Das bundesweite Projekt „Starke Kinder Kiste“
Ich bin wertvoll

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Die „Starke Kinder Kiste“ ist ein bundesweites Präventionsprogramm der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel in Karlsruhe und richtet sich an Kindertagesstätten.
„Ich sag Nein – lass das sein – Grenzen setzen, nicht verletzen!“, haben die Vorschulkinder der Kindertagesstätte St. Paulus in Fulda gerappt und die Arme vor der Brust gekreuzt. Das war ihr Start beim Projekt „Starke Kinder Kiste“, das von Mitte Januar bis Anfang März immer an zwei Vormittagen in der Woche in der Kita lief. Es fand bereits zum dritten Mal statt. Die Mädchen und Jungen haben mit einem Gefühlswürfel gespielt, gesungen, sich mit ihren Erzieherinnen ausgetauscht, welche Berührungen sie mögen und welche nicht, und in den vorherigen Jahren auch mal Megafone gebastelt. Die Kuscheltier-Katze Kim begleitete sie. Ganz nebenbei haben sie so gelernt, für sich Grenzen zu setzen, in Worte zu fassen, was ihnen guttut und was nicht. Die Kita St. Paulus hat sich das Projekt mit zwei weiteren Kindertagesstätten der Pfarrgemeinde St. Lioba geteilt.
Sie holen eher Hilfe
Die „Starke Kinder Kiste“ ist ein bundesweites Präventionsprogramm der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel in Karlsruhe und richtet sich an Kindertagesstätten. „Sexuelle Gewalt beginnt häufig schon im Vorschulalter, also genau in dem Alter, in dem Kinder oft zum ersten Mal außerhalb der Familie betreut werden“, sagt Geschäftsführer Jerome Braun. Kinder, die früh erfahren, dass sie wertvoll sind, dass ihre Gefühle zählen und dass sie Nein sagen dürfen, seien besser geschützt. „Nicht, weil sie Täter oder Täterinnen entlarven, sondern weil sie sich eher Hilfe holen, wenn sie sich unwohl oder bedroht fühlen“, so Braun. Prävention heiße, frühzeitig stärken, bevor etwas passiere. Das gelinge nur, wenn die Kinder von Anfang an in den Mittelpunkt gestellt, sie ernst genommen, und ihnen Hilfestellungen an die Hand gegeben würden, mit denen sie sich selbst schützen können.
Die Kiste wird von der Kuschelkatze Kim als Geschenk in die Kita gebracht. Es soll den Kindern helfen, sich selbst als ihren größten Schatz zu behüten. Das Projekt ist geeignet für Mädchen und Jungen von vier bis sechs Jahren. In der Kiste befinden sich sogenannte Schutzschätze – Bücher, Spiele, Lieder und kreative Impulse, mit denen die pädagogischen Fachkräfte die sechs Präventionsprinzipien spielerisch vermitteln sollen. Diese sind: „Meine Gefühle sind richtig“, „Ich darf Nein sagen, aber habe keine Schuld, wenn etwas passiert“, „Es gibt gute und schlechte, Bauchweh-Geheimnisse“, „Ich kann Hilfe holen“, „Ich kann angenehme und unangenehme Gefühle unterscheiden“ und „Mein Körper gehört mir!“. „Die ‚Starke Kinder Kiste‘ lädt Kinder mit viel Freude dazu ein, den eigenen Körper kennenzulernen – wertschätzend, neugierig und ohne Scham“, erklärt Geschäftsführer Braun.

Auch die Eltern könnten helfen, dass die Kinder ein positives Körpergefühl entwickeln, ist er sich sicher. „Sie sind die ersten Vorbilder für den Umgang mit dem eigenen Körper und prägen durch ihre Haltung maßgeblich das Körperbild ihrer Kinder“, sagt Braun. Ein positives Körperbild entstehe dort, wo Kinder spüren: Ich bin richtig, so wie ich bin. „Eltern sollten ihren Kindern zuhören, sie ernst nehmen, ihre Grenzen respektieren und offen über Körper, Gefühle und Regeln des Miteinanders sprechen – altersgerecht und ohne Tabus“, sagt er.
Das Erlebte arbeitet in den Kindern
Die Leiterin der Kindertagesstätte in Fulda, Judith Maier, hat gute Erfahrungen mit dem Projekt gemacht. „In der Regel machen die Kinder gut mit und haben Freude. Sie kommen zwar nicht mit einer anderen Persönlichkeit aus dem Projekt heraus, aber man merkt, dass es in ihnen arbeitet. Sie erinnern sich gegenseitig an Dinge aus der Kiste, sagen selbstbewusst Nein und achten auf das Empfinden des Gegenübers“, erzählt sie. Auch Eltern würden berichten, dass Kinder zu Hause von dem Projekt erzählen und es in ihnen weiterarbeitet. Auf Kinder anderer Muttersprache müssten sie besonders Rücksicht nehmen, da viel gesprochen wird und es daher länger dauert, bis sie die Einheiten verstanden haben. „Das Tolle ist, dass man sich nicht stur an das Programm halten muss, sondern als Kita-Team kreativ werden und es an die eigene Einrichtung anpassen kann“, sagt Maier.
Das Bistum Fulda unterstützt die „Starke Kinder Kiste“ seit vier Jahren. 39 katholische Einrichtungen hatten sie schon im Einsatz. „Kinder stark zu machen, sie über ihre Rechte aufzuklären, ist ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit, der bereits in der Vorschularbeit ansetzen muss“, erklärt Birgit Schmidt-Hahnel, Präventionsbeauftragte des Bistums. Sie ist von dem Projekt überzeugt, da es gut evaluiert und sehr kindgerecht gestaltet ist. „Das zentrale Anliegen ist, Kinder spielerisch und mit viel Freude am Entdecken des eigenen Körpers, mit den eigenen Grenzen und Gefühlen vertraut und sprechfähig zu machen“, sagt sie. Begrüßenswert sei, dass die Kita-Fachkräfte die Botschaften der „Starken Kinder Kiste“ mit den Kindern erarbeiten. „Die Themen werden nicht von Experten oder Expertinnen von außen mit den Kindern besprochen, sondern von Vertrauenspersonen“, sagt Schmidt-Hahnel.
Bestärkung in wertschätzender Haltung

Die Kita-Fachkräfte werden bei einer eintägigen Fortbildung geschult und darauf vorbereitet, dass sich möglicherweise Kinder ihnen während des Projekts mitteilen möchten. Auch die Eltern werden in einem Elternabend einbezogen. „Sie werden in einer wertschätzenden Haltung in der Erziehung bestärkt. Das bedeutet, Kindern zu vermitteln, dass sie gut sind, so wie sie sind. Wesentlich ist, sich für sie Zeit zu nehmen und für sie da zu sein, sich für sie zu interessieren und zuzuhören – so gut es in dem oftmals stressigen Familienalltag möglich ist“, erklärt die Präventionsbeauftragte.
Sie betont auch, dass das Projekt den Anspruch hat, nachhaltig zu wirken, sodass der Kita-Alltag auch danach mit großer Achtsamkeit gestaltet wird. „Prävention ist eigentlich ein ermutigendes und freudiges Thema für alle, auch wenn der Hintergrund – Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen – ein sehr ernster ist“, findet Schmidt-Hahnel.
„Kinder brauchen Wurzeln und Flügel“
Diplom-Psychologe Dirk Anglowski leitet die Ausbildung der Erzieher und Erzieherinnen in Vollzeit an der Katholischen Berufsbildenden Schule (KBS) in Mainz. Er erklärt, welche Punkte ihm bei der Ausbildung besonders wichtig sind.
Was brauchen Kinder, um zu starken Menschen heranzuwachsen?
Kinder brauchen Wurzeln und Flügel, um resilient, widerstandsfähig zu werden. Das heißt, dass sie innere Stärke besitzen, Handlungsstärke. Sie haben erlebt, dass sie selbstwirksam werden können, dass sie etwas beeinflussen können.
Kinder brauchen Wurzeln, eine gute Bindung zu den Eltern, die Sicherheit, dass ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Diese Seite sollte allerdings nicht überbetont werden. Jungen und Mädchen müssen auch Flügel wachsen, ihr Selbstvertrauen muss sich entwickeln können. Dazu müssen Kinder vor Herausforderungen gestellt werden, an denen sie auch scheitern können. Sie müssen auch Erfahrungen mit Belastungen und Frust machen dürfen. Wenn sie lernen, damit umzugehen, zu überlegen, was sie aus der Niederlage lernen können, kann ihr Ich wachsen.

Eltern sollten den sicheren Hafen bieten und klarmachen, dass die Kinder angenommen und geliebt sind. Gleichzeitig sollte man sie loslassen, dass sie Neues entdecken können, auch auf die Gefahr hin, dass sie scheitern.
Warum sind diese Fähigkeiten im Hinblick auf die Prävention so wichtig?
Wenn ich selbstbewusst bin, weiß ich, dass ich meinen Fähigkeiten vertrauen kann. Ich kann „Nein“ sagen, wenn mir etwas nicht guttut. Wenn ein Kind sicher auftritt, kann dies bei kleineren Grenzverletzungen abschreckend sein, wenn etwa jemand ein Mädchen oder Junge an Stellen berühren möchte, an denen es dies nicht mag.
Wie können Kinder ein positives Körpergefühl entwickeln?
Sie sollten lernen, sich selbst wahrzunehmen. Bewegung ist gut. Ich spüre dabei etwa, wie mein Herz schneller schlägt und wie viel Energie in mir steckt. Kinder können auch ihre Stimme ausprobieren und merken, wie laut sie ist. Eltern sollten die Selbstwahrnehmung der Kinder spiegeln und positiv bewerten. „So fühlt es sich für dich an? So ist es richtig“, könnte man sagen.
Wie kommt die „Starke Kinder Kiste“ in die Kita?
Drei bis fünf Kitas schließen sich zusammen und beantragen bei der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel eine kostenlose „Starke Kinder Kiste“ mit einem Wert von 2250 Euro. Das Präventionsprogramm beinhaltet zudem Begleitmaterial für Fachkräfte und 500 Mini-Bücher. Die notwendige Fortbildung wird mit 150 Euro unterstützt. Für Einrichtungen in Rheinland-Pfalz gibt es noch ein größeres Kontingent, das bis November 2025 abgerufen werden kann.
Infos: www.starkekinderkiste.de, info@haensel-gretel.de