Friedensgrund – eine internationale Jugendbegegnung

Eine Vision vom Frieden in Europa

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Mit dem Friedensgrund schuf Bischof Josef Homeyer einen Raum der Begegnung zwischen jungen Menschen aus West- und Osteuropa. Sein Rezept für einen dauerhaften Frieden war: Zusammen beten, zusammen arbeiten, miteinander reden und die anderen kennenlernen.


Ein Zelt der Stille in Bergen-Belsen ist Rückzugsort für Gebet und Meditation.

„1990 war die Geburtsstunde des Friedensgrundes, einer internationalen Jugendbegegnung initiiert vom Bistum Hildesheim. Am Anfang stand ein Gedanke von Bischof Josef Homeyer. Er sagte mir: ‚Wir haben bei uns im Bistum das ehemalige KZ Bergen-Belsen, ein Ort, dem ich mich als Bischof verpflichtet fühle und der in Erinnerung bleiben muss. Denn hier haben Menschen vor allem aus Osteuropa großes Leid erfahren durch Deutsche. Auf diesem Gelände müssen wir einen Raum für junge Menschen schaffen, die hier eine zeitlang zusammen leben, beten, singen, Gottesdienste feiern.‘ Das war der Auftrag und dann habe ich zusammen mit Kuno Kohn einen Friedensgrund entwickelt“, erinnert sich Domkapitular Wolfgang Voges, der damalige Diözesanjugendseelsorger.

Homeyer selbst hatte schon länger die Idee einer Begegnung von Jugendlichen aus Ost- und Westeuropa. „Für Bischof Josef war es wichtig, aufeinander zuzugehen, miteinander ins Gespräch zu kommen, bestehende Barrieren und Vorurteile in den Köpfen der Menschen abzubauen. Und dabei setzte er auf die Jugend“, erzählt Voges.

Hoffnung auf ein Ende der Teilung Europas
 


Karre schieben im Kloster Mojaisk: Für Bischof Homeyer gehört das zum Friedensgrund genauso dazu wie Beten und Feiern.

So fand im Sommer 1990 der erste Friedensgrund statt. Eine Sternwallfahrt führte einen Teil der Jugendlichen zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. Dort trafen sie weitere Jugendliche, die hier schon eine zeitlang im Zeltcamp neben dem ehemaligen KZ gelebt hatten. Rund 300 Jugendliche aus Russland, Polen, Georgien, Frankreich und Deutschland waren hier zusammengekommen. Sie alle verband die Hoffnung, dass die politische Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei verfeindete ideologische Blöcke überwunden werden kann und Geschichte sei.

„Im Zeltcamp in Bergen-Belsen spürte man nichts von Hass und Feindschaft. Es war eine echte Begegnung, man spürte die Sehnsucht der jungen Generation nach Freiheit und einem friedlichen Miteinander“, betont Voges. Der Friedensgrund war geboren. Noch in Bergen-Belsen luden die Teilnehmenden aus Polen alle ein, im kommenden Jahr zum Weltjugendtag mit Papst Johannes Paul II. nach Tschenstochau zu kommen – statt Friedensgrund gab es 1991 eine Begegnung mit Jugendlichen aus aller Welt und zwar in einem osteuropäischen Land.

Inzwischen feilten Wolfgang Voges und sein Team weiter am Konzept „Friedensgrund“. Der nächste ging 1992 in die Nähe von Moskau zum Kloster Mojaisk an der  Moskwa. „Die Kurzformel für den Friedensgrund lautete ora et labore – bete und arbeite. Er sollte ein Ort der Begegnung zwischen russischen und deutschen Jugendlichen sein. Wir wollten einander kennenlernen, miteinander arbeiten und ein sichtbares Zeichen setzen, dass Jugendliche unterschiedlicher Nation und Konfession und trotz Sprachbarrieren gemeinsam Zukunft gestalten wollen und können. Und Bischof Josef war ein Vorbild für die jungen Menschen, war einer von ihnen“, weiß Voges.

Begegnung mit anderen Kulturen und Konfessionen
 


Ein Zeltlager direkt neben dem Kloster an der Moskwa ist das Quartier für die Teilnehmenden am Friedensgrund.

Egal welches Ziel und welche Arbeit beim Friedensgrund in den kommenden Jahren wartete, egal ob in Tschechien, in der Ukraine oder den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, der Bischof wühlte sich gemeinsam mit den übrigen – deutlich jüngeren – Teilnehmenden durch Unkraut und dorniges Gestrüpp, setzte Pfähle, hob Gräben aus und riss Mauern ein. Genau wie die Jugendlichen stand er in der Schlange an der Essensausgabe, vorm Duschzelt oder vor den Mobiltoiletten. „Bischof Josefs Tages-
ablauf war: morgens Spitzhacke, nachmittags Diplomatie mit Politikern und Kirchenoberen, abends Gebet, nachts Gespräche im Zelt“,  berichtet der ehemalige Jugendseelsorger. Homeyer ließ die jungen Menschen teilhaben an seiner visionären Friedensarbeit. Immer wieder bekam er Besuch von Vertretern sowohl der katholischen  als auch der orthodoxen Kirche, von Politikern und Zeitzeugen – und die „Friedensgründler“ hatten Gelegenheit, sich selbst an Gesprächen zu beteiligen, mit ihnen zu diskutieren. „Bischof Josef war ein Europäer durch und durch. Er betonte immer wieder, dass Europa mit zwei Lungenflügeln atmet. Er setzte auf das Gespräch.

Auch während des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina versuchte er, den Kontakt zu den orthodoxen Kirchen zu halten. Seine Vision vom Frieden in Europa, von dem wir bis vor einem Jahr alle dachten, dass er sicher wäre, versuchte er mit der Idee des Friedensgrundes den jungen Menschen in Ost und West zu vermitteln, in der Hoffnung, dass sie diese Idee mit nach Hause zu ihren Eltern und Großeltern mitnehmen und so zu Brückenbauern des Friedens und der Versöhnung werden. Wenn wir jetzt in die Ukraine schauen, dann wird klar, dass wir dringend wieder solche Brückenbauer brauchen, wie Bischof Josef sie sich vorgestellt hat und die wir, meine Nachfolger und ich, in den Friedensgründen erleben durften. Bei allem Schrecklichen, was jetzt in der Ukraine passiert, glaube ich, dass die Bemühungen von Bischof Josef für den Frieden in Europa nicht vergebens waren“, ist sich Wolfgang Voges sicher.

Edmund Deppe