Das Recht, sein Leben selbst zu gestalten
Foto: Matthias Schatz
Neustadt (atz). Als es vergangene Woche in der Katholischen Akademie um das Thema „soziale Gerechtigkeit“ ging, kamen sie natürlich auch zur Sprache: Die geplanten Mittelkürzungen bei den Jobcentern. Sie sehen die Streichung von 800 Arbeitsgelegenheiten vor. Das würde dazu führen, dass die beiden Sozialkaufhäuser von In Via, einem Fachverband der Caritas, schließen müssen (siehe Neue Kirchenzeitung vom 17. September, Seite 11).
„Ich habe den Eindruck, da tut sich noch was“, sagte Hamburgs Wirtschaftssenatorin und SPD-Co-Vorsitzende Melanie Leonhard. Es gehe dabei aber auch darum, dass die betroffenen Menschen nicht ewig in der Förderung blieben und eine richtig bezahlte Arbeitsstelle fänden, ergänzte die frühere Sozialsenatorin des Stadtstaates. Und überdies gehe es auch um Einkaufsmöglichkeiten für Menschen mit wenig Geld. Die Entscheidung fällt freilich in Berlin, und dort maßgebend im Finanzministerium.
Es wäre interssant gewesen zu hören, was Heike Göbel, verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dazu meint. Sie war zu der Diskussionsrunde als Vertrerin einer eher liberalen Haltung eingeladen, musste aber krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Dies war umso bedauerlicher, als erst am 14. September ein Artikel in der FAZ erschienen war, in dem Dietrich Creutzburg mit Bezug auf Daten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft vorrechnete, dass eine vierköpfige Familie mehr Geld zur Verfügung hat, wenn sie Bürgergeld bezieht, anstatt für den Mindestlohn zu arbeiten. Dabei wurde davon ausgegangen, dass nur der Vater arbeitet.
Gegen derartige Vergleiche wendete sich Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, besonders scharf. „Dabei wird nicht gesprochen über die Situation alleinerziehender Mütter“, beklagte sie. „Solche eine Geschichte ist für die FAZ und die Bild-Zeitung auch nicht so schön und komplizierter.“
Auch Migranten brauchen eine Chance
Zudem würde auch nichts erzählt über die Leute, die keine Steuern zahlen wollten, empörte sich Bentele. Auch die Kindergrundsicherung sei ein Thema der sozialen Gerechtigkeit. Bentele kritiserte in diesem Zusammenhang, dass etwa durch Freibeträge wohlhabendere Familien mehr unterstützt würden als einkommensschwächere.
„Soziale Gerechtigkeit bedeutet, in der Lage zu sein, sein Leben selbst gestalten zu können“, stellte Melanie Leonhard grundsätzlich fest. Dazu gehöre auch Freiheit. Das war das Stichwort für den Sozialaktivisten Ali Can, Spross einer kurdisch-alevitischen Familie, die aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet war. Can setzt sich seit Jahren für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Nationalitäten ein und ist Vorstandsvorsitzender des „VielRespektZentrums“ in Essen. „Deutschland liegt bei der Willkommenskultur noch weit hinten“, sagte Can. Das sei auch eine Ursache für den Fachkräftemangel. Die Migranten wollten eben auch auf dem Arbeitsmarkt und in der Ausbildung gleiche Chancen bekommen. „Vielen fällt es schwer, Abschied zu nehmen von der weißen Dominanz.“
„Man muss über den Charity-Gedanken hinausgehen zu echter Teilhabe“, kostatierte auch Leonhard. „Dazu haben wir in Deutschland mehr Möglichkeiten, als wir denken. Die jungen Leute haben dazu heute auch viel bessere Chancen als meine Generation“, ergänzte die 1977 geborene Senatorin.