Wein als Botschaft

Image
Zwei Männer mit Wein in Rebstock
Nachweis

Fotos: Stefan Branahl

Caption

Michael Rindermann (rechts) und sein Mitstreiter Dieter Siebeck im Weinberg von Höxter. 99 Reben wachsen hier – und in guten Jahren sorgt die Ernte für einen hervorragenden Tropfen.

Norddeutschlands einziger biblischer Weinpfad führt oberhalb von Höxter an der Weser auf historischen Spuren. Die Benediktiner von Kloster Corvey bauten die Reben erfolgreich an, bevor eine kleine Eiszeit dem ein Ende setzte. Inzwischen wachsen auf dem Muschelkalkboden wieder die Reben eines Hobby-Winzers – auch zur Ehre Gottes.

Ein Ort für Herz und Seele, schießt es mir durch den Kopf. Wir stehen am Hang des Rauschenbergs, blicken links auf die Türme der berühmten Klosterkirche Corvey, sehen vor uns die langgezogenen waldreichen Hügel des Sollings, rechts schiebt sich der Kaufunger Wald in die Kulisse. Die Sonne gibt ihr Bestes und Michael Rindermann schenkt ein. Er kredenzt – auch unter freiem Himmel ist dieses Wort mehr als angebracht – Corveyer Hexenstieg. „Ein Jahrhundertwein“, sagt er, das steht zum Beweis auch auf dem Etikett. Gekeltert hat er ihn im vergangenen Herbst nach einem Traumsommer. „Da hat einfach alles gepasst“, sagt Rindermann und schwenkt das Glas mit der goldgelben Flüssigkeit. Wein ist für ihn immer mehr gewesen als ein Beruf, Wein ist seine Leidenschaft. Und hier, oberhalb von Höxter, hat er seinen Traum verwirklicht: ein eigener Weinberg mit 99 Rebstöcken. 

Unser Weg begann vor einer halben Stunde am Parkplatz der vielbefahrenen Bundesstraße, die den Verkehr des Wesertals um Höxter führt. Wir stehen an der ersten von sieben Stationen, die den biblischen Weinpfad, den einzigen in Norddeutschland, auf seinen gerade mal drei Kilometern begleiten. Wie ein aufgeschlagenes Buch sind die Seiten der Stelen gestaltet, links lesen wir, was die Bibel erzählt, rechts erfahren wir Wissenswertes über den Anbau vor Ort. Nur ein paar Schritte durch den Wald, dann stehen wir vor der Josefskapelle, ein kleiner, aber imposanter Barockbau, achteckig mit einer von steinernen Reben umrankten Tür. Schlüsselgewalt hat Dieter Siebeck vom örtlichen Verkehrsverein. Wenn er Wanderer begleitet, läutet er mit dem Seil die Glocke und erzählt, was es mit der Kirche mitten im Wald zu tun hat: Sie steht in direkter Verbindung mit den Benediktinern von Corvey, Fürstabt Christoph von Bellinghaus ließ sie Ende des 17. Jahrhunderts bauen – auch zur Ehre Gottes, vor allem aber, damit die Brüder nicht mehrmals am Tag zu den vorgeschriebenen Gebetszeiten von den Weinbergen hinunter ins Wesertal laufen mussten. 

Fast jeder Ort im Norden hatte seinen Weinberg

Weinanbau und Norddeutschland – wie passt das zusammen? Michael Rindermann ist Experte in diesen Dingen. Er hat sein Leben lang von Corvey aus mit Wein gehandelt, auch mit Messwein. Allein im Bistum Hildesheim, wo er jeden Monat ungezählte Kilometer unterwegs war, fand er weit über hundert Hinweise. „Zwischen Duderstadt im Eichsfeld bis hinauf nach Hitzacker an der Oberelbe hatte bald jeder Ort einen Weinberg“, berichtet er. Dafür müssen wir einige hundert Jahre zurückblicken, als ein weit wärmeres Klima herrschte. „Wein spielte damals eine große Rolle, er wurde ja nicht nur für den Gottesdienst gebraucht, er war quasi Lebensmittel, weil Wasser wegen Verunreinigung oft ungenießbar war.“ Die Fässer mit Gespannen von Rhein oder Mosel auf dem Hellweg herauf zu transportieren, war nicht nur teuer, sondern wegen der Wegelagerer auch gefährlich. Also hat man ihn selber angebaut.

In übrigens durchaus guter Qualität, ist zumindest für den Wein von Kloster Corvey in der Chronik dokumentiert. Die Mönche hatten reichlich Erfahrung und bauten im großen Stil an, auf Terrassen in bester Hanglage, die heute in den Waldgebieten nur noch zu erahnen sind. Notiert ist das ausdrückliche Lob der dänischen Königin über den Wein, der ihr aus heimischem Anbau serviert wurde. Eher unangenehm dagegen soll ein Bürgermeister aufgefallen sein, der nach reichlichem Genuss aus der Prozession zu Ehren des heiligen Vitus herausgeholt werden musste…

Lang ist das her. Weil Anfang des 18. Jahrhunderts eine kleine Eiszeit für reichlich Abkühlung sorgte, reiften die Trauben an den norddeutschen Hängen nicht mehr aus, das Kapitel Weinbau war zuende. Mittlerweile schlägt das Klimapendel wieder in die andere Richtung aus, und darum gelingt Hobby-Winzern wie Michael Rindermann auf dem Muschelkalkboden über Höxter inzwischen in manchen Jahren ein ganz besonderer Tropfen. Zwar hat in diesem Jahr das Wetter nicht so richtig mitgespielt, der Mehltau färbt die Blätter rostbraun und in den nächsten Tagen muss früher als sonst geerntet werden. Aber Rindermann bleibt seinen Grundsätzen treu, Chemie wird nicht eingesetzt. Das fällt schwer, denn ausgerechnet die historische Orleans-Traube, deren Wein nachweislich schon Karl der Große getrunken hat, leidet besonders. 

Als der Winzer die Idee des biblischen Weinpfads vom Rhein an die Weser brachte und in Dieter Siebeck einen „Kümmerer“ fand, ging es beiden ausdrücklich auch um Verkündigung. „Der Wein ist aus dem Evangelium nicht wegzudenken. Das wollen wir den Menschen auf diesen drei Kilometern vermitteln. Und gerade in den zurückliegenden Coronajahren haben wir hier viele Menschen getroffen, die auf unserem Weg Kraft getankt und Zuversicht gefunden haben.“

Zehn Jahre liegt die Einweihung des Weinpfades jetzt zurück. Unvergessen jener Tag, der vor allem in Anekdoten weiterlebt. Der Himmel öffnete seine Schleusen gerade, als die Schar der Gäste – allen voran der grüne Umweltminister aus Düsseldorf – die Josefskapelle erreichte. Niemand war auf diesen Guss vorbereitet, das Wasser schwappte in Schuhe, lief in Hemdkragen. Niemand verwandelte es in Wein.

Stefan Branahl