Caritas Socialis verlassen Görlitz

Abschied von den Wurzeln

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Maria Zemmer (links) und Martina Theiner von Caritas Socialis
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Fotos: Michael Burkner

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Schwester Maria Zemmer (links) und Schwester Martina Theiner vor dem Bild ihrer Ordensgründerin Hildegard Burjan.

Die Schwestern der Ordensgemeinschaft Caritas Socialis verlassen Görlitz. Damit geben sie eine ganz besondere Niederlassung auf: In der Neißestadt lebten sie seit 26 Jahren in der Geburtswohnung der seligen Hildegard Burjan, ihrer Ordensgründerin.

Das Wohnzimmer ist bereits etwas kahl, Stück für Stück wird die Erkerwohnung in der Elisabethstraße leergeräumt. Martina Theiner und Maria Zemmer sind Schwestern der Ordensgemeinschaft Caritas Socialis und bereiten sich auf ihren Abschied aus Görlitz vor. Dabei verlassen sie nicht irgendeine Wohnung: In den sich jetzt leerenden Räumen erblickte die inzwischen selige Hildegard Burjan 1883 das Licht der Welt. 36 Jahre später gründete sie in Wien die Gemeinschaft Caritas Socialis. „Zu wissen, dass hier die kleine Hildegard herumlief und spielte, berührt mich schon sehr“, sagt Schwester Martina und Schwester Maria ergänzt lachend: „Wahrscheinlich wurde sie in dem Zimmer geboren, das heute meins ist. Deshalb schlafe ich hier so gut.“

Hildegard Burjan wuchs als Hildegard Freund in einer jüdischen Familie auf, die ersten zwölf Lebensjahre in Görlitz. 1907 heiratete sie den Technikstudenten Alexander Burjan. Zwei Jahre später beschloss sie, ihr Leben ganz Gott und den Menschen zu widmen, nachdem sie eine lebensgefährliche Darm- und Nierenerkrankung überlebt hatte. Sie wurde katholisch und 1919 – inzwischen in Wien ansässig – die erste weibliche christlichsoziale Abgeordnete in der österreichischen Nationalversammlung. Im gleichen Jahr gründete sie die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis, der sie den Auftrag gab „unter den Menschen tätig zu sein und da einzuspringen, wo die Not am größten ist“, wie Schwester Martina erklärt. 2012 wurde Hildegard Burjan seliggesprochen. Die von ihr gegründete Schwesterngemeinschaft verbreitete sich vor allem im deutschsprachigen Raum und kam 1999 nach Görlitz, in die Geburtswohnung ihrer Gründerin.

Zwei Südtirolerinnen helfen in Görlitz

Schwester Martina Theiner lebt seit 2002 in der Neißestadt und war lange Seelsorgerin im städtischen Klinikum. „Der Anfang war schon hart“, gibt die gebürtige Südtirolerin zu, die nicht gleich von ihrer neuen Heimat in der ostdeutschen Diaspora begeistert war. „Beim Einkaufen wurde ich mal gefragt, warum ich ausgerechnet hierhergekommen sei, ob es der Liebe wegen sei. Da habe ich gesagt: Ja, der Liebe zu Hildegard Burjan wegen.“ Mit der Zeit fand sie ihren Platz und ihre Rolle darin, Kranke und Sterbende zu begleiten und Gottesdienste zu organisieren. Geprägt wurde diese Arbeit stets von einem Grundsatz Hildegard Burjans: „Frage nicht, ob du zuständig bist. Frage, was du für diesen Menschen tun kannst.“ Schwester Martina betont im Rückblick besonders die Ökumene mit der evangelischen Kirche: „Das war damals ganz neu für mich. Unsere Zusammenarbeit war sehr gut und richtig geschwisterlich.“ 2016 ging sie in den Ruhestand und engagierte sich fortan ehrenamtlich: „Ich war mit den Menschen unterwegs: in der Pfarrei Heilig Kreuz als Kommunionspenderin, bei Besuchsdiensten in verschiedenen Seniorenheimen, beim Malteser-Besucherkreis, im Kirchenchor und in der Telefonseelsorge“, erzählt sie.

Wohnhaus in Görlitz
In der Erkerwohnung im ersten Stock der Elisabethstraße 36 wurde Hildegard Burjan geboren. Seit 1999 leben Schwestern der Caritas Socialis in den Räumen.

Schwester Maria Zemmer kam 2016 zur Unterstützung nach Görlitz. „Ich war damals schon Rentnerin. Hier hatte ich die Möglichkeit, noch einmal etwas Neues kennenzulernen. Außerdem hätten wir den Standort sonst damals schon aufgeben müssen“, erklärt sie. Ebenfalls aus Südtirol stammend, war Schwester Maria zuvor Pastoralassistentin in verschiedenen Pfarrgemeinden und Einrichtungen in Österreich. In Görlitz war sie stets „da, wo andere Helfer fehlten“: In der Pfarrei Heilig Kreuz kümmerte sie sich um die Kirchenwäsche und den Blumenschmuck, engagierte sich bei Geburtstagsbesuchen und übernahm Dienste als Küsterin, Lektorin und Kommunionspenderin. Einmal in der Woche half sie ehrenamtlich bei Seniorentreffs im Hildegard-Burjan-Tageszentrum.

Die beiden Mitschwestern verbindet dabei mehr als ihre Südtiroler Herkunft. „Wir sind gleichzeitig in das Noviziat, also die Ordensausbildung, eingetreten. Als Schwester Maria damals in Wien ankam, durfte ich sie am Bahnhof abholen“, erinnert sich Schwester Martina. Sie betont, dass für das Leben zu zweit Rücksicht, Respekt und gegenseitiges Vertrauen besonders wichtig seien. Das gemeinsame Gebet und der tägliche Gottesdienst sind ihnen besondere Kraftquellen. „Man kann sich, anders als in großen Gemeinschaften, nicht aus dem Weg gehen“, erklärt Schwester Maria. Zukünftig müssen sie sich auf ein neues Gemeinschaftsleben in ihrem Mutterhaus in Wien einstellen, wo circa 30 Schwestern zusammenleben. „Wir werden kleine Aufgaben finden, die uns Freude machen“, ist Schwester Martina zuversichtlich.

Das Erbe von Hildegard Burjan soll Zukunft in Görlitz haben

Mehr Gedanken machen sich die beiden gerade um ihre Wohnung, die Geburtswohnung von Hildegard Burjan, die ihnen so wichtig ist. „Wir haben versucht, Nachmieter zu finden, die mit unserer Gemeinschaft verbunden sind. Das hat aber leider nicht funktioniert“, erklärt Schwester Martina. Die Möbel konnten an Freunde weitergegeben werden, auch Familien aus der Ukraine und Syrien freuten sich über neue Einrichtung. Besonders wichtig ist den Schwestern zum Abschied auch, dass die selige Hildegard Burjan in Görlitz nicht vergessen wird. „Wir haben einige Menschen gefunden, die ihr Erbe mit Gottesdiensten, Broschüren und dem Kontakt mit der Schwesterngemeinschaft wachhalten werden“, erklärt Schwester Martina. So soll die Selige lebendiger Teil der Stadtgeschichte bleiben – auch dann, wenn die Schwestern ihre Geburtswohnung bald ganz ausgeräumt und verlassen haben.

Michael Burkner
Die Schwestern der Caritas Socialis werden am 13. September mit einem Dankgottesdienst in der Kathedrale St. Jakobus aus Görlitz verabschiedet