Was uns diese Woche bewegt

Von Bomben und Bequemlichkeit

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Am Dienstagnachmittag um exakt 16:33 Uhr vibrieren in Osnabrück die Smartphones: „Gefahrenmitteilung. Achtung!“ – wieder einmal eine Weltkriegsbombe, wieder einmal eine Evakuierung. Kurzfristig, nervig, verständlich – zumindest für die meisten der 11.000 Menschen, die ihre Wohnungen und Häuser verlassen müssen. 

Zwei Stunden waren Zeit, dann sollte mit der Entschärfung des 500-Kilo-Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg begonnen werden. Eigentlich Routine. Tja, könnte man meinen. 

Doch wieder verzögerte sich alles. Warum? Weil einige wenige nicht gehen wollten – aus welchen Gründen auch immer. Trotz, Angst, Bequemlichkeit? Die Gründe mögen vielfältig sein und sicherlich bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehbar. Das Verhalten hingegen ist es nicht. Denn am Ende gefährden diese Wenigen nicht nur sich selbst, sondern alle. Sie kommen nicht nur selbst nicht nach Hause, sondern sorgen dafür, dass auch alle anderen erst später nach Hause können. Alte, Junge, Kranke, Mütter mit Babies – der Punkt ist klar. 

Um 19 Uhr hätte das Gebiet geräumt sein sollen, um 20 Uhr können die Osnabrücker im Live-Ticker der Stadt dann Worte lesen, die sich an eine kleine Anzahl von Menschen richtet: „Bitte kooperiert und hört auf die Einsatzkräfte.“ Fast flehend und verzweifelt klingen die Aufforderungen inzwischen. Auch um 21 Uhr können die Sprengmeister noch nicht mit ihrer Arbeit beginnen, weil Einzelne immer wieder versuchen, die Absperrungen zu umgehen, um in ihre Wohnungen zurückzukehren. Auf der Seite der Stadt und dem Live-Ticker zur Entschärfung klingt es nun immer verzweifelter: „Leute, lasst das einfach sein! Wir kriegen das sowieso mit. Wegen euch verzögern sich die Entschärfungsarbeiten.“ Einsatzkräfte mussten Menschen zum Gehen überreden, andere gar davon abhalten, zurückzukehren. Um halb elf kann endlich entschärft werden – sehr, sehr viel später als eigentlich nötig. 

Und dann: Nach nur einer Stunde war die Bombe entschärft – nichts flog einem um die Ohren, alle waren sicher und konnten in ihre Wohnungen zurückkehren. Was von der Tortur übrig bleibt? Verantwortung – denn die liegt noch irgendwo bei denen, die dachten, sie seien wichtiger als das große Ganze; wichtiger als 11.000 Mitmenschen. 

Was hier (mal wieder) passiert ist, lässt sich leicht auf unsere Gesellschaft übertragen: Immer dann, wenn wir vor großen Aufgaben stehen – Klimaschutz, Pandemie, Krisen – gibt es diejenigen, die blockieren, verzögern, verweigern. Aus Prinzip, Skepsis oder egoistischer Bequemlichkeit. Was sie dabei vergessen: Wer sich nicht bewegt, hält nicht nur sich auf, sondern eben auch alle anderen. 

Am Ende zeigt dieses sich in Osnabrück stets wiederholende Drama bei Bombenentschärfungen, dass wir als Gesellschaft nur funktionieren, wenn wir erkennen: Manchmal geht es nicht nur um mich. Sondern um uns. Die nächste Bombenentschärfung kommt, vielleicht klappt es dann ja besser.  

Lisa Discher