Die Görlitzer Kathedrale stellt das Lapidurium zur Verfügung

„Wie ein verwundeter Soldat“

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Lapidarium
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Foto: Holger Jakobi

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Das Lapidarium war früher Teil der Orgelempore der Kirche.

Das Lapidarium der Görlitzer Kathedrale St. Jakobus wird für Veranstaltungen genutzt und ist ein Erinnerungsort an die Baugeschichte der Kirche. Erinnert wird auch an die Kriegsschäden.

Über eine schmale Wendeltreppe im Turm der Görlitzer Jakobus-Kathedrale geht es mühsam Stufe um Stufe hinauf. Die Treppe aus Granit ist der Zugang zum Glockenstuhl und dient als Fluchtweg von der Orgelempore. In etwa zehn Meter Höhe erreichen Besucher einen Raum, der sie an die gotischen Gewölbe der Kirche erinnert. Der Raum war bis 1945 Teil der Empore und wurde wahrscheinlich für die Kirchenmusik genutzt. Dann wurde er vom Kirchenschiff abgetrennt und diente als Rumpelkammer.

Doch Staub, kaputtes Mobiliar und alte Akten finden sich nicht mehr. Stattdessen steht der Besucher beim Eintreten vor einem modernen runden Glasfenster. Im Zentrum befindet sich ein Kreuz. Geschaffen hat es die Görlitzer Architektin Doris Kohla. Sie weist auf eine Besonderheit des Motivs hin: „Am Morgen leuchtet die Sonne – sofern sie scheint – den Innenraum aus. Wird das Fenster hingegen am Abend von innen beleuchtet, dann fällt farbiges Licht auf die Gräber an der Nordseite.“ Andere Bildfenster im Turm werden bereits jährlich am Abend des Allerseelentages von innen beleuchtet.

Ein Schrank, Schmuckziegel und viele Informationen

Der Raum dient heute als Lapidarium (vom lateinischen Wort „lapis“ – Stein). Dort sind unter anderem originale Ziegelsteine, die während der Sanierung ersetzt wurden, zu sehen. Gezeigt werden auch glasierte Schmuckziegel, neue Mustersteine und alte Dachziegel. Es gibt Baupläne, Informationen zu den sechs Kirchenglocken, historische Fotos. Nicht zu vergessen ein originaler Sakristei-Schrank aus der Zeit um 1900. „Der Schrank ist zweigeteilt. Ihn hier herauf zu bekommen, war eine echte Herausforderung,“ erzählt Doris Kohla. In den aufgezogenen Fächern sehen die Besucher zwei liturgische Kleidungsstücke.

Das Lapidarium erinnert zudem an die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Der Architekt Thomas Backhaus, der ebenso wie Doris Kohla für die Außen- und die Innensanierung der Sankt-Jakobus-Kathedrale von 2012 bis 2022 zuständig war, hat eine besondere Sicht auf das Lapidarium: „Für mich ist dieser Raum wie ein kriegsverletzter Soldat, der Narben zurückbehalten hat.“ Narben des Krieges finden sich genügend. Zwar wurde die originale Farbgebung erhalten und restauriert, doch wo nichts mehr war, wurde auch nicht „geflickt“.

Lapidarium

Anfang Mai 1945 wurde der Glockenturm von der russischen Artillerie getroffen, so Backhaus. Die Detonationen übten einen gewaltigen Druck aus, der sich wie eine Welle in der Kirche verteilte. Die Bausubstanz wurde bis in den Chorbereich massiv geschädigt. Backhaus erklärt: „Der Turmschaft wurde förmlich aufgeschlitzt. Zerstört wurden alle Fenster, der Turmhelm, das Dach und die Orgel wurden schwer beschädigt.“ Die Jakobuskirche war nicht mehr zu nutzen. Sie war eines von zirka 80 Gebäuden in Görlitz, die Zerstörungen erlitten.

Doris Kohla meint, dass der Begriff Lapidarium vielleicht etwas zu vielversprechend sei: „Ein Lapidarium ist die Bezeichnung einer Sammlung von Steinwerken, von der Plastik bis zum einfachen Ziegelstein.“ Lapidarien gab und gibt es an den Dombauhütten, aber auch in Städten, hier zum Aufbewahren von architektonischem Kulturgut. Als in Görlitz die Frage aufkam, was mit dem Raum im Glockenturm werden solle, kam schnell die Idee ins Spiel, hier ein kleines Lapidarium mit Zeugnissen der Geschichte einzurichten. Besucher können den Raum im Rahmen von Kirchenführungen betreten. Veranstaltungen sind möglich. Am 13. April fand beispielsweise eine Lesung mit Generalvikar Markus Kurzweil im Rahmen der Veranstaltung Schlesisches Nachtlesen statt. Kurzweil stellte einen Roman von Ota Filip vor.

Thomas Backhaus lädt zudem die Gemeinde Heiliger Wenzel ein, den Raum für sich zu entdecken. „Sie wissen ja noch gar nicht, was sie hier im Turm haben. Sicher lassen sich auch Führungen für die interessierte Gemeinde organisieren“, betont der ehemalige Bauamtschef, der 2022 in den Ruhestand ging. Backhaus und Doris Kohla sind froh, dass die Sanierung der Kathedrale nun ganz abgeschlossen ist. Backhaus findet, dass die geleisteten Arbeiten den ursprünglichen großen Ideen des Breslauer Diözesanbaumeisters Joseph Ebers (1845-1923) entsprechen. Backhaus sagt: „Unsere Kirche hat ein gotisches Flair. Ebers wollte nicht einfach eine neogotische Kirche bauen, sondern durchaus eine gotische. Das hatte er von der Pieke auf gelernt.“

Für eine Führung durch das Lapidarium müssen Sie sich bei der Pfarrei Heiliger Wenzel (Struvestraße 19 in 02826 Görlitz, 03581/406730, pfarrei@wenzel-gr.de) anmelden.

 

Holger Jakobi