Ein "Pro und Contra"

Dienstpflicht für alle?

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Seit Monaten wirbt der Bundespräsident für ein Pflichtjahr für alle. Einige katholische Verbände sind dagegen. Sie wollen die Freiwilligkeit der Dienste besser belohnt sehen. Was hilft der Gesellschaft mehr: eine Dienstpflicht für alle oder ein besser als heute gefördertes freiwilliges Engagement? Johannes Becher ist für die Pflicht, Evelyn Schwab setzt dagegen auf die Freiwilligkeit.



Das Pfichtjahr könnte in vielen Feldern absolviert werden – zum Beispiel im Umweltschutz.


PRO

Seltsam. Da ist von Zwang, ja zuweilen gar von Zwangsarbeit die Rede. Dabei geht es lediglich darum, alle Mitbürger für das Wohlergehen der ganzen Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Seltsam auch: Als es noch die Wehrpflicht in Deutschland gab, da hat niemand über einen Zwang fabuliert. Es ging halt um die Verteidigungsfähig-keit des Landes. Dabei ist es heute doch sehr ähnlich. Es geht um Verteidigung. Zugegeben: nicht am Hindukusch, sondern allerorten zwischen Nordsee und Alpen. Der Erhalt des Gemeinwohls ist massiv bedroht. Allerorten regiert Egoismus, zielen viel zu viele Menschen auf ihren Eigennutz.
Bundespräsident Steinmeier hat Recht, wenn er das beklagt. Und dazu einlädt, über Wege zu mehr Zusammenhalt in unserem Land zu sprechen. Viel zu viele Menschen leben in ihrer eigenen Blase – von ähnlich Situierten und Sozialisierten. Das Internet mit seinen Schubladen bauscht das noch weiter auf. Es ist höchste Zeit, dass Menschen über Gruppeninteressen und -prägungen hinweg stärker in einen Austausch kommen. Damit man vonein-ander erfährt, nach welchen Werten die anderen leben, wie sie politisch ticken und was sie religiös prägt.
All denen – und das sind zum Glück schon viele –, die bereits ehrenamtlich und freiwillig für andere im Einsatz sind, denen wird ja nichts weggenommen. Ja, ein Tun aller in dieser Weise würde sogar dem Dienst für andere künftig größere Wertschätzung bringen. Und was Rahmenbedingungen und Belohnung für die guten Taten betrifft: Darüber werden wir dann genauso reden müssen, wie es heute schon nötig wäre.
Natürlich verhilft ein soziales oder ökologi-sches Jahr jüngeren Menschen auch zu mancher Klarheit bei der Berufswahl. Älteren würde der Weg aus dem Erwerbsleben in die Rente erleichtert. Doch der Hauptgrund für ein „Jahr für alle“ ist sein Beitrag für mehr Zusammenhalt im Land.

Johannes Becher, Redaktionsleiter

 

CONTRA

Ein staatlich verordnetes Dienstjahr zugunsten der Gesellschaft für alle jungen Menschen – klingt das zunächst einmal gut? Freiwillige Angebote, sich zu engagieren, gibt es ja schon. Soll da denn unbedingt eine Pflicht kommen für jede und jeden? Lassen sich Engagement und Motivation überhaupt erzwingen?
Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat es schon immer mal Stimmen gegeben, die eine solche allgemeine zivile Dienstpflicht forderten. Im Zuge dazu wurden auch jeweils Gegenargumente formuliert. Unter anderem tauchte dabei der Arbeitsdienstgedanke und sein Missbrauch im Nationalsozialismus auf. Experten beratschlagten, ob etwa ein verpflichtender sozialer Dienst mit dem Europäischen Recht und mit internationalen Abkommen vereinbar sei. Mit dem Deutschen Grundgesetz wäre er es im Augenblick jedenfalls nicht. Das müsste der Bundestag erst mit Zweidrittelmehrheit ändern. Weil ein Pflichtdienst unseren elementaren Freiheits- und Grundrechten widerspräche.
Abgesehen davon haben sich bereits die Träger der Freiwilligendienste, der Gemeinschaftsdienste und der Entwicklungsdienste mehrfach gegen allgemeine und verpflichtende Dienstzeiten in Deutschland ausgesprochen. Beteiligte und Betroffene dort wollen keine jungen Menschen für motivationslos ausgesessene Dienstpflichtzeiten. Da wachsen weder Solidarität noch Gemeinsinn. So etwas passiert doch nicht unter Zwang.
Meiner Meinung nach sollten die bereits bestehenden Freiwilligendienste aufgewertet und besser beworben werden. Hat jemand schon einmal berechnet, welche immensen Kosten allein die Organisation eines neuen Pflichtdienstes verschlingen würde? Mit einem Bruchteil davon könnte ausgebaut und gefördert werden, was schon da ist. Umfassende Info-Kampagnen sollten stattdessen jungen Menschen Lust machen, sich für gesellschaftliches Engagement einzusetzen. Aus eigener Überzeugung und freiwillig.

Evelyn Schwab, Redakteurin