Zum Tod von Alterzbischof Werner Thissen
Das Vorspiel vor dem großen Finale

Auf sein Alter angesprochen, sagte Erzbischof Werner Thissen einmal: „Für mich hat die Nachspielzeit begonnen.“ Und nach einer kurzen Pause: „Aber auch in der Nachspielzeit fallen noch entscheidende Tore!“
Das war vor sechs Jahren, kurz vor seinem 80. Geburtstag. Nun ist die Nachspielzeit beendet. Das Spiel ist vorbei. Wie ist es ausgegangen? Für den Fußballfan Werner Thissen stand fest: „Egal, ob wir gewinnen oder verlieren, egal, ob wir uns über vergebene Torchancen ärgern, egal, ob wir vor Freude jubeln, Gott ist im Spiel. Immer.“
Fußball gehörte zu den vielen Dingen, für die sich dieser Bischof begeistern konnte. Sein Leben hatte viele Dimensionen. Literatur: Er hat selbst Gedichte und geistlich-literarische Texte geschrieben. Musik: Er war Liebhaber und Kenner der Oper und der klassischen Musik, führte Podiumsgespräche mit Dirigenten und Künstlern. Kunst: Wer ihn in seiner Wohnung besuchte, bekam gleich einen Bildband mit geistlichen Kunstwerken oder Architektur zu sehen, und er schwärmte für die dort abgebildeten Meisterwerke.
Den Ruf nach Hamburg, die Wahl zum Erzbischof des Bistums ganz im Norden, hat der Niederrheiner nicht nur als Auftrag, sondern als glückliche Fügung empfunden. Alles was er liebte, gab es in Hamburg in Erstliga-Qualität. Die vielen Probleme der Kirche, die kleine Zahl der katholischen Gläubigen im Norden? Werner Thissen hat sich davon nicht einschüchtern lassen. „Leinen los!“ lautete die Parole, mit der er seine erste Rede an sein Bistum – am Ende seiner Ernennungsfeier im Mariendom – beendete. Die Probleme in seinem Umfeld konnte er nicht übersehen. Wenn man von diesem und jenem redete, was nicht gut lief und einem Sorgen bereitete, schlug er einem auf die Schulter und rief: „Aber wir haben doch die beste Botschaft!“
Als Werner Thissen im Jahr 2003 Erzbischof in Hamburg wurde, war die Startphase des neuen Bistums überstanden. Wie sollte es weitergehen? In ein groß angelegtes Pastoralgespräch – Titel: „Das Salz im Norden“ – wurden überall im Bistum die Gläubigen eingebunden. Der Mariendom in Hamburg war in die Jahre gekommen. Eine „Domerneuerung“ musste her. Das Innere bekam eine helle Farbe, unter dem Altar entstand ein Kolumbarium, der Teppichboden wurde hinausgeworfen. Wesentlich schwieriger war die Umstellung von 80 Gemeinden auf 28 Pastorale Räume. Kirche findet nicht nur in den Kirchen statt. Künftig gewinnen andere „Orte kirchlichen Lebens“ Bedeutung: Schulen, Kindergärten, Sozialstationen, Jugendhäuser oder Beratungsstellen. Das war eine wegweisende Grundidee dieser Reform, die auf viele Widerstände stieß.
Herzensdinge, die auf Gegenwind stießen
Auch ein anderes Herzensprojekt des Hamburger Erzbischofs war nicht einfach umzusetzen. Die Seligsprechung der Lübecker Kapläne, die Werner Thissen 2004 einleitete, sollte ein ökumenisches Zeichen sein. Doch schon nach der ersten Ankündigung bekam er Gegenwind, mit dem er nicht gerechnet hatte. Viele Gespräche und zuletzt die Hilfe von Kardinal Walter Kasper aus Rom waren nötig, damit diese Seligsprechung im Juni 2011 ein Fest für alle Christen wurde.
Wie alle Bischöfe musste sich Thissen im Missbrauchsskandal verantworten. Die meisten Vorgänge hatten sich vor seiner Hamburger Zeit ereignet. Ihm wurden aber Versäumnisse als Personalchef und Generalvikar in Münster nachgewiesen. In einem Interview (2019) hat er dazu öffentlich Stellung genommen und eingestanden, dass er Fehler gemacht habe, dass er zu wenig Kontakt mit den Betroffenen gesucht und zu sehr auf die Therapierbarkeit der Täter vertraut habe.
Elf Jahre lang war Werner Thissen Erzbischof von Hamburg. Im Januar 2014 nahm Papst Franziskus sein pflichtgemäßes Rücktrittsgesuch an. Es begann die Nachspielzeit. Die nutzte der emeritierte Bischof für vieles, was vorher nicht möglich gewesen war. Glaubensgespräche im kleinen Kreis, Leitung von Besinnungstagen in ganz Deutschland, Einzelgespräche, einfache Gottesdienste. Und viele sagten: In der kleinen Form, in der Kürze war er am besten. Er konnte seine Zuhörer mit wenigen Worten bewegen und ihnen erschließen, was das Evangelium hier und heute und ihnen ganz persönlich sagt. Fußball hat er in seinen letzten Jahren nicht mehr gespielt. Aber er blieb in Bewegung. Man begegnete ihm auf langen Wanderungen rund um die Außenalster, obwohl eine Krebserkrankung ihn einige Jahre beeinträchtigte. Mut und Glauben verlor er dadurch nicht.
In der Nacht zum Dienstag, 15. April bekam Werner Thissen den letzten Ruf. Seine Zeit auf dem Spielfeld des Erdenlebens ist beendet. Es war nur ein Qualifikationsspiel für das große festliche Finale. Die letzte Ruhestätte wird der zweite Erzbischof von Hamburg in der Krypta des Mariendoms finden (Requiem und Beisetzung am 24. April, 11 Uhr), unter seinem Bischofsstuhl, an der Seite der katholischen Bischöfe von Hamburg.