"Das Ethik-Eck": Was tun, wenn kirchliche Heimat verlorengeht

Trauern erlaubt, Mut erwünscht

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Die Frage lautet diesmal: „Kirchliche Heimat. Ich bin traurig. Meine Pfarrei wird mit anderen zusammengelegt. Deshalb ist nicht mehr jede Woche eine Eucharistiefeier. Und wenn, dann kommt irgendein Pfarrer zum Predigen und Zelebrieren, den ich oft gar nicht kenne. Da geht mir mein kirchliches Zuhause flöten. Wie kann ich zu einer Haltung kommen, die das Neue besser annimmt?“


Meister der Veränderung
Veränderung und Krisen sind uns vertraut: Corona, Klima, Krieg und eben auch die Entwicklung der Kirche haben Einfluss auf unseren Alltag. Welche Faktoren beeinflussen eigentlich, ob wir in der Lage sind, eine Krise zu überwinden? Wenn es also so etwas wie „kirchliche KrisenexpertInnen“ gäbe, welche Haltungen können wir uns von ihnen abschauen?  


Bernadette Wahl hat Theologie
und Religionspädagogik studiert,
ist systemische Beraterin und
arbeitet für das Bistum Fulda
in der Citypastoral.

Kirchliche KrisenexpertInnen betrauern respektvoll das, was nicht mehr da ist oder bald nicht mehr sein wird – ohne sich darin völlig aufzulösen: Viele Gläubige haben noch das Glück, einen Pfarrer oder Hauptamtliche vor Ort zu kennen, mit denen sie in gutem Kontakt stehen, die sie in schwierigen Zeiten begleitet haben oder mit denen sie sogar befreundet sind. Ja, es kann sein, dass dieser Kontakt schwieriger wird, wenn die Räume größer werden und Hauptamtliche nicht mehr regelmäßig vor Ort sind.
Kirchliche KrisenexpertInnen sehen die Chancen in der Veränderung: Fast keine Veränderung ist in ihrer Gänze schlecht. Und nie verändert eine neue Pfarreigröße „alles“ vor Ort.
Kirchliche KrisenexpertInnen erkennen an, dass Veränderungen zusätzliche Energie brauchen, und planen deswegen besondere „Auftank-Maßnahmen“ ein: Es ist hilfreich, die vorhandenen Kraftquellen vor Ort zu finden. In den verschiedenen Gruppen kann es sein, dass ein außerordentliches Grillfest ohne Arbeitsagenda atmosphärisch Wunder wirkt. Auch die Entscheidung, einzelne Veranstaltungen abzusagen oder die Frequenz zu verändern, kann Platz schaffen und Kraft geben.
Kirchliche KrisenexpertInnen übernehmen Verantwortung für ihr Glaubensleben und suchen Gott im „eins zu eins“: Unsere persönliche Gottesbeziehung hängt nicht allein von der Pfarreigröße, der Qualität der pastoralen Arbeit und der Anzahl der Gottesdienste ab. Wir müssen lernen, auch geistlich für uns zu sorgen und regelmäßige Auszeiten, Spaziergänge oder wohltuende persönliche Gebetszeiten einzuplanen.
Kirchliche KrisenexpertInnen vertrauen fest darauf, dass Gott die Kirche leitet: Der Heilige Geist ist in der Geschichte bis heute ein Meister der Veränderung, der uns Ideen, Inspiration und Trost zuspricht.

 

Trauern erlaubt
Wenn die gewohnte Form, die wöchentliche Messe, der vertraute Raum mit den bekannten Menschen, die eine Heimat, vielleicht ein Gefühl der Geborgenheit gaben, verschwinden, und klar wird, so wird es nie mehr sein: Ja, das ist traurig. Ein echter Verlust.
Und dieser Verlust ist ja nicht der einzige.


Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und
Sexualberatung im Haus
der Volksarbeit in Frankfurt.

Wo man in der Kirche hinschaut: Vieles geht verloren. Menschen treten aus, die Bänke leeren sich. In manchem Gottesdienst kann man sich einsam fühlen. Kirche scheint öffentlich immer weniger wahrgenommen zu werden. Ihre Stimme dringt nicht mehr durch.
Diese Verluste treffen je nach Lebenssituation auch auf andere. Wenn ich älter werde, prägt ein Gefühl von Verlust auch sonst meinen Alltag: Die Gesundheit will nicht mehr so, die alten Bekannten sind nicht mehr mobil. Für die eigenen Kinder ist Gottesdienst und Kirche nicht mehr wichtig, obwohl sie noch begeisterte Messdiener waren. Das Enkelkind ist vielleicht nicht mehr getauft.
Ja, es gibt Grund, traurig zu sein. Trauer ist ein wichtiges Gefühl, das oft zu schnell übergangen wird.
Schnell gibt es die Stimmen: Aber es kommt doch etwas Neues! Aber es geht doch nun mal nicht anders! Da liegen doch auch Chancen! Stimmt ja.
Nur, wenn zu schnell von Chancen und Neugestaltung gesprochen wird, kommen die Gefühle vielleicht erst mal nicht mit. Und die übergangenen Gefühle können zu Ablehnung und Bitterkeit führen.
Trauern erlaubt zu spüren, dass etwas Wichtiges nicht mehr da ist, vorbei ist. Und eine Lücke bleibt, die nicht gefüllt wird. Jedenfalls nicht so schnell.
Es braucht Zeit. Dann braucht es Trost. Und neue gute Erfahrungen. Trost, dass auch weiter dasselbe Evangelium verkündet wird und dasselbe Vater-Unser gebetet wie in all den Jahrhunderten vorher. Dass die Zumutungen uns gemeinsam treffen. Dass viele Menschen sich redlich mühen, gemeinsam weiter als Christen zu leben. Dass es auch neue Ideen gibt, die gut sind und gelingen können. Und Formen, mit denen ich mich allmählich anfreunden kann.
Trauern hilft beim allmählichen Einverständnis, dass alles immer wieder sich ändert. Und das wahrscheinlich auch so sein muss. Dass nicht alles beim Alten nur gut war.Schön, wenn sich jemand nicht auf Dauer verschließt, sondern sich dem Neuen allmählich öffnet.
Dann kann der Gottesdienst, den die pastorale Mitarbeiterin gestaltet oder das Team der Ehrenamtlichen, auch gut tun, das ein oder andere überraschend hilfreich und ansprechend sein.
Und vielleicht gibt es mit der Zeit wieder auch ein bisschen Heimat.

 

Der Mut als Tugend
Was soll ich tun? Das ist die ethische Frage schlechthin. Auch, wenn es um die Veränderungen in der Kirche geht. Allerdings nicht nur dort. Denn Veränderungen gibt es überall und dauernd.


Thomas Laubach (Weißer)
ist Professor für Theologische
Ethik an der Universität
Bamberg und lebt nahe Mainz.

Der Bäcker um die Ecke verschwindet, das Klima wandelt sich, Jahrzehnte des Friedens in Europa gehen zu Ende. Überall Veränderung und ich muss darauf reagieren. Was soll ich tun? Ich könnte mich gegen Veränderungen stemmen. Oder nach Wegen suchen, mit ihnen zurechtkommen. Die Frage lautet also:
Wie damit umgehen? Zwei Aspekte sind hier aus ethischer Sicht gefragt.
Zum einen: Um zu wissen, was ich tun soll, ist der Blick auf die eigenen Emotionen wichtig. In unserem Fall: Trauer, Fremdheitserfahrung, Angst vor Verlust. All diese Gefühle machen klar, dass Sie die Veränderungen nicht kalt lassen. Dass Ihnen die kirchliche Heimat wichtig ist.
Und vielleicht auch am liebsten so, wie sie lange aussah. Mit Eucharistiefeier und einem bekannten Priester. Mit einem großen Gefühl der Vertrautheit.
Zugleich aber lese ich aus Ihrer Anfrage, dass Sie wissen, dass sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt. Dass Sie einen realistischen Blick auf das haben, was passiert.
Das führt zum zweiten Aspekt: der Haltung zu den Veränderungen. Haltungen sind wichtig für das alltägliche Leben. Sie helfen mir, mit Situationen gut und sicher umzugehen. In der Ethik wird Haltung traditionell mit dem Begriff der Tugend beschrieben. Gemeint sind Grundeinstellungen, die mir das Leben ermöglichen – ohne dass ich dauernd überlegen muss, was ich tun soll.
Sie suchen jetzt nach einer Haltung, die mit der Veränderung leben lässt.
Ich schlage Ihnen den Mut als Tugend vor. Mut heißt, dass man sich traut mit schwierigen Situationen umzugehen. Aktiv das Leben in die Hand zu nehmen. Kreativ mit Veränderungen umgehen. Das heißt, Sie könnten sich erkundigen: Wo gibt es einen Pfarrer, der mir zusagt? Wo wird Eucharistie gefeiert? Oder seien Sie ganz mutig und probieren einfach mal eine andere Gottesdienstform aus.
Mutig ist auch, sich ein paar Gleichgesinnte zu suchen. Zusammen in den Gottesdienst zu gehen – und sich so eine neue Heimat schaffen.