Katholikenrat im Bistum Mainz

Ringen um Worte

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Der Katholikenrat im Bistum Mainz hat sich mit der im März veröffentlichten Studie zu sexualisierter Gewalt beschäftigt. Bei seiner Frühjahrsvollversammlung dachte das Gremium auch über die eigene Rolle beim Systemversagen nach. Von Anja Weiffen



Circa 40 Mitglieder des Katholikenrats, des höchsten Laiengremiums im Bistum, trafen sich im Erbacher Hof in Mainz.


Mit einer Art Trigger-Warnung begann Katholikenratssprecher Patrick Landua den Punkt 2 auf der Tagungsordnung: „Über die Studie zu sexualisierter Gewalt zu sprechen ist kein Thema wie jedes andere.“ Wenn dies jemandem zu viel würde, sei es selbstverständlich kein Problem, den Raum zu verlassen.

„In zweifacher Weise Unrecht geschehen“
Circa 40 Mitglieder des Katholikenrats hatten sich am vergangenen Wochenende im Ketteler-Saal des Erbacher Hofs in Mainz versammelt. Zu Gast war Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars, Mitglied der Bistumsleitung und verantwortlich für Prävention, Intervention und Aufarbeitung. Sie stellte die Ergebnisse der unabhängigen Studie „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“  (EVV) vor, die die Bistumsleitung 2019 beim  Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber in Auftrag gegeben hatte. Die erschütternden Zahlen und Inhalte der „Studie zur Aufklärung von Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seit 1945 im Verantwortungsbereich des Bistums Mainz“ fasst Rieth so zusammen: „Da ist in zweifacher Weise Unrecht geschehen, das zum Himmel schreit. Durch den Missbrauch, den Betroffene erleben mussten und durch die Art und Weise, in der damit umgegangen wurde.“ Als Quintessenz weist die Studie ein Versagen der Verantwortlichen in den Amtszeiten der Bischöfe Karl Lehmann, Hermann Volk und Albert Stohr aus. Der aktuellen Bistumsleitung bescheinigt die Studie einen hohen Aufklärungswillen und Lernbereitschaft. „Wir sind auf dem Weg“, betont Stephanie Rieth, „und wir haben viele Baustellen auf diesem Weg.“ Als „allergrößte Baustelle“ bezeichnet sie die Situation in Pfarreien, die mit Verdachtsfällen und Taten konfrontiert sind und waren, wo Menschen viele Fragen und unterschiedliches Wissen über Vorkommnisse haben. Als „Irritierte Systeme“ bezeichnet die Ordinariatsdirektorin sie mit einem Fachausdruck für Systeme, in denen traumatische Ereignisse passiert sind. Mit diesen Pfarreien will Rieth ins Gespräch kommen. „Bis Sommer gibt es bereits mit mindestens fünf Gemeinden Termine“, teilt sie mit.
Rieth informierte auch darüber, dass bei einer Pfarrei-Umfrage im Zuge des EVV-Projekts 40 Prozent der Pfarreien nicht geantwortet hätten. Hier kamen bei den Katholikenratsmitgliedern Fragen auf. Wie wurde innerhalb der Pfarreien zu den Fragebögen kommuniziert und informiert? Wurden die Fragenbögen überhaupt von Verantwortlichen, von den Pfarrern, an die Gemeinde weitergeleitet? Ein Ratsmitglied erkennt auch auf dieser Ebene Vertuschung und nennt als Beispiel seine Heimatgemeinde, die mit Missbrauch zu tun hat. Bei der Frühjahrsvollversammlung wurde deutlich, dass es auch im Katholikenrat Menschen gibt, die in irgendeiner Weise von sexualisierter Gewalt betroffen sind, sei es in der Heimatgemeinde oder in der Familie. So fragte im Plenum ein Mann mit stockender Stimme, wie Menschen zu dem Thema sprachfähig werden könnten, wenn dadurch das Geschehene immer wieder hochkommt.

Katholikenrat beschloss, Klartext zu sprechen
Um präzises Formulieren ging es beim Erarbeiten einer Stellungnahme zur EVV-Studie. Dazu nahmen sich die Katholikenratsmitglieder ausreichend Zeit. Vielfach war es ein Ringen um Worte. Sollte man zum Beispiel beim Systemversagen die Beteiligten nennen? Und welche? Dazu gab es unterschiedliche Meinungen. Die Ratsmitglieder beschlossen, Klartext zu sprechen und weisen im Dokument auf die kirchlichen Verbände, Pfarreimitglieder, Räte und Familien hin. Auch sie gehören zum System, das versagt hat. Die Stellungnahme (siehe „Zitiert“) wurde fast einstimmig verabschiedet.

Bei der Frühjahrsvollversammlung beschloss der Katholikenrat auch, die ökumenische Aktion „Wanderfriedenskerze“ zu unterstützen. Der Antrag kam vom Sachausschuss „Klimaschutz / Globale Beziehungen“. Das Thema 2023: „Frauen im Krieg“. Eine Arbeitshilfe für Gebete und Gottesdienste gibt es auf www.pax-christi.de

 

ZITIERT

„Dieser Schuld wollen auch wir uns stellen“
Auszüge aus der Stellungnahme des Katholikenrats zur EVV-Studie:

(…) Wir sind bestürzt über die Klarheit der Ergebnisse der EVV-Studie, die hohe Zahl an Tätern und Betroffenen in unserem Bistum sowie den menschenverachtenden Umgang mit den Betroffenen.
Fehlentwicklungen in der Vergangenheit, in denen Betroffenen nicht der notwendige Respekt und die angemessene Unterstützung gegeben wurden, wollen wir künftig vermeiden helfen. Die umfassende und nachhaltige Aufarbeitung hat daher für uns oberste Priorität. (…)
Wir sehen, dass nicht nur Kleriker und kirchliche Mitarbeiter*innen als Täter schuldig geworden sind, sondern ein ganzes System versagt hat, zu dem auch die kirchlichen Verbände, Pfarreimitglieder, Räte und sogar Familien der Betroffenen gehören. Dieser Schuld wollen auch wir uns stellen und alles dafür tun, dass in Zukunft ein solches Systemversagen nicht mehr möglich wird sowie Übergriffe und Missbrauchstaten verhindert werden.
Bereits im Jahre 2018 hat der Katholikenrat in einer Stellungnahme Bischof Kohlgrafs Bestrebungen zur Aufarbeitung begrüßt, offen und transparent den Weg der Aufklärung von Missbrauch im Bistum Mainz zu gehen. Gleichzeitig wurde die Prävention ausgebaut und der Schutz von Kindern und Jugendlichen in allen Bereichen kirchlichen Lebens an erste Stelle gestellt. Die nun vorgelegte Studie bescheinigt der Bistumsleitung, bereits wichtige Schritte in Bezug auf Prävention, Intervention und Aufarbeitung zurückgelegt und entsprechende Strukturen aufgebaut zu haben.
Gleichzeitig sehen wir noch weiteren Handlungsbedarf in Bezug auf …
-die zügige Erarbeitung der Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt in allen Pfarreien, Verbänden und kirchlichen Einrichtungen
- eine Selbstverpflichtung aller haupt- und ehrenamtlichen Verantwortungsträger*innen, um eine dauerhafte Umsetzung der Schutzkonzepte voranzutreiben
- Qualitätssicherung, Überprüfung und wirksame Konsequenzen durch die Bistumsleitung bei Nicht-Einhaltung der Schutzstandards
- klare Melde- und Beschwerdewege mit einer von der Leitung (auf allen Ebenen) unabhängigen Ansprechperson.

Ziel muss es dabei sein, den größtmöglichen Schutz von Kindern, Jugendlichen und schutzbefohlenen Erwachsenen zu erreichen, in einem transparenten Prozess verlorenes Vertrauen wiederherzustellen und damit auch einen Kulturwandel in unserem Bistum herbeizuführen. Hierzu müssen bestehende Macht-strukturen kritisch geprüft und hin zu einer neuen Synodalität entwickelt werden. (…)

Den ganzen Text lesen Sie auf: www.bistum-mainz.de

Von Anja Weiffen

Anja Weiffen