Impuls zum Sonntagsevangelium am 10.12.2023

Der leise Visionär

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Robert Schumann
Nachweis

Foto: imago/Belga

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Als französischer Außenminister (1948–1952) entwickelte Robert Schuman ein Konzept zur Einigung Europas (Schuman-Plan). 1958 wurde er erster Präsident des neuen Europaparlaments.

Im Evangelium ruft Johannes: "Bereitet den Weg des Herrn!" Ein Wegbereiter war auch der Politiker Robert Schumann. Er hat sich für ein friedliches, geeintes Europa eingesetzt - und dafür soll er sogar seliggesprochen werden.

Er verkündet eine frohe Botschaft, er kündigt die nahe bevorstehende Ankunft eines Retters an, des Messias, wie ihn die Juden seit Jahrhunderten erwarten. Seine Fangemeinde wächst ständig, man sieht in dem bizarr gekleideten und von wildem Honig lebenden Wüstenprediger Johannes eine Reinkarnation des im Volk hochverehrten Propheten Elija. 

Doch was der Täufer zu sagen hat, ist nicht immer angenehm. Er fordert die Menschen auf, Buße zu tun und ein neues Leben zu beginnen – das Untertauchen im Jordan, das Reinwaschen des Körpers ist ein starkes Symbol dafür. Er kritisiert das Herrscherhaus von Galiläa – dem das gläubige Volk Kollaboration mit den römischen Besatzern vorwirft – für seine verkommene Moral. So lange, bis ihn der Landesfürst Herodes Antipas inhaftieren und hinrichten lässt.

Viel zu oft ernten sie Nachteile und Spott 

Wegbereiter des Guten leben gefährlich, sie stoßen in ihrem Engagement unweigerlich mit Strukturen und Repräsentanten des Bösen zusammen. Zahllos sind die Märtyrer des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, die Priester und Nonnen und Gewerkschafter und Basischristen, die in Lateinamerika verfolgt und massakriert worden sind, weil sie für die Menschenrechte eintraten. 

Und auch wenn es nicht ans Leben geht, ernten Leute, die für Toleranz, Freiheit, Gerechtigkeit eintreten und an die Veränderbarkeit elender Zustände glauben, für ihre Träume und Handlungen viel zu oft  Spott, üble Nachrede, wirtschaftliche und berufliche Nachteile.

Der Religionsphilosoph Martin Buber warb schon auf dem Zionistenkongress 1921 für eine Verständigung zwischen Juden und Arabern im Heiligen Land. Wenige Jahre später musste er Deutschland verlassen, um sein Leben zu retten. 

Papst Johannes XXIII. träumte voneiner menschenfreundlichen, einladenden Kirche und von einer Welt ohne Hochrüstung und Atomwaffen. Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, der als guter Katholik galt, habe den Friedensapostel im Vatikan für „politisch dumm“ gehalten, offenbarte der Privatsekretär des Papstes nach dessen Tod.

Von einem Wegbereiter des Guten auf politischer Ebene war in letzter Zeit öfter die Rede, weil er gute Karten hat, bald seliggesprochen zu werden: Der französische Außenminister Robert Schuman (1886 – 1963) war ein leiser Kämpfer und ein großer Visionär. Ein Grenzgänger, der – damit es nie mehr Krieg in Europa geben sollte – die Aussöhnung zwischen den alten Feinden Frankreich und Deutschland vorantrieb und konkrete Schritte zur Einigung Europas ging. Diesen Politikerkollegen bezeichnete Kanzler Adenauer bewundernd – in seiner Kölner Mundart – als „ne heiligmäßige Mann“.

Seine Religiosität hat ihn geprägt 

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich zu einem Blutbad geführt, als französische Polizisten auf demonstrierende Krupp-Arbeiter schossen. Als sich die französische Besatzungsmacht 1946 das Saarland per Zollunion einverleibte, sorgte die kluge Politik von Außenminister Schuman dafür, dass die Lage nicht erneut eskalierte: Er setzte eine länderübergreifende Behörde für die Produktion von Kohle, Eisen und Stahl durch. Erstmals verzichteten europäische Staaten auf ein Stück Souveränität, um des größeren Ganzen willen.

Schuman hat sich selbst als Grenzmenschen beschrieben. Sein Leben zwischen Kulturen prägte ihn wohl ebenso wie seine Religiosität. Der gebürtige Luxemburger wuchs mehrsprachig auf, machte in Metz ein deutsches Abitur, studierte in München, Berlin, Straßburg Jura, gründete eine Anwaltskanzlei, übernahm Führungsaufgaben im lothringischen Zusammenschluss katholischer Jugendverbände, organisierte 1913 den Deutschen Katholikentag in Metz. 

Nach Ende des Ersten Weltkriegs begann er als Stadtrat und Abgeordneter in der Nationalversammlung seine politische Karriere, man rechnete ihn der linken Mitte zu. Als Hitler-Deutschland Frankreich unterworfen hatte, war Schuman der erste Politiker, den die Gestapo verhaftete. Freunde konnten seine Deportation in ein KZ verhindern, und mit Hilfe einflussreicher Gönner in der deutschen Abwehr um Admiral Canaris konnte Schuman aus der Haft fliehen. 

Als Bergwanderer verkleidet und mit falschen Papieren überschritt er die Grenze zum unbesetzten Teil Frankreichs, versteckte sich in Benediktinerklöstern, warb Mönche mit ihrem Abt für die Widerstandsbewegung. Man habe ihn für verrückt gehalten, berichtete ein Ehepaar, weil er mitten im Krieg von einer deutsch-französischen Union als Basis eines vereinten Europa geträumt habe, statt gegen die verhassten Deutschen zu hetzen.

Später amtierte er in acht Kabinetten nacheinander als Außenminister. Alarmiert durch die amerikanisch-britische Hilfsbereitschaft beim deutschen Wiederaufbau, konzentrierte man sich in Frankreich darauf, die Industrie des Kriegsgegners unter Kontrolle zu haben. 

In dieser Situation vollbrachte Schuman das Wunder der länderübergreifenden Behörde für Kohle, Eisen und Stahl, die ja Bestandteile der Rüstungsproduktion waren. „Deutschland ist am gefährlichsten“, so sein Argument, „wenn es auf sich selbst verwiesen ist und so einer zerstörerischen Gärung überlassen wird.“

Beisetzung ohne Staatspräsident

Hinter dem Projekt, über das fast ein Jahr lang verhandelt werden musste, stand Schumans Vision: „Europa muss sich eine Seele schaffen. Europa muss wieder ein Wegweiser für die Menschheit sein. Europa ist gegen niemand. Das geeinte Europa ist ein Symbol der allumfassenden Solidarität der Zukunft.“ Im Bewusstsein gemeinsamer kultureller und religiöser Traditionen könne man die geistigen Grundlagen einer europäischen Union legen – dann erst kämen die politischen und wirtschaftlichen Details.

Wie alle Visionäre stieß auch Robert Schuman zeitlebens auf Misstrauen und Widerstand. Als er 1963 starb, blieb der französische Staatspräsident Charles de Gaulle der Beisetzung in der Kapelle einer mittlelalterlichen Templerkirche fern und ließ auch den deutschen Kanzler Adenauer wissen, seine Anwesenheit sei nicht erwünscht.

Christian Feldmann