Vor 75 Jahren: Erster Katholikentag der Nachkriegszeit in Mainz

Von Unrecht und altem Schutt

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Erster Katholikentag der Nachkriegszeit
Nachweis

Foto: KNA-Bild/KNA

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100 Jahre nach dem ersten Katholikentag treffen sich die Katholiken in Deutschland 1948 wieder am selben Ort: Mainz. Das offizielle Motto: „Der Christ in der Not der Zeit“.

Gleich mehrere Premieren ereignen sich vor 75 Jahren in Mainz: Der erste Katholikentag der Nachkriegszeit zieht Anfang September 180 000 Menschen in die Stadt. Erstmals spricht ein Papst im Radio zu den „deutschen Katholiken“. Von Anja Weiffen


1948. In den ersten Septembertagen wächst Mainz über sich hinaus. Am 5. September strömen 180 000 Menschen in die zerbombte Stadt zur Abschlusskundgebung der 72. Generalversammlung der deutschen Katholiken. Weit mehr als doppelt so viele wie die Stadt Einwohner hat, vermerkt der „Spiegel“. Wohlwollend berichtet das Nachrichtenmagazin über das erste Treffen der Katholiken in Deutschland nach 16 Jahren – nach Schoa und Vernichtungskrieg. Erstmals heißt die Versammlung offiziell Katholikentag. Die Erwartungen an die 100-Jahr-Feier sind hoch. 1300 Teilnehmer und Delegierte werden in der zu 80 Prozent zerstörten Stadt untergebracht. Circa 100 Journalisten sind dabei.

Magazin titelt: „Mainz gebührt der Preis“


„Mainz gebührt der Preis“ titelt der „Spiegel“, ein Zitat des Kölner Erzbischofs Kardinal Josef Frings, den die Masse der Gläubigen auf dem Gelände des Jugendwerks beeindruckt: „Drei Feste feierten die deutschen Katholiken in diesem Jahr. Das Jubiläum der Matthias-Basilika in Trier, das Jubiläum des Kölner Doms und jetzt den Mainzer Katholikentag. Mainz gebührt der Preis!“ 
 

Titelblatt Glaube und Leben 1948
So sah das 16-seitige Dokumentenheft aus, das „Glaube und Leben“ zum 72. Deutschen Katholikentag herausgab. Abbildung: Dom- und Diözesanarchiv Mainz

Aus heutiger Sicht mutet manche Wortwahl martialisch an. In der von „Glaube und Leben“ dokumentierten Rede von Papst Pius XII. mit dem Vermerk „Erstmals in der Geschichte spricht ein Papst zu den deutschen Katholiken“, nennt dieser die Jubiläumsveranstaltung „stolze Heerschau der katholischen Kräfte“. Im Rundfunk grüßt der ehemalige Nuntius Eugenio Pacelli seine Zuhörer auf Deutsch. Er erinnert an das „goldene Mainz“ vor dem Krieg, würdigt die Leistung von 100 Jahren Katholikentag. Die Gefahr totalitärer Regime deutet er mehrfach an, mahnt, die Linie der Kirche einzuhalten, „ohne abzuweichen, weder nach rechts noch nach links“. Den Nazi-Terror aber nennt er nicht. Der Mainzer Bischof Albert Stohr erwähnt sie, die „Schreckensjahre der Nationalsozialisten“. Die Laien werden deutlicher. „Wir beklagen aufrichtig das Unrecht, das im Namen Deutschlands und von Deutschen geschehen ist, nachdem der Nationalsozialismus die Macht im Staate erobert hatte, wie auch unsere christlichen Mitbrüder außerhalb der deutschen Grenzen alles Unrecht bedauern, das von Angehörigen ihrer Völker verübt wird“, heißt es im „Wort des Katholikentags an die Brüder in aller Welt“, dokumentiert von „Glaube und Leben“. „Unser katholisches Volk hat die Gewalttaten und Verfolgungen, den entsetzlichen Krieg und seine Greuel nicht gewollt. Aber alle die starken, vielfach bis zum Martyrium gehenden Widerstandskräfte konnten sich nicht durchsetzen, das schmerzt uns tief.“


Wortwahl vergangener Zeiten verhaftet

 

Plakette Katholikentag 1948
Festplakette des 72. Katholikentags: Durch den Verkauf solcher Plaketten in den deutschen Diözesen wurde der Mainzer Katholikentag finanziert. Die Katholikentagsplakette gilt als Vorläufer für die erste Zugplakette des Mainzer Rosenmontagszugs 1950.
Abbildung: Dom- und Diözesanarchiv Mainz

Das inoffizielle Motto des Katholikentags „Nicht klagen, handeln!“ vermittelt Aufbruch. Die Not in der Nachkriegszeit, vor allem der Heimatlosen, gilt den Versammelten als Aufgabe für die christliche Nächstenliebe. Der Blick geht vielfach nach vorn. Doch ist der Katholikentag diesem besonderen Moment in der Geschichte – nach Schoa und Vernichtungskrieg – gerecht geworden? In ihrem Buch „100 Katholikentage – von Mainz 1848 bis Leipzig 2016“ beurteilen der Kirchenhistoriker Hubert Wolf und der Kommunikationswissenschaftler Holger Arning die 72. Generalversammlung eher kritisch. Zwar werde die Schoa ausdrücklich angesprochen, Delegierte der Verbände mahnen, den „bereits wieder aufflammenden“ Antisemitismus zu bekämpfen. Jedoch sei die Wortwahl oft noch vergangenen Zeiten verhaftet. „Alles in allem sehen sich die Katholiken eher als Opfer denn als Täter.“ Viele Fragen blieben offen, so die Autoren. 
Die Laien fühlten sich verpflichtet, auf die Vergangenheit einzugehen. Ein Satz ihrer Botschaft „an die Brüder in aller Welt“ bleibt besonders haften: „Aber es kann nichts neu gebaut werden, bevor nicht der alte Schutt weggeräumt ist.“

 

 

 

 

NACHGEFRAGT

„Katholikentag wird sich verändern“

 

Martin Buhl
Martin Buhl Foto: privat

Martin Buhl ist Mitglied im Katholikenrat des Bistums Mainz und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Haupt- und ehrenamtlich hat er sich bei den Kirchentreffen engagiert, etwa beim ökumenischen Kirchentag in Frankfurt 2021 als Laienvertreter des Bistums im Präsidium. Fragen zur heutigen Situation:


Auch wenn sie zwei unterschiedliche Formate sind: Haben die Synodalversammlungen in den vergangenen Jahren den Katholikentagen in Sachen Laien-Bewegung nicht den Rang abgelaufen? 
 

Ich finde nicht, dass die Synodalversammlungen des Synodalen Wegs den Katholikentagen den Rang abgelaufen haben. In der öffentlichen – auch medialen – Wahrnehmung mag das den Anschein haben; aber beide Veranstaltungen haben doch eine völlig andere Ausrichtung: Der Synodale Weg war und ist wichtig, um inhaltliche und strukturelle Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche anzustoßen, so dass zukünftig sexualisierter Missbrauch innerhalb der Kirche verhindert werden kann, partizipative Leitungsformen etabliert werden und die Kirche wieder ein menschenfreundliches Gesicht erhält. Aber er beschäftigt sich – auftragsgemäß – nur mit binnenkirchlichen Themen. 
Das tun Katholikentage selbstverständlich auch, aber darüber hinaus sind sie deutlich mehr: Sie sind Orte, an denen die Kirche sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt (und Kirche sollte das unbedingt immer tun!) und sich selbst den Anfragen durch die Gesellschaft stellt, sie ermöglichen Gläubigen spirituelle Erfahrungen und Austausch untereinander; vor allem aber sind Katholikentage keine abgeschlossenen Veranstaltungen wie der Synodale Weg, sondern ermöglichen eine Beteiligung vieler – auch von Menschen außerhalb der Kirche. 
Insofern würde ich beide „Veranstaltungsformate“ nicht gegeneinander ausspielen.


Inwieweit spielt in den Laiengremien des Bistums Mainz eine Teilnahme an Katholikentagen eine Rolle?

Offen gesagt: keine. In anderen Bistümern ist es etwa üblich, dass die Laiengremien den Bistumsstand auf der Kirchenmeile mit betreuen. Diese Tradition gibt es in Mainz nicht. Es gibt in der Regel bei den Katholikentagen eine Podiumsveranstaltung, die von den Laiengremien der „Mitte-Süd-West“-Bistümern vorbereitet und durchgeführt werden. Allerdings ist in die Vorbereitung nicht der Katholikenrat eingebunden sondern vornehmlich dessen Sprecher und die Geschäftsführerin.


Welche Chancen sehen Sie für künftige Katholikentage?

Der Katholikentag wird sich verändern, schon allein weil die finanziellen Möglichkeiten immer weiter zurückgehen und staatliche Zuschüsse perspektivisch eher weniger werden. Vor den sich verändernden Rahmenbedingungen werden sich die Kirchen je eigene Großveranstaltungen zukünftig immer weniger leisten können; auch erscheint es mir inhaltlich sinnvoll, dass der ökumenische Kirchentag immer mehr das Zukunftsprojekt wird, weil diese kirchliche „Großveranstaltung“ für mich notwendig ist. Vor allem auch – neben kirchlicher und gesellschaftlicher Bedeutung – weil er ein Ort ist, an dem sich die Menschen ihres Glaubens in einer größeren Gemeinschaft vergewissern können. Für mich waren die Gottesdienste während der Katholikentage sowie der evangelischen und ökumenischen Kirchentage immer die prägenden und tragenden Momente – sowohl die Großgottesdienste zur Eröffnung und zum Abschluss; aber vor allem auch die Gebete zu den Tageszeiten, innovative Wortgottesdienste und lebendige Eucharistiefeiern waren mir immer wichtig – auch weil sie häufig anders gestalten sind als in meiner Heimatgemeinde und mir damit neue spirituelle Erfahrungsräume eröffnen. Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass die Katholiken-/Kirchentage die spirituell-liturgische Dimension stärken sollten.

Anja Weiffen