Zeichen gegen Gewalt
Die ökumenische Trauerfeier nach der größten Bluttat der neueren Hamburger Geschichte war geboten – und gleichzeitig schwierig. Denn die Opfer, Mitglieder der Zeugen Jehovas, wollen keinen Kontakt zu anderen Kirchen haben.
VON MICHAEL ALTHAUS
Glockengeläut eröffnet die Gedenkfeier. Zu Orgelklängen führen Notfall- und Polizeiseelsorger die Prozession zum Einzug an und entzünden dann vier Kerzen: eine für die Betroffenen und die Opfer, eine für die Einsatzkräfte, eine für die Nachbarschaft und eine für den Frieden. Gut eine Woche nach der Amoktat bei einer Versammlung der Zeugen Jehovas hatten die katholische und evangelische Kirche sowie die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen am Sonntag in die Hamburger Hauptkirche Sankt Petri zu einer Trauerfeier eingeladen.
Ein Großteil der Angehörigen der Opfer und der unmittelbar Betroffenen ist bei der Gedenkfeier nicht anwesend. Die Zeugen Jehovas pflegen keinen Dialog mit anderen religiösen Gemeinschaften. Allerdings würdigten sie ausdrücklich das ökumenische Gedenken.
Rund 250 Menschen sind zu dem Gottesdienst gekommen, darunter Angehörige von Opfern, Einsatzkräfte, Seelsorger und Anwohner des Tatorts. Im Mittelpunkt des Gedenkens steht die Tat vom 9. März, bei der ein 35-jähriges ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas sieben Menschen, darunter ein ungeborenes Kind, und sich selbst erschoss. Neun weitere Menschen wurden verletzt.
„Die Tat hat viele in Angst versetzt“, sagt Erzbischof Stefan Heße. Viele Menschen hätten ihn in den vergangenen Tagen gefragt, ob sie überhaupt noch sicher in eine Kirche gehen könnten.
„Hoffen auf friedlichere Welt nicht aufgeben“
Heße erinnert auch an die noch nicht lange zurückliegende Gewalttat im schleswig-holsteinischen Brokstedt. Dort hatte ein Mann in einem Regionalzug zwei Menschen getötet und mehrere verletzt. Heße betont: „Wir wollen ein Zeichen setzen gegen diese Gewalttaten.“ Er ruft dazu auf, die Hoffnung auf eine friedlichere Welt nicht aufzugeben.
„Wo war Gott?“, fragt die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs in ihrer Predigt. Ihre Antwort richtet sie an die Einsatzkräfte: „Für mich war Gott genau in Ihnen anwesend.“
Am Ende des Gottesdienstes umarmt ein Mann seine Familienangehörigen. „Ich habe meine Ex-Frau und Mutter meiner Kinder bei der Tat verloren“, sagt der 55-Jährige. Er habe die Zeugen Jehovas verlassen, seine frühere Frau sei Mitglied geblieben. „Es war eine gute und würdige Feier“, meint er.
Ein Polizist erzählt: „Ich bin ungefähr zehn Minuten vor dem Amoklauf am späteren Tatort vorbeigefahren. Nun mache ich mir Vorwürfe, ob ich etwas übersehen habe oder die Tat hätte verhindern können.“ Hat ihm der Besuch der Gedenkfeier geholfen? „Ich weiß es nicht. Es bleibt ein komisches Gefühl zurück.“
kna