Seligsprechung der polnischen Familie Ulma

Engagiert für ein „Nie wieder!“

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Familie Ulma
Nachweis

Fotos: imago

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Gemälde der Familie Ulma.

Eine Gruppe von Schülern und Lehrern aus dem Gymnasium Bernhardinum in Fürstenwalde hat an der Seligsprechung der polnischen Familie Ulma teilgenommen. Die Familie hatte unter Nazi-Besatzung Juden versteckt.

Was bewegt deutsche Oberstufenschüler aus dem Erzbistum Berlin, zu einer Seligsprechung nach Polen zu fahren? „Die grausame Geschichte der Familie Ulma ist ein prägendes Bild der deutschen Vergangenheit. Da nie wieder so etwas passieren darf, ist es wichtig, auf solchartige Veranstaltungen zu gehen“, antwortet Julian Domke. Mit seinen Mitschülern Lukas Maaß und Elias Martin, dem Lehrer Adam Rozwag und dem Pastoralassistenten Lukas Schibowski machte er sich am 8. September auf den Weg nach Ostpolen. Ihre Teilnahme sei als Geste der Liebe, der Versöhnung und des gegenseitigen Respekts gemeint, erläuterte Julian Domke.

Bischöfe vor dem Bild der Familie Ulma
Seligsprechungsfeier für Familie Ulma am 10. September in ihrem polnischen Heimatdorf Markowa.

Für die kleine Gruppe war es keine private Reise. Sie verstand sich als Abordnung ihrer nahe der polnischen Grenze gelegenen  Schule und des ganzen Bistums. „Es war uns eine Freude, dass wir mit dem Segen unseres Erzbischofs Heiner Koch zur Seligsprechung fahren konnten, und dass wir mit unserem kleinen Redebeitrag beim Jugendtreffen der südöstlichen polnischen Bistümer am Vortag der Seligsprechung unsere Anteilnahme öffentlich bekunden konnten“,  schrieb Lukas Schibwoski nach der Rückkehr. 

Versöhnung braucht immer wieder Begegnung

Rückendeckung hatte die Reisegruppe auch von ihrem Schulleiter Markus Mollitor. Versöhnung über den Gräbern sei ein zutiefst christliches Anliegen, betonte er. Die Pfarrei Maria Magdalena in Frankfurt (Oder), zu der das Fürstenwalder Bernhardinum  gehört, liegt an der polnisch-deutschen Grenze. Eine Oderbrücke verbindet Frankfurt mit Słubice.
Der Weg der Versöhnung zwischen den Nachbarvölkern sei längst nicht abgeschlossen. Der Schulleiter verweist auf die historische Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder vom 18. November 1965. Darin heißt es unter anderem: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Trotz einer manchmal schmerzhaften Geschichte, politischen Schwierigkeiten, sprachlicher und kultureller Barrieren und theologischer Unverständnisse Frieden zu befördern, erfordere ständige Begegnungen und Gesten gegenseitiger Achtung und Liebe, sei den Verfassern des Textes klar gewesen. Markus Mollitor verweist in diesem Zusammenhang auf die Projekte der Gedenkstättenarbeit, Erinnerungskultur und Friedenserziehung, die im Bernhardinum zum festen Bestandteil des Schuljahres gehören. 
„Sie sind motiviert durch das christliche Postulat der Nächstenliebe, das auch beinhaltet, sich über die persönliche Verantwortung hinaus der Wiederherstellung von Recht nach begangenem Unrecht zu widmen“, schrieb er in einem Grußwort, das er den Schülern mit auf den Weg gab.
„Mit Scham stehen wir Nachgeborenen vor dem Unrecht und dem Schmerz, der von deutschem Boden über die Völker gebracht wurde, und vor den Verbrechen, die Deutsche gerade auch an der polnischen Bevölkerung begangen haben“, heißt es in seinem Grußwort. 
Mollitor schreibt weiter: „Angesichts von Krieg und Leid, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, formulieren wir das ‚Nie wieder Krieg!‘ in dem Bewusstsein, dass es zu dessen Umsetzung einer unvoreingenommenen Einladung bedarf ebenso wie des Engagements gerade unserer Schülerinnen und Schüler sowie aller Menschen guten Willens.“ 

Nächstenliebe leben trotz Lebensgefahr

Lukas Schibowski sah in der Seligsprechung eine „wunderbare Gelegenheit“, die Brücke zu überqueren, die Frankfurt von Słubice, Deutschland von Polen trennt.  „Mögen wir immer wieder Gelegenheiten zur Begegnung und zum Dialog finden, damit wir diese Brücke und jedwede Brücke, die zum Dialog führt, stets mit Liebe und mit gegenseitigem Respekt überqueren, damit wir immer mehr vereint sind und unsere Einheit in der Welt und in unserer Umgebung bezeugen!“, schreibt er in seinem Reisebericht. 
Er sieht  Familie Ulma als Vorbild für Gesten und Taten selbstloser Nächstenliebe, die vor allem denen gelten, die als Fremde in jedwedem Sinn in unserer Gesellschaft und Nachbarschaft leben. Er sieht sie als Beispiel im Alltag gelebter Heiligkeit. Ihr gewaltsamer Tod sollte eine Mahnung sein, sich für Frieden und  Versöhnung einzusetzen. 
Auch Lukas Maaß findet das Lebens- und Glaubenszeugnis der  polnischen Familie hochaktuell. Auch heute brauche es Menschen, die bereit sein, Fremde zu retten, ihnen Hilfe und Obhut zu geben, auch wenn sie dabei um ihr Leben fürchten müssen, ist er überzeugt.

Viele Menschen bei der Seligsprechung
Die polnische Bevölkerung nahm großen Anteil an der Seligsprechung einer einfachen Bauernfamilie.

Hintergrund: Familie Ulma nahm das christliche Liebesgebot ernst

Im Südosten Polens, im Dorf Markowa bei Reszów, fand am 10. September die Seligsprechung der Familie Ulma statt. Deutsche Polizisten hatten den Vater, die hochschwangere Mutter und sechs Kinder am 23. März 1944 vor ihrem Haus erschossen. Gemeinsam mit ihnen töteten die Besatzungskräfte auch die jüdischen Familien (insgesamt acht Personen), die sie in ihrem Haus versteckt hatten, um sie vor den Vernichtungslagern zu retten. 
Familie Ulma lebte in einfachen Verhältnissen. Zuerst erschossen die Polizisten unter Führung von Eilert Dieken – der für seine Tat nie gerichtlich belangt wurde –  alle Juden, die sie im Haus antrafen. Vor den Augen seiner Ehefrau Wiktoria und seiner sechs Kinder Stasia (7), Basia (6), Władzio (5), Franio (3), Antoś (2), sowie der 18 Monate alten Marysia wurde als nächstes Familienvater Józef Ulma erschossen, dann Wiktoria. Während der Hinrichtung setzten bei der Hochschwangeren die Geburtswehen ein.  Zeugen der Grablegung berichteten, dass das Köpfchen des Kindes bereits zu sehen war. Nach einer kurzen Beratung, was mit den sechs Kindern geschehen sollte, entschied Dieken, auch diese zu erschießen. So wurden auch sie mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf erschossen. 
Der seit 2003 laufende Seligsprechungsprozess der Familie Ulma ging unter anderem der Frage auf den Grund, was die  Familienmitglieder motivierte, Juden zu helfen, obwohl sie wussten, dass darauf die Todesstrafe stand. Sehr deutlich bestätigten die Untersuchungen, dass gemeinsames Gebet, Glaube und Gottesbezug das Fundament des Ehe- und Familienlebens waren. Das christliche Gebot der Nächstenliebe bewegte die fromme Familie, Juden bei sich aufzunehmen. Bezeichnend ist dabei, dass Józef Ulma in der Familienbibel die Überschrift des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter unterstrichen hatte und seine Zustimmung daneben mit einem „Tak“ (Ja) bekräftigte. Familie Ulma lebte das christliche Gebot der Nächstenliebe auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges mit aller Ernsthaftigkeit und Konsequenz, auch wenn die damit verbundene Gefahr allgegenwärtig war. 
Die ganze Familie zahlte für ihre selbstlose Tat den höchsten Preis, ihr Leben. Die Seligsprechung der Familie Ulma ist in zweifacher Hinsicht ein kirchenhistorisches Novum. Zum ersten Mal wurde eine ganze Familie und zum allerersten Mal wurde auch ein ungeborenes Kind seliggesprochen. 
Viele Teilnehmer der Seligsprechung sahen darin eine besondere Botschaft an die Welt von heute, in der das Familienbild,  für das die selige Familie Ulma vertritt, immer fremder und der Wert ungeborenen Lebens in Frage gestellt wird. 

(ls/tdh)