Erinnerungskultur an der Berliner Liebfrauenschule

Flamme nicht erlöschen lassen

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Schüler der Liebfrauenschule
Nachweis

Foto: Stefan Schilde

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Die Schüler der Liebfrauenschule im Treppenhaus des früheren Mädchenheims Maria Regina.

Schüler an der Berliner Liebfrauenschule haben ein Jahr lang intensiv geforscht, wie Ordensschwestern im Zweiten Weltkrieg jüdische Kinder vor den Nazis versteckten. Sie erhoffen sich davon eine Stärkung der Erinnerungskultur.

Eigentlich war alles ganz anders angedacht, sagt Michael Kolbe. „Ich hatte geplant, dass wir uns als Religions-Grundkurs mit Bernhard Lichtenberg beschäftigen, wegen dessen 80. Jubiläum.“ Aber die Elfklässler in seinem Religions-Grundkurs an der katholischen Liebfrauenschule hatten eine andere Idee als ihr Lehrer. Sie waren auf die besondere Vergangenheit der direkt benachbarten Villa in der Ahornallee im Berliner Stadtteil Westend aufmerksam geworden.
In dem früheren Mädchenheim Maria Regina, in dem das Erzbistum Berlin heute ein Berufsbildungszentrum unterhält, hatten die Ordensschwestern Unserer Lieben Frau im Zweiten Weltkrieg jüdische Kinder auf dem Dachboden vor den Nationalsozialisten versteckt. „Die Schülerinnen und Schüler hatten davon erfahren und wollten mehr erfahren. Also war ich einverstanden“, sagt Michael Kolbe.
Der Lehrer empfahl, der Geschichte vor Ort auf den Grund zu gehen. Rupert von Stülpnagel, Historiker und langjähriger Schuldezernatsleiter im Erzbistum, führte die Schüler durch das Haus. „Wir gingen auch auf den besagten Dachboden“, erzählt Charlotte. Dorthin sollen die Liebfrauenschwestern den versteckten Kindern abends heimlich Essen und Trinken gebracht haben. Das oberste Gebot: Geheimhaltung. Nicht einmal alle Schwestern waren eingeweiht.

Mit ganz viel Lust losrecherchiert

Nach der Führung durch die Villa war bei den Schülern die Recherche-Lust endgültig geweckt. Sie durchstöberten Online-Mediatheken, Literatur und Archive überregionaler Zeitungen. Auf einen Namen sind sie dabei immer wieder gestoßen: Margrit Korge, die als junges Mädchen an die Liebfrauenschule ging und in dem Heim der Schwestern wohnte.
Es gelang ihnen, Kontakt zu der Zeitzeugin aufzunehmen. Charlotte und Mitschülerin Antonia besuchten sie und führten ein 90-minütiges Interview mit ihr. „Sie hat uns viel erzählt, über ihr Leben, über ihre Zeit in dem Mädchenheim und an der Schule. Dass sie den Schwestern noch heute dankbar dafür ist, wie liebevoll sie behandelt wurde“, sagt Charlotte. „Aber sie sagte auch, wie wichtig sie es findet, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät“, sagt Antonia. 
Das Gespräch haben sie auf Video aufgenommen und hinterher in Schriftform gebracht – damit die Erinnerungen der 1930 geborenen Zeitzeugin der Nachtwelt erhalten bleiben. Das gesammelte Material – Zeitungsartikel, Fotos, Videos – haben sie mit  Unterstützung von Lehrer Michael Kolbe auf ein schulinternes Onlineportal geladen. Nun hoffen sie, dass die Geschehnisse mehr als bisher Eingang ins Gedächtnis ihrer Schule finden.
Denn eigentlich hatten die Schüler eher zufällig mitbekommen, was sich nur wenige Meter von den Unterrichtsräumen entfernt ereignete. „Wir haben es beiläufig von älteren Mitschülern erfahren“, erzählt Konstantin. Dass die Geschichte vorher kein großes Thema war, wunderte die Jugendlichen. Zwar erinnert seit 1998 eine Gedenktafel an der Hauswand der Villa an den mutigen Einsatz der Ordensschwestern. „Aber die ist eher unscheinbar. Man nimmt sie leider kaum wahr“, sagt er.
„Der Einsatz der Schwestern verdient noch größere Anerkennung“, sagt Mitschüler Paul. Zudem stehe es auch der Schule gut zu Gesicht, ihre Geschichte noch sichtbarer für Schülerschaft und Öffentlichkeit zu machen. „Was die Schwestern gemacht haben, war ja christlich im besten Sinne“, meint er.

„Schwestern bestärken mich im Glauben“

So sieht es auch Bruno: „Die Werte der Schwestern sie ja die, die wir noch heute vermittelt bekommen. Ich habe für mich gemerkt, dass es einen guten Nutzen hat, an einer christlichen Schule zu sein.“ Sofia, die auch Freunde hat, von denen manche die Kirche kritisch sehen, erzählt: „Die Schwestern haben aus ihrem Glauben das getan, was sie für richtig hielten. Das hat mich in meinem eigenen Glauben bestärkt.“
Ein Anfang zur Auffrischung des historischen Gedächtnisses an der Schule soll am 26. Januar gemacht werden. Bis dahin soll die schon etwas verwitterte Gedenktafel restauriert sein. Pfarrer Lutz Nehk, im Erzbistum Beauftragter für Erinnerungskultur, soll sie dann segnen – und die ganze Schulgemeinschaft, so der Plan, mit dabei sein.
Wenn zukünftig vielleicht noch mehr Liebfrauenschülern wissen, was sich an ihrer Schule einst ereignete, dann hätte Michael Kolbes engagierter Reli-Grundkurs seine Aktie daran. Der Lehrer ist jedenfalls stolz auf seine Schüler: „Ich bereue es nicht, dass ich mich von ihnen überzeugen lassen habe.“

Stefan Schilde