Bemerkenswerte Antworten von bekannten Christinnen und Christen

Wo in Ihrem Leben haben Sie Gott gespürt?

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Deckengemälde "Die Erschaffung des Adam" von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan
Nachweis

Foto: istockphoto/Getty images

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Berührungspunkte: Menschen erfahren immer wieder die Nähe Gottes. Daran erinnert das Deckengemälde „Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle.

Ganz schön persönlich, diese Frage. Andreas Lesch hat sie bekannten Christinnen und Christen gestellt – und bemerkenswerte Antworten erhalten. Sie erzählen von Autounfällen und Sinnkrisen, Fernsehserien und Demenz – und von einem Gefühl, das einfach immer da ist.

 

Gott erscheint mir in der Natur

Monika Grütters
Monika Grütters
Foto: Christof Rieken

Mein Glaube gibt mir Halt und Orientierung. Gott als Anker im Glauben erscheint mir in der Natur; schon als Schülerin war es fast ein erhebendes Gefühl, den Schulweg mit dem Fahrrad im Wäldchen bei uns in Münster beginnen zu können, da, wo die Natur durch die Jahreszeiten immer neue Botschaften bereithielt. Ich erlebe dieses Naturglück bis heute, wenn ich durch den Park zum Bundestag radele – das ist wie die Stimme Gottes. Die Vögel, die aufblühenden Bäume, die Luft zum Atmen. 
 

Außerdem: Ich kann gut mit mir allein in einem Zimmer sein. Nicht nur dort, auch beim Beten in einer stillen Kirche, wenn ich Trost suche, ist die Gegenwart Gottes zuweilen spürbar. Dazu muss es eine innere Bereitschaft geben, sich einzulassen auf diese einzigartige Atmosphäre. Sie tut gut – und all dies ist so schön in Worte gefasst bei Matthäus 6,26-30: „Sorgt euch nicht um euer Leben (…) Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie ...“ Für diese Zuversicht bin ich dankbar. 

Monika Grütters  |  Staatsministerin für Kultur und Medien a. D.

 

Gott gibt meinem Leben die Grundmelodie

Beate Gilles
Beate Gilles
Foto: kna/Julia Steinbrecht

Auf die Frage, wo Gott mir Halt gegeben hat und wo ich ihn gespürt habe, zu antworten, ist, leicht und schwer zugleich. 
Schwer, weil ich von keinem Bekehrungs- oder Erweckungserlebnis in meinem Leben erzählen kann. Ich bin quasi in den Glauben hineingeboren; gelebter Glaube und Engagement in der Kirche haben meine Eltern mir vorgelebt und es war für mich nie eine Frage, bei der Firmung aktiv JA zu diesem Glauben zu sagen.

Leicht, weil meinen Glauben genau die alltägliche Gottesbegegnung ausmacht: Gott ist für mich immer da! Er gibt meinem Leben die Grundmelodie: Du bist Kind Gottes, es ist gut, wie du bist, und du bist hineingenommen in die königliche, priesterliche und prophetische Sendung. Und ganz wesentlich ist für mich, dass ich auf diesem Weg nicht allein bin, zu dem immer wieder auch Wüstenzeiten gehören und Berge, die versetzt werden müssen. Ich bin nur ein Glied im pilgernden Gottesvolk. Diese Zusage, dass die Engel uns behüten, damit wir nicht an einen Stein stoßen (Ps 91,12) lässt mich mit Zuversicht durchs Leben gehen und manchmal in die Zukunft springen, auch in die Aufgabe als Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz.

Beate Gilles  |  Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz

 

Lieber Gott, falsche Reihenfolge!

Ulrich Hemel
Ulrich Hemel
Foto: Daniel Hemel

Wir wissen nicht, ob es Gott gibt, aber wir vertrauen darauf. Manchmal aber erfahren wir Gott ganz anders, als wir es uns wünschen. 

Bei einem Familienurlaub in Namibia mit unserer fünfköpfigen Familie hatte ich eine besondere Gotteserfahrung. Auf trockener Straße, ohne großen Verkehr, war unser Fahrzeug plötzlich nicht mehr zu lenken. Später stellte sich heraus, dass es sich um einen Achsbruch handelte. Von einer Sekunde auf die andere war unser aller Leben bedroht. Das Auto überschlug sich und landete in der Böschung. Meine Tochter Sabrina (24) schlief. Und sie starb an der Unfallstelle, in den Armen ihres Bruders. Ich saß, schwer verletzt, auf einem Stein und dachte: „Lieber Gott, falsche Reihenfolge! Lieber ich als sie!“ Ich verlor kurz das Bewusstsein, sah Licht wie bei einer Nahtoderfahrung. Vor mir ging meine Tochter. Sie drehte sich um und sagte: „Du nicht!“. Das war eine intensive Gotteserfahrung, die mir Halt und Lebensmut gegeben hat. Aber sie beschäftigt mich bis heute.

Ulrich Hemel  |  Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer

 

Die Sehnsucht war auf einmal gestillt

Andrea Ballschuh
Andrea Ballschuh
Foto: Tom Lanzrath

Als Kind der ehemaligen DDR bin ich ohne Gott aufgewachsen. Vor drei Jahren sagte ich zu einer Bekannten: „Ich glaube nicht an Gott.“ Daraufhin meinte sie, ich sollte ihn doch um ein Zeichen bitten, wenn es ihn gibt. Das tat ich.

Kurz darauf kam eine Hündin aus Rumänien in mein Leben. Ihr Name: Shia. Das ist hebräisch und bedeutet „Geschenk Gottes“. Deutlicher ging es nicht! 

Ab diesem Tag fing ich an, öfter mit Menschen über die Existenz Gottes und ihre Erlebnisse mit Ihm zu sprechen, ich kaufte mir eine Bibel, verstand allerdings nichts beim Lesen. Bis dahin habe ich mich nur mit dem Kopf mit Gott beschäftigt.

Die TV-Serie „The Chosen“ brachte die Wende. Als ich sah, wie Jesus wirkte, zog es regelrecht in meinem Herz. Ich konnte nicht genug von Ihm bekommen. Ich las mehr und mehr Bücher und mein Herz füllte sich mehr und mehr. Die Sehnsucht, die ich seit 25 Jahren verspürte, war auf einmal gestillt. Da wusste ich: Ich habe gefunden, was ich gesucht habe. Ich bin angekommen.

Andrea Ballschuh  |  Fernsehmoderatorin

 

In meiner Schwester bin ich Gott begegnet

Schwester Philippa Rath
Schwester Philippa Rath
Foto: kna/Julia Steinbrecht

Für mich gibt es drei Orte, an denen ich Gottes Nähe in besonderer Weise spüre: im Gebet und im Gesang bestimmter Psalmen und Melodien des Gregorianischen Chorals sowie im Hören bestimmter Stellen aus der Heiligen Schrift. Sodann in der Begegnung mit schwerkranken Menschen und nicht zuletzt im Erleben der Natur. In all dem durfte ich Gott erfahren – freilich nicht automatisch und schon gar nicht immer. Vielmehr sind dies seltene Momente, für die ich dankbar bin, die ich aber nicht machen oder mir schon gar nicht verdienen kann. 

Nicht selten gibt es auch lange Durststrecken, die aus- und durchzuhalten sind, ohne an Gott zu zweifeln oder gar zu verzweifeln. Ich weiß, dass er da ist, auch dann, wenn er nicht greifbar und nicht erfahrbar ist. Am meisten Halt hat Gott mir gegeben in den Jahren 2005 bis 2020, in denen ich meine demenzkranke Schwester begleitet und betreut habe. In ihr bin ich Gott immer wieder begegnet – durch alle scheinbare Leere und Sinnlosigkeit hindurch. Das trägt mich bis heute.

Sr. Philippa Rath  |  Benediktinerin der Abtei Sankt Hildegard in Rüdesheim-Eibingen

 

Gott braucht Menschen in guter Verfassung

Eva Maria Welskop-Deffaa
Foto: Deutscher Caritasverband/M. Keiler

Es gibt Formulierungen der deutschen Sprache, die spätestens beim zweiten Lesen verunsichern: „Halt geben“ gehört dazu. Keineswegs gehört die Formulierung zum eigenen aktiven Wortschatz. Wenn man das deutsch-englische Wörterbuch zu Rate zieht, wird spürbar, worin die Unsicherheit gründet. „Halt geben“ schillert zwischen „Sicherheit“ und „Orientierung“ geben und geht doch darüber hinaus. Dass Einlagestoffe Kleidungsstücken Form und Halt geben übersetzt linguee.de mit „interlinings for keeping garments in good shape“. In diesem Sinne geht es also um die Frage, ob und wie Gott mich „in guter Verfassung“ hält.

Und dazu fällt mir Einiges ein. Ich stelle mir Gott als den vor, der unsere Erde schuf. Mit Himmel und Erde, mit Tag und Nacht, Mensch und Tier. Und er wünscht sich, ja er braucht Menschen in guter Verfassung. Als Schöpfungspartner voller Elan und Zukunftsmut. In diesem Sinne hat Gott mir wiederholt „Halt“ gegeben. Er wünscht sich von mir Schöpfungsverantwortung in heiterer Verfassung. Ohne Fatalismus. Jeden Tag neu. Im Angesicht einer Schöpfung, deren Schönheit Menschen in bester Verfassung bedarf, um ihre Bedrohung abzuwenden.

Eva Maria Welskop-Deffaa  |  Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes

 

Gott hat mein Leben gewollt

Annette Schavan
Annette Schavan
Foto: imago/Future Image

Es ist nicht das eine Ereignis oder eine singuläre Erfahrung, bei der ich mich von Gott bestärkt fühle. Es ist ein Grundvertrauen, das mich in meinem Leben begleitet: Gott hat mein Leben gewollt und ignoriert es nicht. Er hat meinen Eltern die Zuversicht und Überzeugung geschenkt, dass Kinder in ihrem Leben wertvoll sind, auch dann, wenn es für sie neben allem Glück auch Verzicht bedeutet hat.

Gott ist für mich wirksam als Quelle und Grund meiner Hoffnung und meiner Lebendigkeit. Durch eine immer wieder neue Beschäftigung mit dem Leben Jesu und seiner Lehre versuche ich einen Eindruck davon zu bekommen, was mein Leben als Christin leiten kann und worin meine Verantwortung besteht. Und dann ist da noch die pfingstliche Erfahrung. Der Bericht in der Apostelgeschichte hat mich immer fasziniert. Gott schafft Raum dafür, dass sich Menschen verstehen, für die es viele Gründe gibt, sich nicht zu verstehen. Das ist im Christentum angelegt: ein Geist, der Verstehen, Verständnis und Versöhnung stiftet, wo das kaum möglich scheint. Das ist auch eine Provokation.

Annette Schavan  |  Bundesministerin a.D.

 

Ich spüre den Beistand Gottes

Dirk Bingener
Dirk Bingener
Foto: kna/Julia Steinbrecht

Als Präsident von missio Aachen bin ich regelmäßig zu Besuch in Ländern, in denen wir eine Reihe von Hilfsprojekten der Kirche vor Ort unterstützen. In Nigeria, Bangladesch, dem Südsudan oder, wie zuletzt, im Libanon und in Syrien. Die Begegnungen mit den Christen vor Ort sind für mich ganz besondere Momente. Oft ist die Situation von Gewalt, Krieg oder Perspektivlosigkeit geprägt. Staatliche Hilfe ist meist nicht vorhanden oder ineffektiv. 

Ordensschwestern und Priester sind dann oft die Einzigen, die den Menschen helfen. Sie wissen, wo der Schuh am meisten drückt, weil sie mit den Menschen leben und auch in schwierigsten Situationen, manchmal unter der Gefahr für das eigene Leben, vor Ort bleiben. Wenn ich deren Bemühen sehe, deren Erzählungen anhöre und in deren Augen schaue, spüre ich, dass ich Anteil an etwas Größerem habe. Ich spüre den Beistand Gottes – für sie, für die, die ihnen anvertraut sind, und eben auch für mich.

Dirk Bingener  |  Präsident von missio Aachen 

 

Bei Gott fand ich unter Tränen Halt

Michael Blume
Michael Blume
Foto: Die arge lola

Ich stamme aus einer in der DDR zwangssäkularisierten Familie und wuchs ungetauft in Filderstadt auf. Ich schätzte die Bundesrepublik für Freiheit und Rechtsstaat sehr und empfand die Politikverdrossenheit vieler Gleichaltriger als undankbar. Also engagierte ich mich in der Jungen Union und im Jugendgemeinderat. Mit 16 wurde mir aber angesichts einer Hungersnot in Äthiopien erschütternd klar, dass alles menschliche Engagement keine Gerechtigkeit schaffen würde, und ich fiel in eine tiefe Sinnkrise. 

Bei Gott und Jesus fand ich unter Tränen Halt und die Hoffnung, dass es reichen würde, wenn wir das uns Mögliche tun. Bei meiner Taufe als junger Erwachsener in die evangelische Landeskirche waren meine Eltern und meine deutsch-türkische Verlobte Zehra dabei. Heute bin ich glücklich in einer christlich-islamischen Familie mit drei Kindern, durfte ein humanitäres Sonderkontingent für 1100 jezidische Frauen und Kinder aus dem Irak leiten und wurde 2018 von den jüdischen Landesgemeinden Baden und Württemberg für das Amt des Landesbeauftragten gegen Antisemitismus vorgeschlagen.

Michael Blume  |  Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung in Baden-Württemberg

 

Ich erspüre ihn auf den Straßen des Lebens

Pirmin Spiegel
Pirmin Spiegel
Foto: kna/Julia Steinbrecht

Und ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten … auch die Finsternis wäre für dich nicht finster (Ps 139). Heute ist mir dieser Vers eine Zusage, dass an Leid- und Grenzerfahrungen meines Lebens der umarmende Gott präsent, in den Wirrungen des Lebens dabei ist. Da hilft mir immer wieder meine Zeit in Brasilien: bei den Menschen, die nicht wussten, ob morgen das Essen für die Familie auf dem Tisch sein wird; beim Besuch einer Frau, deren Mann von einem Dorfmitglied ermordet worden war und die mir mit Tränen von ihrer angefochtenen Hoffnung erzählte, dass sie trotzdem genau diesem Dorfmitglied in ihrem Haus ein Stück Brot angeboten hat, weil sie dem Weiter-so-mit-der-Gewalt etwas entgegensetzen wollte. 

Da spüre ich bis heute, dass mich der Karfreitag dieser Frau unterbricht. Durch sie fühle ich eine größere Liebe, einen Moment des Vertrauens auf Gott. Ich kann ihn erspüren auf den Straßen des Lebens wie die beiden im Emmaus-Evangelium und ihn erkennen beim Brotbrechen.

Pirmin Spiegel  |  Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor

 

Ist nicht alles ein Wunder?

Stefan Gödde
Stefan Gödde
Foto: ProSieben/Jens Koch

Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben: Entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines“, sagte Albert Einstein. Für mich persönlich bedeutet das: Es ist auch eine bewusste Entscheidung, ob ich dem Göttlichen in meinem Leben einen Raum gebe. Hatte ich schon mal Gotteserfahrungen? Ich glaube, ja. Vor allem in der Stille der Natur. Und auch als mir vor einigen Jahren urplötzlich eine Ader im Kopf einriss – was kurzfristig recht gefährlich, aber dann auch schnell wieder in Ordnung war. 

Auch damals habe ich mich von Gott getragen gefühlt. Aber sind es nur solche außergewöhnlichen Momente – also der Stille oder der Krise –, in denen man Gott spüren kann? Oder ist nicht vielmehr alles ein Wunder? Dass ich ein Dach überm Kopf und grad keine Schmerzen habe? Dass Freunde und Familie an meiner Seite sind? Vieles klingt oft so selbstverständlich, und doch ist alles ein Geschenk. Diese Erkenntnis macht mich dankbarer für die vermeintlich so kleinen Dinge des Alltags.

Stefan Gödde  |  Fernsehmoderator und Buchautor

Andreas Lesch