„Wohnen ist ein Grundrecht“
Foto: Andreas Hornoff / Hinz&Kunzt
Martin war ein römischer Soldat. An einem kalten Wintertag ritt er zufällig an einem hungernden und frierenden Bettler vorbei. Um dem Bettler zu helfen, zückte Martin sein Schwert, teilte seinen warmen Mantel und gab dem armen Bettler die Hälfte des Mantels.
Eine schöne Geschichte, die man sich zum Martinstag am 11. November erzählt. Wie barmherzig der späterheilig gesprochene Martin war! Was für ein schönes Bild es gibt, dass er seinen Mantel mit dem Bettler geteilt hat.
„Es war die falsche Entscheidung, den Mantel zu zerteilen – man hätte ihn ganz abgeben sollen!“, sagt dagegen Jörn Sturm. Er ist Geschäftsführer von Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin, das stadtweit von Obdachlosen auf der Straße verkauft wird. Dafür, dass Obdachlosen künftig – metaphorisch gesprochen – der ganze Mantel statt nur einen Teil geschenkt wird, geht Hinz&Kunzt am 11. November auf die Straße. Die Demonstration soll von St. Georg bis zum Rathausplatz führen, es werden Mitarbeiter und Verkäufer von Hinz&Kunzt dabei sein, aber auch andere Unterstützer wie zum Beispiel Vertreter der Elterninitiative St. Georg.
Schaut man sich die Zahlen an, wird offensichtlich, wie dringlich das Thema Obdachlosigkeit in Hamburg ist. 45 000 Menschen in Hamburg sind laut Hinz&Kunzt wohnungslos, mindestens 2 000 Menschen obdachlos. Wichtig sind hier die Begriffe: Wohnungslose Menschen haben zwar keine eigene Wohnung, kommen aber an einem anderen Ort in der Stadt unter, beispielsweise einer Obdachlosenunterkunft. Obdachlose haben dagegen gar kein Dach über dem Kopf, sie leben tatsächlich auf der Straße.
Diese Zahlen sind im vergangenen Jahr vor allem durch die vielen Geflüchteten aus der Ukraine gestiegen, sie fluktuieren aber auch innerhalb eines Jahres ständig. Im Winter haben Obdachlose in Hamburg zum Beispiel mehr Möglichkeiten, eine Unterkunft zu nutzen, wenn vom 1. November bis zum 1. April das Winternotprogramm der Stadt greift und Obdachlosen zumindest nachts eine Unterbringung ermöglicht.
Doch das reicht nicht, sagt Jörn Sturm. Zwar hätten sich der Hamburger Senat und die Bundesregierung vorgenommen, bis zum Jahr 2030 Obdachlosigkeit zu beseitigen, aber das scheine bislang eher unrealistisch, sagt der Hinz&Kunzt-Geschäftsführer. Stattdessen suche die Politik immer wieder Ausreden, weshalb dieses Ziel doch nicht zu erreichen sei.
Mehr Wohungen für Bedürftige gefordert
Natürlich gebe es viele andere, ebenfalls wichtige Probleme, die ebenso angegangen werden müssten wie die Obdachlosigkeit. „Wohnen ist unserer Meinung nach ein Grundrecht“, sagt aber Sturm. Und statt Menschen zu helfen, die auf der Straße leben, und echte Lösungen zu bieten, würden sie von der Polizei aus den Innenstadtbereichen verdrängt. Obwohl es dafür gar keine Rechtsgrundlage gebe: Es gebe kein Gesetz, das Bedürftigen das Betteln in der Innenstadt verbietet.
Von den Polizeistreifen, die Obdachlosen Platzverweise beispielsweise am Hauptbahnhof erteilen, werde aber oft behauptet, es gäbe ein solches neues Gesetz. Mit dem Ergebnis, dass Obdachlose von den Innenstadtplätzen verdrängt werden und sich in anderen Stadtteilen, zum Beispiel in St. Georg, das Elend häuft. „Dass das Elend an einzelnen Stellen so sichtbar wird, ist natürlich nicht schön, aber das müssen wir als Gesellschaft aushalten“, meint Jörn Sturm. Denn die Obdachlosen und Armen seien nicht einfach weg zu denken, stattdessen müsse die Politik kurz- und langfristige Lösungen bieten, um Antworten auf das Leid der Menschen zu geben.
Mit der Demonstration am 11. November will Hinz&Kunzt ganz konkrete Forderungen an die Politik richten. Eine davon äußert das Magazin schon lange immer wieder: Das Winternotprogramm der Stadt soll zukünftig ganztags zugänglich sein, statt nur nachts. Denn im Winter, wo oft den ganzen Tag Minusgrade herrschen, frieren die Menschen auf der Straße auch tagsüber.
Außerdem sollen in Hamburg mehr Wohnungen ausdrücklich für bedürftige Menschen gebaut werden, die sonst gar keine Chance auf dem Wohnungsmarkt haben. Der Hamburger Senat hat in seinem Koalitionsvertrag festgelegt, dass pro Jahr 300 Wohnungen für diese Gruppe Wohnungssuchender gebaut werden sollen – bisher wurde dieses Ziel noch in keinem Jahr erreicht. Das wäre aber der einzige Weg, um Obdachlosigkeit zu beseitigen, so Jörn Sturm.
Diese Forderungen wollen die Demonstranten am Martinstag aber nicht mit Trillerpfeifen und lauten Parolen auf die Straße bringen. Stattdessen soll es eine „Demonstration mit Laternenumzugscharakter“ werden, die vor allem kindgerecht sein soll. Im Vorfeld gebe es deshalb Termine zum Laternenbasteln für Kinder.
Besonders Kinder, die in St. Georg aufwachsen, sind schon früh mit Obdachlosigkeit konfrontiert. Deshalb unterstütze auch die Elterninitiative St. Georg die Demonstration, sagt Jörn Sturm. Denn Eltern ziehen ihre Kinder dort groß, wo an vielen Ecken Obdachlose auf der Straße leben und das Elend besonders sichtbar wird.
400 Teilnehmer an der Demo, das ist Sturms Ziel. Vielleicht verschenkt an diesem 11. November der heilige Martin auf St. Georg seinen Mantel ja ganz.