Interview

Kinder wollen gesehen werden

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Vater und zwei Kinder schauen an einer Tomatenpflanze nach, ob die Frucht grün oder rot ist.
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Kinder mögen es, wenn die Eltern gerne mit ihnen Zeit verbringen. 

Eltern müssen nicht perfekt sein, aber sie sollten ihre Kinder liebevoll begleiten, ihnen zuhören und sie ernst nehmen. Die Kinder lernen durchs Vorbild – auch, dass es guttut, im Alltag Pausen zu machen und zu entspannen, sagt Autorin Nora Imlau.

Viele Eltern wollen in der Erziehung alles richtig machen und geraten dadurch manchmal in Stress. Warum es guttut, öfter zu entspannen, erklärt Nora Imlau, Autorin des Buchs „Bindung ohne Burn-out“ im Interview.

Zeiten und Generationen von Eltern wandeln sich. Wie würden Sie das „Eltern-Klima“ von heute umschreiben?

Eltern sind heute informierter als frühere Elterngenerationen und entscheiden sich sehr bewusst für einen Erziehungsstil, der zu ihren persönlichen Werten passt – da ist eine viel stärkere Individualisierung zu beobachten, als dies vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war. 

Gleichzeitig sind Eltern heute gestresster als frühere Elterngenerationen: Viele Eltern reiben sich an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf und quälen sich mit Schuldgefühlen herum, weil sie ihren eigenen hohen Idealen in Sachen Elternschaft und Erziehung oft kaum hinterherkommen. Da hinterlässt die Sozialisation in unserer Leistungsgesellschaft Spuren: Unperfekt zu sein und Fehler zu machen, können Eltern heute schwer aushalten.

Frisch geschnittenes Obst in der Brotzeitbox, jedes Fußballspiel des Kindes klatschend unterstützen, abends vorlesen – die meisten Eltern wollen ihr Bestes geben, manchmal bis zum Umfallen. Was ist Ihr Rat, es nicht so weit kommen zu lassen?

Sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: Eine sichere und tragfähige Eltern-Kind-Bindung. Damit die entstehen und wachsen kann, braucht es laut Bindungsforschung zwei „Zutaten“: Feinfühligkeit und Responsivität. Das heißt: Wir müssen genau hinspüren, was unsere Kinder brauchen, und ihnen eine adäquate Antwort darauf geben. Das gelingt uns aber nicht, wenn wir dauergestresst sind. Die Grundvoraussetzung für Feinfühligkeit ist eine gewisse Entspannung sowie eigenes Wohlbefinden. „Nur wenn wir selbst gut stehen, können wir andere gut halten“, formuliert das die Trauma-Therapeutin Kati Bohnet. Für Eltern bedeutet das oft: weniger ist mehr. Wenn ich mir den Stress spare, morgens aufwändige Snacks zu richten, und deshalb mehr Kraft und Geduld für das Miteinander mit meinem Kind übrig habe, haben alle gewonnen. 

Viele Eltern vergleichen sich und sehen bei anderen (ob auf Instagram oder im Bekanntenkreis) nur, was die alles besser können: besser selbst backen, besser mit den Kindern spielen, kinderleicht Familie und Job unter einen Hut bringen. Was würden Sie den Eltern gern zurufen?

Dass wir immer nur Ausschnitte der Lebenswirklichkeit anderer sehen, nie das ganze Bild. Deshalb stehen wir im Vergleich oft gefühlt schlechter da. Gerade in den sozialen Netzwerken ist es oft so, dass sehr privilegierte Menschen dort ihr Familienleben zeigen, aber nicht, dass ihnen Haushaltshilfe, Nanny und andere Hilfen zur Verfügung stehen. So kann man auch leichter entspannt mit Kindern Muffins backen ... 

Ich möchte Eltern deshalb gern zurufen: Glaubt nicht alles, was Ihr seht. Guckt lieber auf das, was bei Euch selbst schön ist, was Euch glücklich macht. Und seid versichert, dass es in allen Familien Phasen gibt, in denen es mehr ums tägliche Überleben als ums Genießen geht. Das ist kein Scheitern, das ist ganz normal.

Was glauben Sie, sind die Grundpfeiler für eine liebevolle Begleitung der Kinder?

Sich gut um sich selbst kümmern. Und das eigene Kind ehrlich interessiert kennenlernen: Was für ein Mensch bist du, was brauchst du, wie kommen wir gut miteinander aus? Kinder sehnen sich danach, gesehen zu werden. Sie wünschen sich, dass wir ihnen zuhören, sie ernst nehmen und für sie da sind. Wichtig für eine liebevolle Begleitung ist auch, dass unsere Kinder keine Angst vor uns haben. Dass sie wissen: Zu meinen Eltern kann ich immer kommen, egal, was ich angestellt habe. Sie werden mich immer lieben und mich nie bestrafen. Auf dieser Basis entsteht eine emotionale Sicherheit, die fürs Leben trägt.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass sich Eltern bewusst Pausen nehmen sollen. Es ist bekannt, dass Pausen Körper und Geist guttun. Warum fällt es gerade Eltern so schwer, dies ohne schlechtes Gewissen umzusetzen?

Weil sie es nicht vorgelebt bekommen haben. Viele haben auch ihre eigenen Eltern immer nur rackern sehen. Deshalb sage ich Eltern: zu Eurer Vorbildrolle gehört auch, euren Kindern zu zeigen, wie man sich ausruht. Lebt ihnen vor, wie man Pause macht, Tee trinkt, eine Freundin anruft, ein Nickerchen auf dem Sofa macht. Zeigt ihnen, dass man sich Pausen nicht erst verdienen muss, sondern dass es ein Grundrecht auf Erholung gibt. Pausemachen muss ja nicht Nichtstun bedeuten. Ich kann mich auch beim Tanzen entspannen, bei der Gartenarbeit oder beim Kochen. Wichtig ist nur, dass ich das, was ich tue, freiwillig und gerne tue, weil es mich entspannt, und nicht, weil ich es muss. Sonst ist es Arbeit, keine Pause. 

Sie schreiben über zehn Ideen für mehr Leichtigkeit. Wenn Sie nur zwei nennen können, welche wären es?

Die wichtigste ist mir: erlaubt Euch, es Euch leicht zu machen. Nutzt Abkürzungen. Niemand verleiht Euch eine Goldmedaille dafür, Elternsein ohne Schnuller oder ohne YouTube-Clips beim Zähneputzen zu schaffen. Nutzt die Hilfsmittel, die es gibt, wenn sie Euch und Euren Kindern guttun! Und: lernt, Hilfe anzunehmen. Jede Form von Unterstützung – ob bezahlt oder unbezahlt, durch Großeltern oder Pizza-Lieferdienste – ist eine großartige Sache. Wir müssen das alles nicht alleine schaffen.

Sie sind Vierfachmutter, Autorin, Journalistin und Rednerin – wie gelingt es Ihnen, bei allem Engagement in allen Bereichen nicht auszubrennen?

Ich habe zwei Jobs, die ich liebe und die mich erfüllen: meine Erwerbstätigkeit und mein Muttersein. Beides mache ich mit viel Liebe und Leidenschaft, das ist schon mal eine ganz gute Burnout-Prophylaxe. Und dann beherzige ich meine eigenen Tipps: Ich sorge gut für mich. Ich priorisiere meinen Schlaf über meinem Haushalt und gelingende Beziehungen über Leistungserwartungen nach außen. Ich mache Pausen, die mir guttun. Ich erlaube mir, es mir leicht zu machen. Und wenn ich spüre, dass meine Belastungsgrenze naht, fahre ich mein Engagement zurück und setze erstmal auf Selbstfürsorge, bevor es mit allem anderen weitergeht. 

Interview: Christine Schniedermann

Nora Imlau, Bindung ohne Burnout, Kinder zugewandt begleiten ohne auszubrennen, Beltz Verlag, 20 Euro

 

Kraftquellen finden

Nora Imlau gibt in ihrem Buch viele Tipps, wie Eltern sich selbst und ihr Kind stärken können. Zum Beispiel:

  • Achtsam mit den eigenen Ressourcen wie Geduld, Empathie oder Energie umgehen

  • Zum Aufladen schwindender Energie eigene Kraftquellen wie Gespräch mit Freundinnen, Natur oder Momente der Stille finden

  • Auf Pragmatismus setzen: Bügeln mal sein lassen oder die Brotzeit für die Kinder vor der Kita beim Bäcker kaufen, anstatt selbst zu machen

  • Zusammen geht es leichter: Care-Arbeit besser auf beide Elternteile verteilen

  • Den Kindern stärkende Sätze sagen wie „Ich glaube an dich“, „Deine Meinung ist mir wichtig“ oder „Ich liebe dich, so wie du bist.“