Nora Bossong feierte mit 39 Jahren ihre Erstkommunion
Endlich dazugehörig
Foto: Borst-Stiftung
Nora Bossong erinnert sich noch gut an diesen besonderen Tag im Oktober 2021. In der Berliner Canisiusgemeinde feierte die damals 39-Jährige ihre Erstkommunion. „Es war der erste Todestag meines Vaters. Ein trauriger Anlass – dem ich etwas Schönes entgegensetzen wollte“, sagt sie. Einige wenige Frauen, die regelmäßig den Werktagsgottesdienst in der Gemeinde besuchen, saßen in den Bänken. „Normalerweise ist ja nicht so viel los unter der Woche“, sagt Bossong. „Freunde von mir waren mit dabei, die sehr unterschiedlich zur Kirche stehen: gläubig, ausgetreten, protestantisch, katholisch, interessiert.“
Bossong ist eine sehr bekannte deutsche Schriftstellerin und wurde unter anderem 2020 mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet hauptsächlich in Berlin. Aufgewachsen ist sie in Hamburg und Bremen. Dort besuchte sie mit ihrem Vater regelmäßig Gottesdienste. „Er war der katholische Part in meiner Familie und es war uns beiden wichtig, am Sonntag in die Kirche zu gehen“, sagt sie.
Die Erstkommunion hat sie einfach verpasst
In Bremen nahm sie noch an der Vorbereitung zur Erstkommunion teil. Doch in diese Zeit fiel der Umzug nach Hamburg. „Es war alles unglaublich stressig – und dann haben wir irgendwie den Zeitpunkt verpasst, dass er mich in der katholischen Gemeinde anmeldet, die gibt es ja im protestantischen Hamburg auch nicht wie Sand am Meer“, sagt Bossong. So habe sie ihre Erstkommunion schlicht verpasst.
Als sie später wieder in Bremen lebte, starteten viele ihrer Freunde mit dem Konfirmationsunterricht. „Ich bin dann auch ab und an hingegangen“, sagt sie. Als der evangelische Pastor zum Hausbesuch kam und ihr vorschlug, sich doch konfirmieren zu lassen, war sie entschieden: „Ich bin katholisch und das wird auch so bleiben.“
Und dennoch fühlte sie sich nicht als ein vollgültiges Mitglied der katholischen Kirche. „Ich habe ja nie an der Eucharistie teilgenommen. Und das hat mich auf eine gewisse Art auf Distanz gehalten. Ich gehörte dazu – aber irgendwie auch nicht ganz“, sagt Bossong. Sie fühlte sich, als stünde sie am Rand, als sei sie eine Beobachterin, die aber nicht richtig dazugehört. „Dabei habe ich mich durchaus auch darüber definiert, dass ich katholisch bin. Das wussten auch meine Familie und Freunde.“
Seit ihrer Erstkommunionfeier hat sich das verändert. Es sei ein besonderes Gefühl, nicht nur über das Sehen, Singen und Mitbeten am Gottesdienst teilhaben zu können. „Mal kann ich mich mehr auf die Eucharistie einlassen, bin kontemplativ offener. Mal bin ich mit den Gedanken abwesender. Immer aber ist es ein Gefühl von Erhabenheit, das mich erfüllt“, sagt sie. „Ich erkunde das jetzt erst richtig.“
Sie spürt aber auch die Verantwortung. „Ich bin jetzt ein Teil der Gemeinschaft, ein volles Mitglied – mit allen Vor- und Nachteilen. Ich bin dadurch auch angreifbar“, sagt sie. Denn natürlich habe sie in den vergangenen Jahren mit der Kirche gehadert. „Die Missbräuche durch Geistliche, die Art, wie es vertuscht wurde und weiter zu vertuschen versucht wird, das ist die Umkehrung des christlichen Glaubens, das ist die Perversion dessen, wofür Kirche stehen sollte“, sagt sie. „Über Austritt habe ich immer wieder nachgedacht.“
Kontakt zu Klaus Mertes bestärkt sie
In ihrer Berliner Gemeinde traf sie auf Pater Klaus Mertes, der als Schulleiter des Canisiuskollegs die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in Deutschland vorantrieb. „Er sagte einmal sinngemäß in einem Interview, es dürfe nicht darum gehen, die Kirche als Institution zu schützen. Wir müssten stattdessen den Opfern gerecht werden. Da hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich in der Kirche bleiben kann, so lange es Menschen wie ihn gibt“, sagt sie. Seit 2021 ist Bossong gewähltes Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und versucht auch dort, „im Kleinen und mit bescheidenen Möglichkeiten“, wie sie sagt, etwas zu verändern.
Heute besucht sie wöchentlich eine heilige Messe. „Gerade habe ich die Fünf Bücher Mose gelesen. Da habe ich noch einiges an Lesestoff vor mir“, sagt sie. Und sie ist begeistert von der Liturgie. Sie ist Ministrantin geworden. „Ich wollte als Kind schon Messdienerin sein“, sagt sie. „Sich zum Heiligen zu verhalten – das ist etwas, was mich aus dem Alltäglichen heraushebt. In der Liturgie spüre ich die Gemeinschaft. Das ist ein Moment der Überschreitung, wo ich über mein eigenes profanes Leben hinauswachsen kann.“