Berlins Kultursenator Joe Chialo im Porträt

Katholischer Afropäer

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Joe Chialo
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Hans-Christian Plambeck

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Berlins katholischer Kultursenator Joe Chialo

Joe Chialo ist Sohn eines tansanischen Diplomaten und zum großen Teil erzogen von deutschen Salesianern. Als Kultursenator in Berlin greift er durch gegen Hass und Unrecht. Und fühlt sich der christlichen Nächstenliebe verpflichtet

So etwas ist selten im grantigen Berlin. In der Hauptstadt sind viele Menschen – egal ob konservativ, grün oder links – ziemlich angetan von ihrem neuen Kultursenator. „Cool“, „kompetent“, „erfrischend anders“ lauten häufige Zuschreibungen. Dabei ist Joe Chialo (CDU) ein durchaus streitbarer Mensch.

Wenige Stunden vor dem Interview mit dieser Zeitung hat der 53-Jährige einer Neuköllner Kultureinrichtung die staatlichen Fördermittel in Millionenhöhe gekündigt, nachdem diese propalästinensischen Aktivisten ein Forum geboten hatte. „Da muss ich einfach handeln, da muss ich mich dem Unrecht entgegenstellen“, sagt Chialo auf die Frage nach dem zuletzt immer aggressiver gewordenen Antisemitismus in Berlin: „Für mich bedeutet christliche Nächstenliebe auch, Position zu beziehen und notfalls Gegenwind zu ertragen, so wie es Jesus Christus getan hat.“ 

Die Bibel ist ein Ankerpunkt

Man merkt, wie das Thema den ersten schwarzen Senator Berlins persönlich anfasst. Spätestens seit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem nachfolgenden Krieg in Gaza ist der Mann, der 1970 in Bonn geboren wurde und seit April in Berlin auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt verantwortlich ist, rund um die Uhr ausgebucht. Für eine Kirchenzeitung nimmt er sich dennoch Zeit. Anders als viele andere Politiker des Landes, die keiner Kirche mehr angehören, ist Chialo bekennender Katholik und fest im Glauben verankert. Auf die Frage etwa, welche christlichen Werte ihm besonders wichtig seien, antwortet der Senator ohne jedwedes Zögern: „Die Zehn Gebote.“ Dann schaut er auf sein Handy und liest die komplette Bergpredigt vor. Und dann wäre da noch Psalm 23. „Es gibt einige christliche Ankerpunkte in meinem Leben“, sagt der Sohn einer tansanischen Diplomatenfamilie.

Anfang der 1990er Jahre war der Mann, der sich gerne als Afropäer bezeichnet, Sänger bei der Rockband „Blue Manner Haze“. Nach der Trennung der Gruppe stieg Chialo ins Musikgeschäft ein und dort rasch auf. Er gründete ein eigenes Label, betreute unter anderem die Kelly-Family und wurde bei dem weltweit größten Musikunternehmen Universal bald Europachef. Diese Internationalität merkt man Chialo an. Im Gespräch verwendet der Polit-Quereinsteiger etliche Anglizismen, sogar dann, wenn er über seinen Glauben spricht. „Ich habe eine echte Verbindung zu Jesus Christus, zur Muttergottes Maria, die Teil meines Lebens geworden sind. Das ist viel mehr als nur ein Nice-to-have-Accessoire oder eine Lifestyle-Attitüde.“ Oder Chialo kreiert komplett neue Wörter. Zum Beispiel „Oldschool-Frömmigkeit“, wenn er von den Glaubenstraditionen in Deutschland spricht.

In Tansania hat der Glaube noch die Kraft der Jugend

Seine frühe Kindheit hat Chialo teils in Tansania, teils in Deutschland verbracht. Den Unterschied im Katholizismus beider Länder beschreibt er wie folgt: „In Tansania ist die Religion schon deswegen lebendiger, weil der Altersdurchschnitt der Bevölkerung dort wesentlich jünger ist. Der Glaube hat dort noch die Kraft der Jugend.“ Überdies sei das Glaubensleben in Afrika generell oft sehr fröhlich und lebensbejahend, sagt er. 

Schon im Alter von neun Jahren wurde Joe Chialo zusammen mit seinem Bruder der Obhut eines Internats der Salesianer Don Boscos im Rheinland anvertraut, weil damals der Vater von der Botschaft in Bonn nach Schweden versetzt wurde. Im Internat lernte er, wie seinerzeit üblich, noch viel Zucht und Ordnung kennen. Entsprechend dualistisch war auch sein erstes Gottesbild. „Das war vor allem geprägt von Gegensätzen wie Himmel und Fegefeuer, richtig und falsch, Gott und Teufel“, sagte Chialo einmal der evangelischen Zeitung Chrismon. 

Es gibt den strengen und den verzeihenden Gott

Doch so sollte es nicht bleiben. Heute sagt der Katholik: „Für mich war irgendwann klar, dass dieser Gott, der uns einen freien Willen gegeben hat und uns diesen auch lässt, nur ein liebender Gott sein kann.“ Chialo sieht darin auch keinen Widerspruch zu alten Überzeugungen. „Wenn Sie die Bibel lesen, dann finden Sie darin sowohl den strengen, den strafenden als auch den verzeihenden und liebenden Gott.“

Nach seiner tiefgläubigen Mutter war es vor allem der inzwischen verstorbene Salesianerpater Karl Oerder, der Chialos Religiosität beeinflusste. Oerder nahm die Chialo-Brüder oft mit auf Reisen, brachte sie an den Wochenenden bei deutschen Gastfamilien unter und sprach gerne und viel mit ihnen. Der Salesianer konnte komplexe Zusammenhänge in kurzen Sprüchen zusammenfassen, erinnert sich Chialo. „Zum Beispiel: ‚Was einst als Blitz will zünden, muss lange Wolke sein.‘ Oder: ‚Man geht den Berg nicht mit großen, sondern mit kleinen Schritten hoch‘“. Zudem habe ihm Pater Oerder durch sein Beispiel gezeigt, „was es bedeutet, sich für andere einzusetzen“. Nach einer Weile fügt Chialo noch hinzu, dass es vor allem Christen wie Oerder waren, die ihm sein Ankommen in Deutschland und somit seinen aktuellen Werdegang ermöglicht haben. 

Von den Grünen zu den Christdemokraten

Zu Chialos Werdegang gehört neben der Musik vor allem die Politik. Bundesweit bekannt wurde er aufgrund seiner Berufung in das „Zukunftsteam“ von Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) zur Bundestagswahl 2021. In den 1990er Jahren war Chialo noch Mitglied der Grünen. Im Streit um die Bundeswehreinsätze auf dem Balkan verließ er die Partei jedoch wieder. 

2016 trat er, weil er Angela Merkels Asylpolitik als zutiefst christlich empfand, in die CDU ein. Inzwischen hat sich allerdings sein Blick auf die Einwanderungspolitik etwas verändert. „Der ehemalige Bundespräsident Gauck hat es treffend ausgedrückt: ‚Unsere Herzen sind weit, die Möglichkeiten jedoch begrenzt.‘ Das müssen wir als Senat in unserem Handeln widerspiegeln“, sagt der Senator. 

Auch zu seiner ersten politischen Heimat hat sich Chialos Einstellung gewandelt. Bei den Grünen habe er oft den Eindruck, die Partei versuche „den Menschen vorzuschreiben, was sie tun und lassen sollen“. Wohingegen die Christdemokratie mehr auf die persönliche Freiheit und Eigenverantwortung des Menschen setze. „Da fühle ich mich zu Hause“, sagt Chialo. Im Glauben wie in der Politik

Andreas Kaiser