"Alte Mauern – neues Leben"
Wo Bettina von Arnim lernte
„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Das ehemalige Kloster der Ursulinen in Fritzlar dient heute einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Damit steht die Schule in der Ordenstradition. Von Evelyn Schwab
Drei Schülerinnen aus Frankreich und drei aus Deutschland: Mit ihnen eröffneten Ursulinen aus Metz im Juni 1712 den Unterricht in Fritzlar. Einen Ursulinenkonvent gibt es heute nicht mehr. Dafür aber die Ursulinenschule in Trägerschaft des Bistums Fulda mit derzeit 1128 Lernenden. Bis 1989 hatten die Schwestern ihre Schule selbst betrieben.
Dagmar Lohmann, ehemalige Geschichts- und Französischlehrerin an der Ursulinenschule, schildert den Beginn: „Als am 7. Juli 1711 die ersten Ursulinen aus Frankreich nach Fritzlar kamen, blickten sie auf die traurigen Reste eines ehemaligen Augustinerinnenklosters. Dank Unterstützung aus dem Umland, aber auch seitens des Fuldaer Barons von Schleifras und des Papstes, konnten sie Kloster und Kirche wieder aufbauen.“ Die Grundsteinlegung war 1713.
Erstes Geld stellte Landgraf Karl von Hessen-Kassel zur Verfügung. Und weil Baumeister Giovanni Francesco Guerniero seine Pläne auf einer Romreise Papst Clemens XI. vorlegte, wurde auch der zum künftigen Mäzen des Fritzlarer Ursulinenklosters. Vielleicht deshalb, weil der Schwesternkonvent gemäß den Statuten der Ursulinen eine autonome Ordensgemeinschaft päpstlichen Rechts war. Ebenso unterstützte Fuldas Fürstabt Adalbert von Schleifras die Errichtung des Klosters. Dessen Nichte lebte im Pensionat.
Bettina von Arnim war die bekannteste Schülerin des Pensionats
Zu den ersten Internatsschülerinnen, die die Schwestern aus Frankreich begleiteten, waren laut Lohmann weitere „Pensionärinnen aus vornehmen Häusern“ hinzugestoßen. „Die Fritzlarer Bürgerschaft nahm zunächst reserviert das Angebot unentgeltlicher Unterrichtsstunden an. Dennoch wagten die Schwestern 1731 den Bau eines Gebäudes für die ,Äußere Schule‘, ein Haus, das heute für den Freizeitbereich der Ganztagsschule genutzt wird.“
Vier Töchter des reichen Frankfurter Kaufmanns Peter Anton Brentano – Bettina, Gunda, Lulu und Meline – lebten und lernten ab 1794 ebenso mit weiteren Mädchen aus gutgestellter Familie in der Ursulinenschule Fritzlar. Die spätere Schriftstellerin Bettina von Arnim wurde damit zur bekanntesten ehemaligen Schülerin des Pensionats. „Die Gärten waren schön! – Zauberisch“, habe sie im Briefwechsel mit Johann Wolfgang von Goethe geschrieben. Das alte Klostergebäude bezeichnet Schulleiterin Jutta Ramisch als „Herzstück der Ursulinenschule“. Inzwischen befinden sich darin die Schulmensa und die Essensbereiche.
„Derzeit werden in der ehemaligen Schwesternetage die Umbaumaßnahmen für die Schulverwaltung und das Lehrerzimmer sowie baustatische und brandschutztechnische Maßnahmen durchgeführt“, berichtet Ramisch. Auch nach mehr als 300 Jahren sehe man sich der Ursulinentradition verpflichtet: „Haltet euch an den alten Weg! Und lebt ein neues Leben!“ So zitiert die Schulleiterin aus der „Weisung“ von Ordensgründerin Angela Merici. Damit gebe man den jungen Menschen „Orientierung für ein Leben aus dem Glauben, damit sie sich in der Welt von heute als Christen bewähren können“.
Die Mädchenbildung war der Ordensauftrag der Ursulinen. Zwei Kriege im 18. Jahrhundert machten es dem Kloster dabei nicht einfach. Im 19. und 20. Jahrhundert unterbrachen die Ursulinen gar den Schulbetrieb zweimal. Dagmar Lohmann: „Das erste Mal mussten die Nonnen 1877 in der Zeit des Kulturkampfs Kloster und Stadt verlassen, fanden für zehn Jahre Aufnahme in Béthun. Im Dritten Reich, am 4. Juli 1941, erfolgte die zweite Ausweisung. Inventar wurde geplündert oder zerstört, das Gebäude in ein Lazarett umgewandelt.“ Die ehemalige Lehrerin: „1945 wurde der Schulbetrieb wieder aufgenommen. Zunächst im Sankt-Wigbert-Gebäude, das die Schwestern 1923 für ihre Hauswirtschaftsschule erworben hatten, ab Ostern 1946 im Klostergebäude.“
Unterrichtskonzept basiert auf christlicher Orientierung der Ordensgründerin
Viel Arbeit wartete beim Wiederaufbau des ausgeplünderten Klosters. Die Fritzlarer Schülerinnen brachten beim Neustart von drei Klassen ihre eigenen Stühle mit. In der Folgezeit trug der Konvent hohe Kosten für Renovierungsarbeiten und Erweiterungsbauten, ab den 1970-er Jahren mit Unterstützung des Bistums Fulda. Während die schulischen Einrichtungen sich großer Beliebtheit erfreuten, blieb der Nachwuchs im Konvent aus.
Ab 1970 kamen keine neuen Schülerinnen mehr ins Internat. Im August 1989 übernahm das Bistum den gesamten Klosterbesitz und die Schulträgerschaft, da das Ende des Ursulinenkonvents absehbar war. Im Dezember 2003 hörte Fritzlar auf, als eigenständiger Konvent zu bestehen. Ende 2006 lebten noch drei der ehemaligen Schwestern.
Seit 2002 erinnert das Bettina-von-Arnim-Forum an die bekannte einstige Schülerin. „Das Forum hat sich zum Ziel gesetzt, dass außerschulische Personen oder Institutionen in die Schule kommen und dort die Bildungsarbeit unterstützen und bereichern.“ Das erklärt Stephan Kolle als Verantwortlicher. „Hierbei bezieht sich das Forum auch auf die Biographie der Namensgeberin, die im 19. Jahrhundert fächerübergreifend soziale, politische, ethische und literarische Themen in Werken und Tun ansprach.“
„Unser Unterrichtskonzept, basierend auf der Grundlage unserer christlichen Orientierung, unterliegt der stetigen Weiterentwicklung“, sagt Schulleiterin Jutta Ramisch. „Mit unserer besonderen pädagogischen Prägung, der Spiel- und Freizeiterziehung, dem Erasmus-Austausch, dem Projekt „sozialgenial – Hinführung zum Ehrenamt“, der Medienpädagogik und der Kultur der Digitalität sowie den Auszeichnungen zur gesundheitsfördernden Schule und zur Umweltschule bereiten wir unsere Schüler auf ihre Aufgaben und Verantwortung in einer globalen Welt vor.“ Alles nicht ausschließlich im Bereich der Wissensvermittlung, sondern „mindes-tens ebenso in dem der ganzheitlichen Entwicklung“.
Von Evelyn Schwab
Zur Sache: Ein Denkmal für St. Ursula
Die Künstlerin und Grafik-Designerin Andrea Froneck-Kramer aus Homberg ließ die letzten vier Ursulinen in einer audiovisuellen Rauminstallation zu Wort kommen und verfasste ein Buch. Über ihre Motivation berichtet sie:
„2004 trat der von der Öffentlichkeit kaum beachtete Sterbeprozess des Ursulinenklosters in mein Blickfeld und ließ mich fortan nicht mehr los. Noch vier Nonnen des Konvents lebten damals. Wir befanden uns in einem zeitgeschichtlichen Übergang, in dem die Verbindung zur Vergangenheit abzureißen begann. Noch bestand die Möglichkeit, den Schwestern als Zeitzeuginnen zu begegnen. Die Tatsache, eine ehemalige Schülerin und ausgebildete Künstlerin zu sei, verlieh mir wahrscheinlich die Sensibilität, die Zeitenwende wahrzunehmen und öffnete mir die Tür. Ich trug ihnen mein Anliegen vor, ein Denkmal über das Fritzlarer Ursulinenkloster erschaffen zu wollen, aufgebaut auf erzählter Erinnerung und gründlicher Recherche. Die Reaktionen waren sehr ermutigend: Die 100-jährige Schwester Walburgis lud mich sofort ein, in Würzburg ihr Gast zu sein. Die Möglichkeit zu berichten, sei ihr letzter großer Wunsch gewesen. Über die folgenden Monate führte ich mit jeder der Schwestern Gespräche unter vier Augen. Dabei fertigte ich Mitschnitte an, um die unmittelbare Präsenz des gesprochenen Wortes zu erhalten. Daraus entstand 2005 die audiovisuelle Rauminstallation „Was bleibt – Zukunft einer Vergangenheit“.
Jede Oberin verfasste während ihrer Amtszeit eine Chronik. Diese Geschichtsschreibung wurde ausschließlich für den Orden dokumentiert und im Klosterarchiv aufbewahrt. Ich bekam Zugang zum gesamten Archiv und erschloss mir dessen Inhalte. In dem 2007 verlegten Buch „Animus: der Geist, der Sinn, der Mut, das Herz“ sind Ereignisse, Historie und Gegenwart des Ordens und des Ortes verwoben. Der Titel ist ein Statement: Zu einer Zeit, als Frauen kaum Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben hatten, verfolgten diese Nonnen ihre Vision und schufen gegen viele Widerstände ein großes Werk. Ihr Wirken dem Vergessen zu entreißen, war mein Anliegen.“ (ez)
Andrea Froneck-Kramer. Animus: der Geist, der Sinn, der Mut, das Herz.
Geschichte des Ursulinenklosters Fritzlar von 1711–2006
ISBN 978-3-933617-28-6
Euregioverlag, Kassel
Kontakt: E-Mail: a-f-k@gmx.de