200. Geburtstag der Bistümer Hildesheim und Osnabrück

Geländespiel mit dem Papst

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Ein beschriebenes Papier mit aufwendigen Verzierungen
Nachweis

Foto: Bistumsarchiv

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Eng beschrieben und hübsch gestaltet: Auszug aus dem päpstlichen Schreiben, das 1824 Grundlage war für die Neuordnung der Bistümer Hildesheim und Osnabrück. Foto: Bistumsarchiv

Die Bistümer Hildesheim und Osnabrück sind nachweislich über 1000 Jahre alt. Warum sie in wenigen Tagen trotzdem ihren 200. Geburtstag feiern können, erzählt in einem Gastbeitrag der emeritierte Professor für Kirchengeschichte, Hans-Georg Aschoff aus Hannover.

Am 26. März 2024 kann das Bistum Hildesheim seinen 200. Geburtstag begehen. Zwar geht seine Gründung schon in das 9. Jahrhundert zurück; jedoch erfolgten vor 200 Jahren so tiefgreifende Veränderungen in der Bistumsgeschichte, dass man vom Entstehen einer neuen Diözese Hildesheim sprechen kann. Ähnliches trifft auch auf das Bistum Osnabrück zu.

Auf dem Wiener Kongress (1814/15), der über die Neugestaltung Europas nach den napoleonischen Kriegen entschied, wurde das Kurfürstentum Hannover zum Königreich erhoben und durch die Zuweisung neuer Gebiete erheblich vergrößert. Dem Kernstaat wurden die Fürstentümer Hildesheim, Osnabrück und Ostfriesland, die ehemalige Reichsstadt Goslar, das Emsland und der nördliche Teil des Eichsfeldes angegliedert. Diese Gebietszuwächse hatten erhebliche kirchen- und konfessionspolitische Folgen. Das ehemals rein protestantische Hannover wurde zu einem konfessionell gemischten Staat. 1815 waren von ca. 1,5 Millionen Einwohnern 77 Prozent evangelisch-lutherisch, 13 Prozent waren Katholiken, die sich vor allem im Eichsfeld, im Emsland sowie in den Fürstentümern Hildesheim und Osnabrück konzentrierten, und sieben Prozent bekannten sich zur Reformierten Kirche.

Der Staat hatte ein Interesse an der Neuordnung der Kirche

Die katholische Bevölkerung verteilte sich zu diesem Zeitpunkt kirchlich auf die Bistümer Mainz, Münster, Osnabrück und Hildesheim sowie auf das Apostolische Vikariat der Nordischen Missionen. Eine Neuordnung der katholischen Kirche lag im Interesse des Staates; sie konnte ein Mittel sein, um die neu­erworbenen Gebiete in den hannoverschen Staatsverband zu integrieren. Deshalb war die Anpassung der Diözesangrenzen an die Landesgrenzen ein wichtiges Ziel der Regierung, um Einwirkungsmöglichkeiten auswärtiger kirchlicher Stellen auszuschalten. Außerdem wollte sie sich Mitwirkungsrechte bei der Besetzung geistlicher Stellen, vor allem der Bischofsstühle, sichern. Generell war der Staat an der Wiederherstellung der kirchlichen Organisation interessiert, die durch die Säkularisation zu Beginn des Jahrhunderts erschüttert worden war. In der Religion und der Kirche, die Gehorsam gegen die „gottgewollte Obrigkeit“ geboten, sah er wichtige Verbündete in seinem Kampf gegen politische und gesellschaftliche Umwälzungen.

Für die Neuordnung der katholischen kirchlichen Verhältnisse war das Einverständnis des Papstes notwendig. Seit dem Frühjahr 1817 führte die hannoversche Regierung in Rom als erster protestantischer Staat des Deutschen Bundes Verhandlungen mit der Kurie, um das Verhältnis von Staat und Kirche durch ein Konkordat zu regeln. Zur hannoverschen Verhandlungskommission gehörten der Gesandte Friedrich von Ompteda, dem nach seinem Tod 1819 Franz von Reden folgte, der Jurist Justus Leist und als Gesandtschaftssekretär August Kestner. Die Konkordatsverhandlungen scheiterten aufgrund unterschiedlicher prinzipieller Standpunkte beider Seiten. Die hannoversche Regierung hielt an Forderungen fest, die in josephinistisch-staatskirchlichen Auffassungen gründeten und weite Bereiche des kirchlichen Lebens einer staatlichen Kontrolle unterworfen hätten. Die Kurie dagegen erhob den Anspruch auf kirchliche Autonomie und Koordination mit der staatlichen Gewalt. Wegen dieser nicht zu überbrückenden Unterschiede richteten sich die Verhandlungen seit Dezember 1821 auf das Zustandekommen einer Zirkumskriptionsbulle. Im Unterschied zu einem Konkordat klammerte die Bulle eine Reihe von Fragen aus, die das Staat-Kirche-Verhältnis betrafen; sie regelte lediglich die äußeren kirchlichen Verhältnisse, wie die Umschreibung der Diözesen, den Modus der Bischofswahl, die Besetzung der Domkapitel und die Dotation der Diözesaneinrichtungen, wozu der Staat aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, der reichsrechtlichen Grundlage der Säkularisation, verpflichtet war.

In diesen Verhandlungen stellte sich unter anderem die Frage nach der Anzahl der Bistümer. Auf dem hannoverschen Territorium befanden sich die beiden Bischofssitze Hildesheim und Osnabrück. Neben Gründen der Kostenersparnis waren politische Überlegungen für die Absicht der Regierung maßgeblich, lediglich ein Bistum zu dotieren: Da etliche Fragen des Staat-Kirche-Verhältnisses offengeblieben waren und diese durch ein Arrangement mit den kirchlichen Leitern im Lande gelöst werden mussten, glaubte die hannoversche Regierung, ihre Forderungen gegenüber einem einzigen Bischof leichter durchsetzen zu können. Als Bischofssitz kam für sie wegen der räumlichen Nähe zur Hauptstadt nur Hildesheim in Frage. Demgegenüber beharrte der römische Verhandlungspartner, Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi, auf der Aufrechterhaltung beider Bistümer. Um ein Scheitern der Verhandlungen zu verhindern, einigte man sich auf einen Kompromiss: In der Bulle sollte die Umschreibung für zwei Diözesen festgelegt werden, deren Grenze die Weser bildete; die westlich der Weser gelegenen Gebiete gehörten zu Osnabrück, die östlichen zu Hildesheim. Die Osnabrücker Diözese sollte der Hildesheimer Bischof als Administrator verwalten und in der Stadt Osnabrück einen Generalvikar bestellen, der als Weihbischof auch pontifikale Funktionen ausüben konnte. Wegen fehlender finanzieller Mittel stattete der Staat vorerst nur das Bistum Hildesheim mit einem Domkapitel und einem Priesterseminar aus. Der Regierung blieb es überlassen, wann sie auch das Bistum Osnabrück mit den notwendigen Diözesaneinrichtungen versehen wollte. Diese Regelung wurde in die Zirkumskriptionsbulle „Impensa Romanorum Pontificum“ aufgenommen, die Papst Leo XII. am 26. März 1824 verkündete und die am 2. Juni 1824 in der hannoverschen Gesetzessammlung erschien, wodurch sie auch staatliche Wirkung erhielt.

Neben der Umschreibung der Diözesen enthielt die Zirkumskriptionsbulle Bestimmungen über die Dotation der Diözesaneinrichtungen. Nach der Aufhebung des alten Hildesheimer Domkapitels sollte das neue Kapitel aus einem Dechanten, sechs Kanonikern und vier Vikaren bestehen. Das Einkommen des Bischofs wurde auf 4000 Reichstaler (Rtr.) festgesetzt, außerdem wurde ihm eine Wohnung zugewiesen. Dem Domdechanten standen 1500 Rtr., den beiden ersten Kanonikern 1400 Rtr., den mittleren 1000 Rtl., den beiden letzten 800 Rtr. und den Vikaren 400 Rtr. zu. Die gleiche Dotation wie Hildesheim sollte auch das Bistum Osnabrück erhalten, sobald es die finanzielle Lage des Staates erlaubte. Während der Aussetzung dieser Dotation erhielt der Hildesheimer Bischof als Administrator von Osnabrück eine Zulage von 2000 Rtr. und der Dechant des Hildesheimer Kapitels von 300 Rtr.; diese Zulage gewährte man hannoverscherseits um so lieber, weil man hoffte, dass dadurch die leitenden Persönlichkeiten des Hildesheimer Bistums kein großes Interesse und Engagement an der Ausstattung des zweiten hannoverschen Bistums entwickeln würden. Während der Aussetzung der Dotation Osnabrücks sollten alle hannoverschen Priesteramtskandidaten im Hildesheimer Seminar ausgebildet werden.

Gegenleistung: Der Staat darf an der Bischofswahl mitwirken

Als Gegenleistung für die Dotation des Bistums galt das von der Kurie der Regierung eingeräumte Mitwirkungsrecht bei der Bischofswahl und der Besetzung des Domkapitels. Das Domkapitel hatte nach Eintritt der Sedisvakanz der Regierung eine Liste mit Kandidaten für das Bischofsamt einzureichen. Die Regierung hatte das Recht, ihr nicht genehme Personen zu streichen; jedoch musste noch eine ausreichende Anzahl von Namen auf der Liste erhalten bleiben, um eine echte Wahl zu ermöglichen. Das Domkapitel schritt dann zur Wahl eines nicht beanstandeten Kandidaten, der vom Papst bestätigt wurde. Ein ähnliches Verfahren wurde bei der Besetzung vakanter Domherrenstellen angewandt. Der in der Bulle verankerten Verpflichtung, die Dotierung des Bistums in liegenden Gründen, Zehnten und Grundzinsen vorzunehmen, kam die hannoversche Regierung nicht nach, sondern zahlte die Leistungen bar aus den staatlichen Kassen, nicht zuletzt um die Kirche in einem Abhängigkeitsverhältnis vom Staat zu halten.

Das durch die Bulle neuumschriebene Bistum Hildesheim umfasste ein Territorium von ca. 32 000 Quadratkilometern, das im Wesentlichen mit dem heutigen östlich der Weser gelegenen Teil des Bundeslandes Niedersachsen identisch ist. Hildesheim gehörte damit flächenmäßig zu den größten deutschen Diözesen; da der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung unter zehn Prozent lag, stellte es ein typisches Diasporabistum dar. Die 1824 bestehenden 75 Pfarreien konzentrierten sich auf das ehemalige Hildesheimer Stiftsgebiet und das nördliche Eichsfeld; außerhalb dieser katholischen Kerngebiete gab es nur in Hannover, Celle und Göttingen katholische Pfarreien. 1834 wurde das Herzogtum Braunschweig mit den Pfarreien in Braunschweig, Wolfenbüttel und Helmstedt Teil der Hildesheimer Diözese. 

Die Zirkumskriptionsbulle verlieh dem katholischen Kirchenwesen im Königreich Hannover eine Basis, auf der eine geregelte Seelsorge aufgebaut werden konnte. Und sie prägte die Grundstruktur der beiden niedersächsischen Diözesen Hildesheim und Osnabrück bis ins 21. Jahrhundert. 1857/58 erhielt dann auch Osnabrück die Dotation.  

 

Hans-Georg Aschoff