Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven

„Religion ist ein Stück Heimat“

Image

Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven präsentiert die Geschichte der Ein- und Auswanderung seit mehr als 300 Jahren. Eine Zeitreise, die bis in die Gegenwart führt.


Direkt am Wasser liegt das Deutsche Auswandererhaus
in Bremerhaven. Von dort wanderten sieben Millionen
Menschen aus.

Was nimmt man mit, wenn man fortgeht und aufbricht in eine neue Zukunft, in ein fremdes Land, das einen besseren Job verspricht, mehr Wohlstand, politische Freiheit und das Recht, den eigenen Glauben zu leben? Was ist wichtig neben all dem Nützlichen und Notwendigen, das man für die lange Reise braucht? Ist es die Familienbibel, das Gesangbuch oder auch ein Brief mit einem Segensspruch?

„Religion ist ein integraler Bestandteil des Lebens, das zeigt sich in allen Bereichen. Wenn es um Aus- und Einwanderung geht, kann man das Thema Religion nicht ausklammern“, betont Marie Grünter. Die Wissenschaftlerin im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven hat auch an der Konzeption der neuen Dauerausstellung mitgearbeitet, die im Sommer 2021 mit einem Erweiterungsbau eröffnet worden ist: Als Museum der Migrationsgeschichte, das auch die Geschichte Deutschlands als Einwanderungsland seit 1949 dokumentiert und die aktuellen Debatten um Zugehörigkeit und Integration in den Blick nimmt.
 

Was erleben die Frauen und Männer und ihre Familien, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland eingewandert sind, auf der Suche nach Arbeit oder auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung? Welche Traditionen und Erinnerungsstücke bringen sie mit? „Wir präsentieren in unserem neuen Ausstellungsbereich viele persönliche Erinnerungsstücke, etwa einen Kalender mit islamischen Gebetszeiten, den hat uns eine Frau geschenkt, die 1969 mit ihrer Familie aus der Türkei nach Bremerhaven gekommen ist und seitdem hier lebt. Religion bedeutet Gemeinschaft“, sagt die Kuratorin. „Man kann zeigen, wo man seine Wurzeln hat. Religion ist ein Stück Heimat. Das gilt für alle Glaubensrichtungen.“

Sieben Millionen Menschen emigrierten über Bremerhaven

Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven ist ein vielstimmiger Erinnerungsort an der Wesermündung, das am authentischen Ort an die Geschichte der Stadt und der Region anknüpft. Allein in Bremerhaven emigrierten zwischen 1830 und 1974 mehr als sieben Millionen Menschen aus Deutschland und dem östlichen Europa nach Übersee, die meisten aus wirtschaftliche Gründen, viele aus politischen oder auch aus religiösen Gründen.
 


Schon früh kamen Priester an Bord der Schiffe und
brachten liturgische Geräte und Kleidung mit, wie
diese Stola.

Waren die Motive der Menschen auch unterschiedlich, verbunden hat sie der Traum von einem besseren Leben. Doch wohin mit all den Sorgen und Ängsten, wenn man unterwegs ist? Was erwartet einen dort, wo man ankommt? In den USA, nach Kanada, Brasilien, Argentinien oder Australien? Gibt es eine Kirchengemeinde oder einen Verein vor Ort, der weiterhilft?

Seit dem 18. Jahrhundert suchten die Menschen ihr Glück in der Fremde, unter ihnen war auch der Hugenotte Nicholas Stoltzfus, der in die USA auswanderte, weil er dort seine Braut heiraten durfte, die der Täuferbewegung angehörte. Gut 150 Jahre später, im Jahr 1911, wanderte die 15-jährige Jüdin Freida S. Enzenberg nach Amerika aus, weil die Jugendliche der religiösen Enge ihres orthodoxen Elternhauses entfliehen wollte.

 Im 19. Jahrhunderts, während des Kulturkampfs in Deutschland und Europa, suchten viele Katholiken eine neue Heimat in Amerika. Sie gründeten in der protestantischen Mehrheitsgesellschaft katholische Gemeinden, vor Ort unterstützt wurden die Migrantinnen und Migranten oft auch von christlichen Vereinen.

Im historischen Teil der Ausstellung können Besucherinnen anhand von 18 authentischen Biografien die persönlichen Lebenswege begleiten: von der Abschiedsszene am Hafen bis zum Leben in der Neuen Welt – und manch ein Weg führte auch wieder zurück in die Heimat. Nicht jeder Traum ging in Erfüllung. Die Überfahrt war teuer, die meisten Menschen mussten sich mit der dritten Klasse begnügen. In originalgetreuen Nachbauten wird die strapaziöse Überfahrt auf den historischen Dampfschiffen erlebbar, die teils beklemmende Enge in den Zwischendecks, die mangelhaften hygienischen Verhältnisse, unter denen sich Infektionskrankheiten ausbreiten konnten.

 


Im Archiv des Hauses lassen sich 18 authentische
Lebensgeschichten von Auswanderern nachlesen.

Konflikte und Vorurteile zwischen den Konfessionen

Katholiken, Hugenotten, Quäker, Pietisten, Juden, Glaubensflüchtlinge unterschiedlicher Traditionen kamen auf engstem Raum zusammen. „Da gab es natürlich Konflikte und auch jede Menge Vorurteile“, erläutert Marie Grünter. „Die Religion, der Glaube, die religiöse Praxis waren im 19. Jahrhundert sehr viel präsenter als heute“.

Deshalb gab es bald auch Seelsorger und Priester an Bord, um die Menschen zu begleiten. Wie wichtig diese Arbeit damals gewesen sein muss, dokumentiert der Inhalt eines historischen Messkoffers mit Stola, Kelch und all dem, was zur Feier eines katholischen Gottesdienstes notwendig ist. „Ich war dabei, als wir den Koffer ausgepackt haben. Das war wirklich spannend. Wir waren ganz erstaunt, wie viel in so einen Koffer hineinpasst“, erzählt die Katholikin.

An vielen Stationen finden sich Zeugnisse aus dem religiösen Alltag der Auswanderinnen und Auswanderer. In den Städten und Gemeinden der neuen Heimat bildeten sich Viertel mit jüdischen oder christlichen Communitys, es gab Nähstuben, in denen mutige jüdische Frauen aus Osteuropa für einen freien Schabbat kämpften. Für Christen waren die Kirchen der jeweiligen Konfession, aber auch die Kneipen Treffpunkt und Trostort, wenn das Heimweh kam.

 


Ein frommer Auswanderer schnitzte
1906 dieses Sakramentenhäuschen.

Vertrautes hat in der Fremde einen besonderen Wert

Es gab Gasthäuser und Geschäfte, in denen die jeweiligen Spezialitäten aus der Heimat angeboten wurden, sei es Bier, Marzipan oder traditioneller Weihnachtsschmuck. In der Fremde haben die vertrauten Dinge oftmals einen besonderen Wert. Das gilt auch für die Menschen, die heute hier ankommen.

Wer auf der Suche nach ausgewanderten Vorfahren ist, kann in den Datenbanken des Deutschen Auswandererhauses recherchieren. „Migration ist ein sich ständig wandelnder Prozess“, betont Museumsdirektorin Simone Blaschka. An der Außenfassade des Neubaus sind 31 Gesichter von Menschen zu sehen, die aus der ganzen Welt nach Bremerhaven eingewandert sind. Und dort eine Heimat gefunden haben.

Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven ist täglich geöffnet. Aktuelle Informationen: www.dah-bremerhaven.de.

Karin Dzionara

 

 

 


Auf Spurensuche  im Bistum
Religiöse und kulturelle Traditionen sind eng miteinander verflochten, denn Kunst ist in ihren Ursprüngen ein Ausdruck von Religiosität. Was wäre das Christentum ohne die großartigen Altäre, Gemälde und Skulpturen? Selbst in der zeitgenössischen Kunst tauchen christliche Motive auf, oft in neuen und anderen Zusammenhängen: als Anfragen, als Ausdruck des Zweifels oder der Suche nach Sinn. In vielen der rund 800 norddeutschen Museen und Heimatstuben finden sich Kunstwerke und Erinnerungsstücke mit religiösen Bezügen. In unserer Serie stellen wir Ihnen Exponate vor, die sich mit unterschiedlichen Glaubenstraditionen beschäftigen. Eine Spurensuche.