Was passiert mit St. Paulus in Ingelheim?

Sorge um „Konzilskirche“

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St. Paulus in Ingelheim
Nachweis

Foto: Anja Weiffen

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Die vom Architekten Justus Dahinden gestaltete Kirche St. Paulus wurde 1981 geweiht.

Was passiert mit St. Paulus in Ingelheim? Die Kirche könnte demnächst als Kita umgenutzt werden. Gemeindemitglieder sehen jedoch gute Argumente, die einzige moderne Kirche im Pastoralraum für Gottesdienste zu erhalten. Von Anja Weiffen

St. Paulus überrascht. Das Raumempfinden, die Augen und Ohren, den Sinn für Transzendenz. Statt Kirchturm weist von Weitem ein Dach in Form einer Rampe gen Himmel. Statt durch breite Glasfronten gibt innen ein einziges großes Fenster die Sicht frei aufs Firmament. Statt erhöht am Ende eines Ganges steht der Altar  zentral wie ein großer Esstisch umgeben von Stuhlreihen. Teppichboden dämpft die Geräusche. Nur wenige, dafür eindrucksvoll gestaltete Heiligenfiguren wie der Kirchenpatron Paulus ziehen die Blicke auf sich.
Um die besondere Symbolik der Kirche zu zeigen, die von dem Schweizer Architekten Justus Dahinden im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils gestaltet wurde, lud der Ortsausschuss St. Paulus zu einer Kirchenführung ein. Der Ingelheimer Architekt Karl-Georg Proksch führte die Gruppe durch das Gotteshaus. Proksch ist der Gemeinde seit den 1970-er Jahren verbunden, ist Mitglied im Verwaltungsrat von St. Michael Frei-Weinheim, wozu St. Paulus gehört. 

St. Paulus bildet in seiner Architektur unsere heutige Geisteswelt besser ab als andere Kirchen.

Architekt Karl-Georg Proksch


Karl-Georg Proksch und die Mitglieder des Ortsausschusses treibt die Frage nach der Zukunft des Gotteshauses um. Im Zuge des Pastoralen Wegs stehen im gesamten Bistum alle Gebäude auf dem Prüfstand. Laut Vorgaben des Bistums soll der Gebäudebestand insgesamt um 50 Prozent verringert werden. Bei den Gotteshäusern ist eine Einsparquote von einem Drittel vorgesehen. Alle Pastoralräume müssen sich mit dem Thema beschäftigen. So begutachtete auch im Pastoralraum Ingelheim eine interne Arbeitsgruppe die 18 Kirchen. Die Gruppe erstellte vier Lösungsvarianten. In zwei Varianten wurde 
St. Paulus in die schlechteste Gebäude-Kategorie eingeordnet, obwohl sie vor der Zeit des Pastoralen Wegs in der besten lag. Bei diesen zwei Lösungsvarianten steht eine Umnutzung der Kirche im Raum. Die Idee: Die benachbarte katholische Kita, deren Räume durch einen Wasserschaden marode sind, könnte in St. Paulus einziehen. Mit großer Mehrheit votierte die Pastoralraumkonferenz dafür, dazu eine „Machbarkeitsstudie“ durchführen zu lassen. Der Ortsausschuss St. Paulus könnte damit leben, wenn dies nur die Gemeinderäume im Untergeschoss betrifft, bestätigen Franz Diehl, Vorsitzender des Ortsausschusses St. Paulus, und Renate Götz, Vertreterin des Ortsausschusses in der Pastoralraumkonferenz. Beide sind zudem Mitglieder im Pfarrgemeinderat der Katholischen Kirche Ingelheim (KKI) „Doch was passiert mit dem Sakralraum? Das macht uns Sorgen“, sagt Franz Diehl beim Gespräch am Rande der Kirchenführung. Beunruhigt sind die Anhänger von St. Paulus, weil in der Pastoralraumkonferenz eine mögliche Profanierung ins Spiel gebracht wurde. 
Der Ortsausschuss möchte den Sakralraum für Gottesdienste erhalten. „St. Paulus hat ein Alleinstellungsmerkmal: Sie ist die einzige moderne Kirche im Pastoralraum Ingelheim“, argumentiert Renate Götz. In der Pastoralraumkonferenz  setzte  sie  sich dafür ein, ergebnis-
offen über die Kirche abzustimmen. Sie hatte zudem den Eindruck, dass einige, „nicht genau wussten, dass St. Paulus ein bedeutendes architektonisches Kunstwerk darstellt“. 
Bei der Kirchenführung betonte Karl-Georg Proksch, dass der Schweizer Architekt Justus Dahinden St. Paulus als Gesamtkunstwerk konzipierte. „Der damalige Pfarrer Helmut Sohns wollte die neue Kirche ganz im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils bauen.“ Dahinden galt damals als einer der bedeutendsten Kirchenbauer, erklärt Proksch. „Er hat rund 30 Kirchen in Europa geschaffen, 16 in Übersee.“ Der Zürcher Kirchenbauer starb 2020. Auf Initiative des Ortsausschusses erkannte die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz St. Paulus im Dezember als Kulturdenkmal an.

Der Sakralraum ist schon einzigartig.

Dass sich manche mit modernen Kirchen schwer tun, dessen ist sich Proksch bewusst. Die vom Ortsausschuss initierte Kirchenführung sollte Interessierten ein besseres Verständnis der Symbolsprache des Gebäudes vermitteln. Barrierefrei führt eine Rampe zum Eingang der Kirche, auch im Innenraum gibt es eine „Prozessionsrampe“ sodass der Eindruck entsteht, man gehe zum Sakralraum einen Hügel hinauf. „Heiligtümer wurden auf Hügeln gebaut“, so Karl-Georg Proksch. „Die Kirche ist relativ schmucklos. Das wird oft mit wertlos gleichgesetzt“, sagt der Architekt und erläutert diese andere Form des Sakralraums „im Gegensatz zu den traditionellen Wegekirchen“ mit ihrem Bilderschmuck. „Früher gab es viele Analphabeten, so hat man die biblischen Inhalte an die Wände gemalt. Solche Bilder sind heute nicht mehr erforderlich“, sagt Karl-Georg Proksch. So konzentriere sich alles auf diesen zentralen Sakralraum, der bis auf ein Fenster gen Himmel ohne Außenbezug ist. Die zur Gemeinde Versammelten sitzen auf einer Ebene mit dem Altartisch in der Mitte.
Im Gespräch mit dem Ingelheimer Architekten betont dieser: „St. Paulus bildet in seiner Architektur unsere heutige Geisteswelt doch besser ab als andere Kirchen.“ Für ihn ist „der Sakralraum schon einzigartig“. Andere Gotteshäuser im Pastoralraum seien seines Erachtens besser umzugestalten als St. Paulus. 
Pfarrer Christian Feuerstein, der die Arbeitsgruppe Gebäude mitleitet, sagt auf Nachfrage zur Bewertung von St. Paulus, dass es klare Vorgaben vom Bistum gibt: einen Fragebogen mit Gebäude-, Lage- und Pastoral-Kriterien, den die 18 Persoen der Arbeitsgruppe, die aus allen Pfarreien des Pastoralraums kommen, ausgefüllt haben. Es seien vor allem die pastoralen, weniger die Gebäude-Kriterien gewesen, die das Ergebnis beeinflusst hätten. „Es gibt keine jungen Familien, keine Jugendlichen, die sich in der Gemeinde engagieren“, sagt Feuerstein. 
Zum Argument „Konzilskirche“ meint der Pfarrer: „Architektur kann helfen, ist aber nicht wirklich ausschlaggebend, in welchem Geist Gottesdienst gefeiert wird.“ Für ihn steht fest, dass „die Pfarrei diesen Immobilienbestand nicht mit in die Zukunft nehmen kann“. Seitdem er vor sechs Jahren die Pfarrei übernommen hat, habe er versucht, dies zu vermitteln, in Gemeindeversammlungen, in den Gremien „und in unzähligen Einzelgesprächen“. Feuerstein: „Jetzt hat uns der Pastorale Weg überholt.“ 
Die „Machbarkeitsstudie“ soll die Nutzung der gesamten Kirche als Kita prüfen, teilt der Pfarrer mit. „Denn es müssen 100 Kinder untergebracht werden.“ Im Zuge der Kita-Lösung gäbe es einen Mehrzweckraum, in dem sich die Mitglieder von St. Paulus treffen könnten. Feuerstein ist aber skeptisch, dass ein Kompromiss gefunden wird, den alle mittragen.

Anja Weiffen