Impuls zum Sonntagsevangelium am 22.08.2023

Vor allem Verehrung

Image
Weihrauch
Nachweis

Foto: kna/Natalia Gileva

Caption

Weihrauch steigt auf – Duft der Anbetung des unsichtbaren Gottes.

Geradezu hymnisch lobt Paulus im Römerbrief die Größe Gottes. In der orthodoxen Kirche hat sich der Vorrang der Gottesverehrung bewahrt, gerade in der Liturgie, sagt Erzpriester Radu Constantin Miron.

Erzpriester Miron, was ist Anbetung?

Das ist ein Thema, was den Orthodoxen sehr am Herzen liegt. Es hat auch mit unserem Namen zu tun: Orthodox heißt einerseits rechtgläubig, aber es bezieht sich auch auf den rechten Lobpreis. Die Doxologie, also das feierliche Gotteslob zum Beispiel am Ende vieler Gebete, „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“ ist ein Charakteristikum der orthodoxen Frömmigkeit. 

Wie betet man an?

Die Anbetung ist eine Grundhaltung des Menschen, der Christin, des Christen, ohne die es nicht geht. Die Begegnung mit Gott ist in erster Linie eine lobpreisende, anbetende. Dann kommt die Bitte um Verzeihung und um Hilfe. Aber in 90 Prozent aller Gebete wird Gott zuerst beschrieben: „Du, der Herrscher über das All …, du, der Schöpfer der Welt ...“ Auch bei Paulus. So fängt es an.

Wozu dient das?

Es ist eine Feststellung unserer eigenen Herkunft. Im Osten generell ist es ja immer ganz wichtig zu wissen, woher man kommt. Wenn uns klar wird, dass wir eine göttliche Dimension, eine göttliche Herkunft und einen göttlichen Auftrag haben, können wir unser tägliches Leben dementsprechend gestalten. 

Erzpriester Radu Constantin Miron
Erzpriester Miron ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Foto: kna/Julia Steinbrecht

Welche Rolle spielt Anbetung in orthodoxen Gottesdiensten?

Es gibt bei uns keine Unterscheidung zwischen den klösterlichen und gemeindlichen Gottesdiensten. Bei uns in der griechisch-orthodoxen Kirche gehen die Matutin, das nächtliche Stundengebet, und der Sonntagsgottesdienst ineinander über. Die Liturgie ist wie ein Durchlauf durch die Weltgeschichte. Sie beginnt am Vorabend mit der Erinnerung an die Schöpfung, den Sündenfall und das Warten auf den Messias und endet am Sonntag mit der göttlichen Liturgie, der Eucharistiefeier, die das Ende der Zeiten schon vorwegnimmt.

Anbetung ist also eine Bewusstmachung der Heilsgeschichte. Was geschieht dabei?

Die Anbetung findet nicht nur im Kopf oder in den Gedanken statt, sondern wird mit allen Sinnen erfahren. Da hat man natürlich die Ikonen vor Augen. Die werden selbst nicht angebetet, aber verehrt, weil sie auf den nicht abbildbaren Gott hinweisen. Bei den Orthodoxen wird im Gottesdienst lieber gestanden als gesessen, was ja auch ein Zeichen der Ehrfurcht vor Gott ist. Die Kirchenmusik ist fast immer a cappella. Die Kirchenväter sagen: Die menschliche Stimme ist das schönste aller Instrumente. Es geht darum, dass der Mensch selbst auch realisiert, dass er in diesem Anbetungsprozess ist. 

In orthodoxen Gottesdiensten singt oft nicht die Gemeinde, sondern ein Chor.

Da gibt es keine Festlegung. Ich habe auch ganze Gemeinden erlebt, die unter Anleitung eines Kantors mitsingen. Und der Gottesdienst ist ja immer ein Dialog, wenn wir zum Beispiel an Antworten denken wie „und mit deinem Geiste“. Die Beteiligung der Gläubigen beginnt schon zu Hause.

In welcher Weise?

Die Vorbereitung auf die Liturgie beginnt damit, dass die Gemeindemitglieder unter Gebet die liturgischen Brote, die sogenannten Prosphoren, backen und zur Kirche mitbringen. Ich habe auch noch nie Messwein gekauft, weil die Leute das mitbringen. 

Manche werfen orthodoxen Gläubigen vor, sie würden zu viel beten und zu wenig Wert auf caritatives Handeln legen. Wie ist das Verhältnis von Beten und Handeln?

Die Anbetung ist die Voraussetzung für das Handeln. Nur beten reicht nicht. Wir machen uns diesen Vorwurf auch zu eigen. Tatsächlich ist bei jeder unserer Liturgiereformen die Liturgie noch ein Stück länger geworden. Wir lieben tatsächlich den Lobpreis. 

Und wie kommen Sie dann zum Handeln?

Wir haben ja als Sondergut in die Ökumene den Tag der Schöpfung mitgebracht. Da ist das Verhältnis von Anbetung und Handeln ganz schön zum Ausdruck gebracht. Es sind eigentlich drei Schritte: ers-tens das Anbeten, das Erkennen von Gott als Schöpfer. Der zweite Schritt ist das Erkennen des eigenen Versagens, dass man schuldig geworden ist an der Schöpfung Gottes. Der dritte ist dann das konkrete Handeln. 

Sehen Sie da noch Handlungsbedarf?

Ja, es gibt immer Luft nach oben. Es ist ein orthodoxes Spezifikum, dass man es vorzieht, die Dinge an die Kirchengemeinde anzubinden und nicht eine parallele Struktur zu schaffen wie eine Caritas. Das ist ein anderer Ansatz. Unsere Situation in Deutschland ist immer noch die des Ankommens. Wir sind keine etablierte Kirche in allen Bereichen, aber dass das Caritative, auch das Missionarische und das Sozialethische vorhanden sind, kann man nicht bestreiten. 

Was vermissen Sie in katholischen oder evangelischen Gottesdiensten?

Eigentlich sagt man, dass im orthodoxen Gottesdienst alles intoniert werden soll. Das Evangelium und die Texte werden nicht gelesen, sondern gesungen. Sie sind Teil einer anderen Wirklichkeit. Das ist nicht, wie einen Zeitungsartikel oder die Nachrichten vorzulesen. Das ist dieses mystische Element, das im Westen etwas weniger betont wird. Vielleicht erklärt das auch ein bisschen den Erfolg von Taizé, dass man eine halbe Stunde „Laudate omnes gentes“ singen kann, ohne dass allzu viel passiert. Ich glaube, die Wiederholung ist auch ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir singen in der Osternacht 75-mal den Osterhymnus „Christus ist auferstanden“. Eigentlich reicht es einmal, um die Information weiterzugeben. Das ist ein anderer Zugang.
 

Barbara Dreiling