Klösterreise – Von den Orden lernen

„Die Armen sind unsere Herren“

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„Klösterreise – Von den Orden lernen“: Die Jahresserie der Kirchenzeitung führt in Klöster. Heute sind wir bei Schwester Brunhilde Wehner von den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Fulda. Dessen Wort „Liebe sei Tat“ begeistert die Ordensfrau seit der Jugend. Von Hans-Joachim Stoehr



„Hungrigen zu essen geben.“ Dieses Werk der Barmherzigkeit wollen die Barmherzigen Schwestern in die Tat umsetzen – mit Respekt gegenüber den Armen.


„In meiner Kindheit gab es in fast jeder Pfarrei in unserer Umgebung ein Schwes-ternhaus der Vinzentinerinnen“, erinnert sich Schwester Brunhilde Wehner. Sie stammt aus Melperts, das zur Pfarrei Wüstensachsen in der Rhön gehört. Der soziale Einsatz der Schwestern im Kindergarten oder in der Krankenpflege hat sie als Mädchen beeindruckt. „Sie waren auch streng, aber das gehörte damals dazu“, fügt sie hinzu. Ihre Gedanken, bei den Vinzentinerinnen einzutreten, hat sie ihren Eltern aber erst später mitgeteilt. „Die waren überrascht“, erinnert sich die 84-Jährige. Mit 20 ist sie dann ins Fuldaer Mutterhaus eingetreten.

Tragen-Können durch das Getragen-Sein von Gott

Der Eintritt war eine Umstellung. „Das Mutterhaus ist eine Gemeinschaft von Schwestern. Aber es ist etwas anderes als eine Familie. Es ist auch etwas anderes, als einen Freund zu finden als Mädchen“, hat sie damals erfahren. Im Vordergrund stand die Einführung ins Ordensleben, das Gebet, die Lebensordnung der Barmherzigen Schwestern.
Für die Ordensfrau ist wichtig geworden, als Erstes im Glaubensleben zu wachsen, sich im Glauben zu vertiefen. Und erst dann kommt die Arbeit, der Dienst. Aber auch da sollte der Glaube immer mit einfließen und die Menschen tragen. Das hat sie auch immer wieder in ihrem Leben erfahren. „Ich hätte manches nicht so tragen können, wenn ich nicht so getragen gewesen wäre von Gott“, betont sie.
Nach dem Noviziat ging es  für  die  Ordensfrau in die Krankenpflegeschule und in die Elisabeth-Klinik der Vinzentinerinnen in Marburg. Neben Vinzenz von Paul und Louise von Marillac (mit Vinzenz Gründerin der Schwestern), hat die heilige Elisabeth Schwester Brunhilde begleitet.
Schwester Brunhilde verweist darauf, dass Louise von Marillac viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt hat. Denn in der Krankenpflege gibt es vieles zu beachten, um dem Kranken zu helfen und ihm nicht zu schaden. Das weiß die Ordensfrau aus den langen Jahren, die sie selbst in der Krankenpflege tätig war.
In jungen Jahren war die Krankenpflege aber zunächst Neuland für sie: „Bei uns in der Familie waren Gott sei Dank alle gesund. Deshalb musste ich erst einmal lernen, mit Kranken umzugehen“, erklärt die Ordensfrau. Und dies vor allem im Geiste ihres Ordensvaters Vinzenz. Das bedeutete: einfühlsam, mit Respekt. „Vinzenz hat einmal gesagt: ,Die Armen sind unsere Herren!‘ Und: ,Im Kranken und jedem Menschen soll das Antlitz Jesu widerscheinen.‘ Das ist unsere Grundhaltung, in der wir den Dienst am Nächsten ausüben.“ Schwester Brunhilde verweist auf das Jesuswort im Matthäus-Evangelium: „Alles, was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan“ (25,40). Aber für die Ordensfrau geht es nicht nur um die Geringsten und Bedürftigsten, sondern um alle Menschen.
Sicher: Vinzenz hat die Ärmsten auf den Straßen in Paris gesammelt oder aufgesucht. „Wir haben das ausgeweitet. Unser Dienst gilt nicht nur den Ärmsten, sondern allen“, erklärt Schwester Brunhilde. Entscheidend sei die Haltung, mit der sie dem Nächsten begegnet – nämlich immer mit Hochachtung und Respekt. Deshalb sei es für sie selbstverständlich, einem Bettler auf der Straße etwas zu geben.
Vinzenz machte selbst eine Bekehrung durch: Ursprünglich wurde er Priester, um selbst versorgt zu sein, beziehungsweise um seine Familie zu unterstützen. Als er dann als Sklave verkauft wurde, machte er eine Bekehrung durch. Er spürte, dass er dazu gerufen ist, für die Armen da zu sein.
Für diesen Dienst setzte Vinzenz seine Talente ein. „Er konnte toll organisieren, heute würde man sagen managen. Jemand nannte ihn einmal ein ,Genie der Nächstenliebe‘“, erzählt Schwes-ter Brunhilde. Um helfen zu können, brauchte er Geld. Um das zu bekommen, ging er zu denen, die Geld hatten: den Reichen, den Fürsten. „Das Geld gab er alles weiter an die Armen. Er selbst lebte sehr bescheiden und einfach.“
Hinter dem eigenen Anspruch, wie sie handeln sollen, bleiben die Schwestern immer wieder zurück. Sie sind ja auch nur Menschen. „Aber wenn ich einen Fehler mache, dann gilt es, sich zu besinnen und zunächst um Entschuldigung zu bitten. Oder zumindest den ersten Schritt auf den andern zu zu machen“, betont die Ordensfrau. Bei allem Handeln gelte: „Der Ton macht die Musik.“  
Schwester Brunhilde nennt das Beispiel des barmherzigen Samariters im Lukas-Evangelium (Kapitel 10). Darin stellt ein Gesetzeslehrer an Jesus die Frage: „Wer ist mein Nächster?“ Die Antwort Jesu ist das Beispiel des Samariters. „Er sieht die Not und hilft“, sagt die Vinzentinerin.
Ein Kloster sei allerdings keine Insel der Seligen: „Da gibt es auch Menschen, die einem sympathisch sind oder weniger sympathisch. Das lässt sich nicht vermeiden“, erklärt sie. Aber fest steht: „Die Nächstenliebe hat drüber zu stehen.“ Und vor allem: „Wir sollen jedem Menschen mit Hochachtung und Respekt begegnen.“
Der Satz „Liebe sei Tat“ gelte für alle Altersstufen, betont die Seniorin. „Selbst jemand, der sonst überhaupt nichts mehr tun kann, kann Nächstenliebe üben. Und wenn er für Menschen betet, die Hilfe brauchen.“

 

HINTERGRUND

Paris, Chartres, Straßburg, Fulda

Vinzenz von Paul gründete zusammen mit Louise von Marillac 1633 in Paris die Gemeinschaft der „Töchter der Barmherzigkeit“. Sie sollten dorthin gehen, wo die Not ist – auf die Straßen. Dort sollte ihr „Kloster“ sein. Aber mit der Zeit bildeten sich Klöster, die Gemeinschaft von jungen Frauen wurde ein Orden mit Regel. Dahinter steckte auch die Erkenntnis, dass Menschen, die ihren Dienst an den Armen tun, Rückzugsorte brauchen, an denen sie in der Gemeinschaft wieder auftanken können.
Die Barmherzigen Schwestern gehen – anders als die „Töchter der Nächstenliebe“ – nicht direkt auf Vinzenz von Paul zurück. Es war Pfarrer Louis Chauvet, der 1695 in einem Dorf nahe Chartres eine Schwesterngemeinschaft, die Paulusschwestern, gründete, die im Geiste von Vinzenz von Paul wirkten. Es war dann der Straßburger Kardinal de Rohan, der in seiner Diözese ebenfalls eine Schwesterngemeinschaft gründen wollte. Weil er den Bischof von Chartres kannte,  schickte er 1732 junge Frauen zur Ausbildung zu den Paulusschwestern nach Chartres; 1734 kehrten sie nach Zabern – dem heutigen Saverne – bei Straßburg zurück und nahmen im Spital den Pflegedienst auf. Die Gemeinschaft nannte sich „Sœurs de la Charité“ – Barmherzige Schwestern.
Vom späteren Mutterhaus in Straßburg kamen 1834 die ersten drei Schwestern nach Fulda. Der Fuldaer Bischof Leonard Pfaff hatte sich für das Kommen der Schwestern eingesetzt, um im Landkrankenhaus in Fulda den Dienst zu übernehmen. Zugleich reisten drei Frauen aus dem Bistum Fulda nach Straßburg, um im dortigen Mutterhaus ihren Dienst als Novizinnen zu beginnen.
Aber nicht nur in Fulda entstanden Niederlassungen des Straßburger Mutterhauses. Auch die Mutterhäuser in Hildesheim, Paderborn, München oder Freiburg haben ihre Wurzeln in der elsässischen Metropole. Vom Mutterhaus in Fulda und weiteren deutschen Häusern aus entstanden Niederlassungen in Indien. Schwes-ter Brunhilde Wehner war dreimal dort. „Dort geschieht der Dienst an den Armen, wie ihn Vinzenz praktizierte. Es gibt viel Elend auf den Straßen. Und die Schwestern helfen“, erklärt die Schwester. (st)

Von Hans-Joachim Stoehr