrscheinlich in den nächsten Tagen schon mit dem Ombudsmann für Betroffene (Simon Kampe, Anm. d. Red.) sprechen. Grundsätzlich muss offen benannt werden, was war.
Sie möchten auf Menschen zugehen, die enttäuscht sind von der Kirche, die sich abgewandt haben. Haben Sie da schon eine Idee, wie das gehen kann?
Ich kann erst einmal nur einladen. Ich bitte die Menschen, mir zu schreiben und sich zu melden. Es ist mir wichtig zu signalisieren, dass ich ins Gespräch kommen will. Wie das konkret aussehen kann, muss sich noch zeigen.
Zur Person
Bischof Dominicus Meier wurde 1959 in Finnentrop-Heggen im Sauerland geboren. 1982 trat er in die Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede ein. In Würzburg und Münster studierte er Theologie, in Salzburg erwarb er den Doktortitel. 1997 erfolgte ein Abschluss in Kirchenrecht, 1999 die Habilitation. 2000 wurde er Professor für Kirchenrecht in Vallendar, 2001 wählten ihn seine Mitbrüder zum Abt von Königsmünster. 2013 übernahm er die Leitung des Paderborner Kirchengerichts, seit 2015 ist er Weihbischof.