Der Priester Peter Kossen kämpft gegen die Ausbeutung von Arbeitern

Moderne Sklaverei

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Viele gerupft und geschlachtete Hähnchenkörper hängen an Haken
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Foto: picture alliance/dpa/Jens Wolf

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Fleisch am Fließband: In Schlachthöfen ackern viele Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa - teils unter miesen Bedingungen.

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In der Lesung redet der Prophet Amos den Unterdrückern ins Gewissen. Heute kämpft der Priester Peter Kossen gegen die Ausbeutung von Arbeitern. Er ist überzeugt davon, dass die Kirche soziale Missstände anprangern muss.

Als Peter Kossen vor ein paar Jahren zurück in seine Heimat kam, spürte er bald: Hier stimmt was nicht. Über Caritas-Beraterinnen hörte der Priester, wie armselig es vielen osteuropäischen Werkvertragsarbeitern erging – in dieser reichen Region, dem Oldenburger Land. Er hörte von Rumänen und Bulgaren, die in der Fleischindustrie ausgebeutet wurden, für winzige Löhne schufteten und manchmal monatelang gar kein Geld bekamen. Er hörte von Familien, die in verschimmelten Bruchbuden hausten und monströse Mieten zahlen mussten. Von Männern, die sich im Drei-Schicht-Betrieb ein Bett teilten. Von Frauen, die ungewollt schwanger wurden und daraufhin Wohnung und Job verloren. 

Kossen ist überzeugt davon, dass es die Aufgabe der Kirche ist, solche Missstände anzuprangern. „Von unserer Botschaft, von unserem Selbstverständnis her stehen wir auf der Seite der Kleinen und Schwachen“, sagt er. Der Prophet Amos mache das im Lesungstext dieses Sonntags sehr deutlich. Amos redet den Ausbeutern ins Gewissen, die fälschen, betrügen und rauspressen, was geht: „Hört dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt und die Gebeugten im Land unterdrückt!“ 

„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“

Kossen erkennt, dass heute vieles ist wie damals. Er beobachtet, „dass es aktuell einen Raubtierkapitalismus gibt“, und er betont: „Die Kirche muss etwas dagegenstellen.“ Sie müsse „eine klare Ansage“ machen – auch auf die Gefahr hin, dass sie sich unbeliebt macht. Die Kirche müsse dem Leben dienen: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“

Verhältnisse wie in der heimischen Fleischindustrie, sagt Kossen, habe er vorher „höchstens aus dem Geschichtsunterricht, aus der Industriellen Revolution“ gekannt. In einer Predigt wetterte er gegen die Missstände. Sprach von „moderner Sklaverei“. Und ging an die Presse. Kossen machte die Ausbeutung der Arbeitsmigranten in der Region zum Thema. Er schuf ein Problembewusstsein. Er hielt Vorträge, sprach bei Demonstrationen und auf Podien, saß sogar im Polit-Talk „Günther Jauch“ in der ARD. Kossen, damals Stellvertreter des Bischöflichen Offizials in Vechta, machte sich damit auch Feinde. In der Wirtschaft, in der Politik. Bei vielen, die von den Verhältnissen profitierten. Er wurde bedroht: Unbekannte legten ihm ein totes Kaninchen mit abgezogenem Fell vor die Tür. Er ging zur Polizei und kämpfte weiter. Gegen die Ausbeutung der Armen durch die Reichen.

Von Woche zu Woche erfuhr der Priester neue Details über die Arbeitssklaven in seiner Heimat. Er sah, dass die Schicksale der Rumänen und Bulgaren keineswegs Einzelfälle waren, wie manch ein Lobbyist gern behauptete. Er sagt: „Ich musste mit der Zeit erkennen, dass die Ausbeutung von Arbeitsmigranten System hat, dass sie Züge von Menschenhandel hat, dass dahinter eine hohe kriminelle Energie steckt.“ 

Was diese modernen Sklaven erlitten, hat Kossen berührt. Ein Fall ist ihm besonders in Erinnerung geblieben; sein Bruder, der als Hausarzt im Oldenburger Land arbeitet, hat ihm davon erzählt: Da kam ein Mann in seine Praxis, der für einen Subunternehmer in der Reinigungskolonne eines Schlachthofs arbeitete. Er hatte am ganzen Körper schwerste Verätzungen, die von Reinigungsmitteln stammten. Der Mann berichtete, die Schutzanzüge der Putzleute seien unzureichend, sie arbeiteten unter extremem Zeitdruck und seien kaum in Sicherheitsvorschriften eingewiesen worden. Kossen sagt: „Dieses Verschleißen von Menschen, das finde ich am krassesten: dass innerhalb von wenigen Jahren junge, kräftige, motivierte Menschen im Grunde aufgebraucht sind durch die Lebens- und Arbeitsverhältnisse, in denen sie stecken.“

„Ich muss unterstellen, dass Umkehr möglich ist“

Das Problem der massenhaften Ausbeutung von Werkvertragsarbeitern ist trotz Kossens Engagement nicht verschwunden. Er sagt: „Es ist nach wie vor riesig.“ Andere Branchen übernahmen die Tricks, die in der Fleisch-
industrie funktionierten. „Das System hat Schule gemacht, im negativen Sinne“, sagt Kossen. Zum einen, kritisiert er, seien die Gesetze dagegen noch immer nicht scharf genug. Zum anderen hätten viele der ausländischen Arbeiter weder den Mut noch die Möglichkeiten, um ihre Rechte einzuklagen. Also bleibt Kossen dran – auch wenn er mittlerweile nicht mehr in Vechta arbeitet, sondern als Leitender Pfarrer in Lengerich bei Münster. Er weiß: „Ohne Penetranz verändert sich nicht nennenswert etwas.“

Und bei den Ausbeutern? Gibt es da überhaupt die Hoffnung, dass sie sich ändern? „Ich muss den Leuten schon von Berufs wegen unterstellen, dass Umkehr möglich ist“, sagt der Priester. „Da müssen wir wirklich mit Gott rechnen und damit, dass Menschen sich auch mal im Herzen berühren lassen.“ 

Er glaubt aber auch, dass man sich das Problem „im großen Stil schönredet“. Dass die Ausbeuter denken, die Osteuropäer hätten es in Deutschland doch immer noch besser als in ihrer Heimat. Und dass sie über ihre Qualen hinwegsehen. Er vermutet, dass das damals bei Amos auch so war. Und Amos hat klargemacht, dass Gott selbst etwas gegen die Ausbeuter hat. Er sagt, Gott habe geschworen: „Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen.“

Jeder, betont Kossen, könne heute etwas gegen die Leiden der Lohnsklaven tun. Er kann ihnen, die oft unauffällig wie Schattenmenschen leben, zeigen, dass er sie sieht. Er kann sie ansprechen, im Kindergarten, im Supermarkt, in der Nachbarschaft. Er kann, wenn er Billigfleisch kaufen will, auch überlegen, warum es so wenig kostet. Kossen sagt: „Das ist ein Stück christliche Lebenshaltung zu fragen: Wer zahlt den Preis meines Lebensstils?“

 

Wenn Sie mehr über Peter Kossen lesen möchten, lesen Sie den Beitrag „Irgendwann ist auch der Stärkste am Ende" oder "Kommt, jetzt gehen wir da durch!".

Andreas Lesch