Jubiläum Westfälischer Friede

"Nicht aufhören mit den Gebeten"

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Ein großer Saal mit einem Deckengemälde
Nachweis

Foto: Christian Grovermann

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Konfessionsverbindend: Im „Rittersaal“ der Iburg finden sich Bilder von Franz Wilhelm von Wartenberg, seinem Nachfolger Ernst August und dessen Ehefrau sowie ein Doppelbildnis Kaiser Karls des Großen mit dessen Gemahlin. Foto: Christian Grovermann

Jedes Jahr laden die Kirchen der Stadt Osnabrück zu einem ökumenischen Gottesdienst ein, um an den Westfälischen Frieden zu erinnern. In diesem Jahr predigt Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche, außerdem stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Im Interview schildert sie Kerngedanken ihrer Predigt.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit dem Westfälischen Frieden beschäftigt?

Das war in der Schule, als es um den Dreißigjährigen Krieg ging. Mich hat dieser Unterrichtsstoff nachhaltig beeindruckt. Wir hatten gute Geschichtslehrer, die uns sensibel vermitteln konnten, wie grausam es damals zugegangen sein muss und was 30 Jahre Krieg auch für die Zivilbevölkerung bedeutet hat. 30 Jahre, das war für uns ein unfassbar langer Zeitraum. Mir vorzustellen, dauernd in lebensbedrohlicher Unsicherheit zu leben, und zu lernen, was Menschen einander antun können – das hat mich als jungen Menschen zutiefst erschreckt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich damals dachte: Kein Wunder, dass es bei all dem Schmerz und der maßlosen Wut Jahre gebraucht hat, bis die Menschen Frieden schließen konnten. 

Eine evangelische Bischöfin steht in einer Kirche
Bischöfin Fehrs aus Hamburg. Foto: Marcelo Hernandez

Denken Sie heute oft an dieses Thema?

Durch das bevorstehende Jubiläum habe ich mich wieder näher damit beschäftigt, auch als Teil unserer Reformationsgeschichte. Und fast immer denke ich daran, wenn ich Lieder von Paul Gerhardt singe, der im Dreißigjährigen Krieg so unendlich viel Schmerz und Leid erfahren hat. Dass dann trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – Texte entstanden sind wie „Geh aus mein Herz und suche Freud“, zeugt von einem so tiefen Gottvertrauen, dass es mich jedes Mal anrührt. Genauso wie der Westfälische Friede, der nach 30 Kriegsjahren für über 150 Jahre Stabilität und Sicherheit gesorgt hat. Seine Architekten sind schon bewundernswert.

Ist es für Sie außergewöhnlich, heute in einer katholischen Kirche zu predigen?

Das kommt nicht allzu häufig vor, aber in Hamburg leben wir eine gute Ökumene. Als etwa der inzwischen verstorbene Weihbischof Jaschke verabschiedet wurde, hatte er mich gebeten, die Predigt zu halten. Dieses Zeichen ökumenischer Herzensweite und Freundschaft hat mich sehr gefreut.

Und in einem Dom?

Das ist nicht so ungewohnt für mich, eine meiner häufigen Predigtstätten ist der evangelische Dom zu Lübeck. Aber davon unabhängig – dass der Gottesdienst am 25. Oktober in einer katholischen Kirche stattfindet, ist für mich ein wichtiges ökumenisches Zeichen. Es zeigt eine starke Verbundenheit der Konfessionen, die im Westfälischen Frieden errungen wurde und die wir auch heutzutage unbedingt benötigen.

Welche Kernbotschaft bringen Sie mit?

Die Grundlage für die Predigt ist ein Text aus dem Philipperbrief, der beschreibt, dass und wie wir uns sozial verhalten sollten. Es gibt so etwas wie eine pro-soziale Haltung, die der Mensch von Beginn an hat, einen Instinkt, für den anderen und damit auch für die Gemeinschaft und das Miteinander etwas Positives bewirken zu wollen. Diesen immer wieder zu schützen und zu stärken, gerade in diesen Tagen, wo so viel Unfrieden die Seelen aufwühlt, ist dringend geboten. Vertrauen in das Gute, das das Böse zu überwinden vermag, ermöglicht erst den Frieden in einer Gesellschaft und ist elementar für eine stabile Demokratie. Wir wissen alle, dass dies nicht einfach ist – allemal, wenn Menschen einander unglaublich viel Schmerz antun und millionenfach sinnlosen Tod betrauern müssen. So wie es im Dreißigjährigen Krieg war. Er lehrt uns, auch im Blick auf die furchtbaren Kriege unserer Tage, wie unverzichtbar das ist, was im ersten Artikel des Westfälischen Friedensvertrags so klar benannt wird: „auf daß jeder Teil Nutzen, Ehre und Vorteil des anderen fördere …“

Sie bauen also auch aktuelle Bezüge in Ihre Predigt ein?

Die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens fordern aktuelle Bezüge ja geradezu heraus: Die furchtbare Eskalation im Nahostkonflikt, der Krieg gegen die Ukraine oder die Auseinandersetzungen in Syrien oder Berg-karabach, das wird in der Predigt vorkommen. Und wenn wir uns vorstellen, dass ab Ende 1644 fast vier Jahre um den Frieden gerungen wurde, kann ich aus heutiger Perspektive nur sagen: So lange darf ein Friedensprozess nicht dauern. Wir müssen Gespräche, Verhandlungen und das Schweigen der Waffen fest im Blick behalten. Und wir müssen uns von allen Kriegen dieser Welt mahnen lassen, dass wir nicht aufhören dürfen mit unseren Friedensgebeten. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit dem grausamen Morden, Terror und Menschenverachtung.

Im Juni waren beim Ökumenischen Kirchentag in Osnabrück auch Protestanten zum Empfang der Eucharistie eingeladen. Was bedeutet Ihnen diese Gastfreundschaft?

Das ist ein ganz wichtiges Zeichen ökumenischer Gemeinschaft gewesen. Und es ist ein mutiges Zeichen. Ich finde, dass dieser Mut, über einen Schatten zu springen, unbedingt dazugehört, um aufeinander zugehen zu können. Sich in die Gedanken des anderen zu versetzen, ist eine Voraussetzung, einen solchen Schritt zu ermöglichen. An der Basis verstehen es viele Menschen nicht mehr, warum der Empfang der Eucharistie nicht so einfach möglich sein soll, das gilt insbesondere für Menschen in konfessionsverschiedenen Ehen.

Welche Schritte in Bezug auf die Ökumene wünschen Sie sich aktuell von der katholischen Kirche?

Der Synodale Weg hat die Vielfalt der katholischen Kirche zum Vorschein kommen lassen. Und es ist nicht immer ermutigend, was sich gerade aus römischer Perspektive dazu ergibt. Ich wünsche deshalb allen Reformfreudigen, auch den Bischöfen, dass sie weiterhin mit Kraft und Hoffnungsmut an den Themen dranbleiben. Angesichts des Vertrauensverlustes, den wir als Institutionen generell erfahren, brauchen wir dringend Reformbewegungen, da schließe ich uns als evangelische Kirche nicht aus.

Und was erwarten Sie diesbezüglich von Ihrer eigenen Kirche?

Ich finde, dass wir uns schon vielseitig die Hände reichen, gerade was den Tisch des Herrn angeht. Wir pflegen gute Freundschaften und stimmen in vielen ethischen Fragen überein, zum Beispiel in unserer Haltung zu Migration und Flüchtlingsschutz. Natürlich bleiben Unterschiede, denen man aber auch argumentativ begegnen kann. Wir sind schon gut gemeinsam unterwegs.


Der Friedensgottesdienst ist am Mittwoch, 25. Oktober, um 18 Uhr im Osnabrücker Dom. Er endet mit der Verleihung des „Osnabrücker Ökumenepreis 2023“, den sich zwei Preisträger teilen. Für „eine ganz normale Ökumene“, die alltäglich gelebt wird, geht er an die Evangelisch-lutherische Johanneskirchengemeinde Vehrte und die Katholische Kirchengemeinde Schmerzhafte Mutter Icker. Preisträger ist auch das ökumenische Projekt „Trude lädt ein“, das in Verbindung mit der Krankenhausseelsorge am Osnabrücker Ameos-Klinikum rund um die Gertrudenkirche spirituelle und kulturellen Angebote macht.

Matthias Petersen