Osnabrücker Diözesanmuseum wird barrierefrei
Kein Gefallen, sondern Pflicht

Foto: Lisa Discher
Inga Möller, Dirk Storm und Ute Schüring aus der Prüfgruppe testen gemeinsam mit Jessica Löscher, wie barrierefrei das Museum tatsächlich ist. Den Bischof sieht Storm kaum. Auch der Eingang des Museums – eine Barriere.
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„Also, den Bischof könnten sie tiefer legen“, sagt Dirk Storm und greift an die Handläufe seines Rollstuhls. Er drückt seine Arme durch, reckt den Hals und versucht, das zu sehen, was alle sehen – außer ihm: das Gesicht von Konrad dem Dritten. „Keine Chance“, ist Storms Stimme in dem dunklen Raum des Osnabrücker Diözesanmuseums zu vernehmen. „Den Konrad sieht man nicht so doll.“ Und das, obwohl der keine Handlänge von Storm entfernt ist. Barriere Nummer eins: Die Statue des aufgebahrten Bischofs ist zu hoch für Menschen im Rollstuhl. Dirk Storm gehört zu einer Gruppe von sechs Menschen mit Behinderung. Bereits zum dritten Mal kommen sie in das Museum. Ihr Besuch ist jedoch kein gewöhnlicher, die Kunst eher Nebensache. Trotzdem schaut die Gruppe ganz genau hin, nimmt alles unter die Lupe: Gänge, Treppen, Toiletten, Aufzüge, Infotafeln. Wie barrierefrei ist es hier, wie geht das besser? Um das zu beantworten, ist die Gruppe aus dem Christophorus-Werk in Lingen angereist. Im Alltag stoßen sie ständig auf Barrieren, sind Experten auf dem Gebiet. Zusammen mit Jessica Löscher vom Diözesanmuseum begutachten sie darum das Gebäude – schauen, wo nachgebessert werden muss. Denn das Museum ist nicht barrierefrei, gibt Löscher zu.

Barriere Nummer zwei: die Beschilderung am Eingang des Museums. Die Gruppe hat sich im Foyer des Forums am Dom versammelt. Dort geht es in das Museum. Inga Möller, ein Mitglied der Prüfgruppe, nimmt die Hand vom Griff ihres Rollators, stützt sich mit der anderen ab und zeigt auf eine große Holztür. „Hier erkennt man zum Beispiel nicht, dass es da in das Museum reingeht“, sagt sie. Die Gruppe richtet den Blick auf den Schriftzug am oberen Rand der Tür. „Museum“ steht da in kleinen grauen Buchstaben. „Da müsste ‚Eingang‘ stehen“, sagt Möller. „Das wäre besser.“ Die Neubeschriftung sei schon in Auftrag gegeben, so Löscher. Die Buchstaben sollen größer, die Farben kräftiger werden. So können Wegweiser besser und schneller erkannt werden. Das diene der Orientierung.
Jessica Löscher hat bereits vor einigen Jahren mit den Menschen aus der Prüfgruppe zusammengearbeitet. 2021 entstand der Museumsführer in Leichter Sprache. Löscher schrieb die Texte und schickte sie an das Christophorus-Werk. Im dort angesiedelten Büro für Leichte Sprache „Besser Verstehen“ wurden die Texte übersetzt, von der Gruppe überprüft und zurückgeschickt. „Aber so wollte ich es dieses Mal nicht machen“, sagt Löscher. Ihr war wichtig, „diejenigen, die es auch betrifft“, in den Prozess einzubeziehen. Und: Sie wollte mit den Menschen arbeiten und nicht für sie. Barriere Nummer drei: Die Prüfgruppe befindet sich nun im ersten Raum des Diözesanmuseums. Storm steht mit seinem Rollstuhl vor einem Schaukasten. Darin: antike Vasen. Die sieht er. Die Beschriftung hängt jedoch weit außerhalb seines Blickfelds. Woher das Ausstellungsstück also kommt, was seine Geschichte ist – für Storm bleibt nur ein Fragezeichen. Auch, wenn er die Infotafel sehen könnte, wäre sie für ihn schwer zu verstehen. Barriere Nummer vier: Fachsprache. Mit der, so Löscher, könnten viele Menschen nichts anfangen. Menschen mit sogenannten Lernschwierigkeiten noch weniger, als Menschen ohne.
Darum soll es einen Audio-Guide geben. Die Gruppe testet den Prototypen: Mit ihren Smartphones scannen sie einen ausgedruckten QR-Code. Auf dem Bildschirm erscheinen zwei Kästchen zum Anklicken: Leichte Sprache – Schwere Sprache. Dann: eine Beschreibung des jeweiligen Kunstwerks. Zum Lesen und Anhören. „Gut wäre, wenn ich das nicht mit zwei Fingern vergrößern müsste“, sagt Ute Schüring aus der Prüfgruppe. Mit einer Hand tippt sie auf den Bildschirm des Handys, die andere ist motorisch beeinträchtigt. Sie schlägt ein Lupen-Symbol vor. „Das kann man dann auch mit einer Hand bedienen.“ Jessica Löscher schreibt mit, sagt: „Gute Idee.“
Wissen, transportiert über Sprache, ist Macht.
Jessica Löschers Aufgabe besteht darin, dass möglichst viele Menschen den Besuch im Museum genießen können, wie sie sagt. Das zu ermöglichen, sei kein Gefallen, sondern Pflicht. Gesellschaftliche Teilhabe – ein Recht, so stehe es schließlich im Grundgesetz. Ohne Verstehen keine Teilhabe, sagt Löscher. Und im Museum laufe Verstehen nun einmal über Sprache. Auf Infotafeln liest man, findet alles Wichtige. Löscher sagt: „Wissen, transportiert über Sprache, ist Macht.“
Barriere Nummer fünf: Zugang. Löscher sagt, wenn sie etwa eine Ausstellung im Museum organisiere, gehe damit eine Entscheidung einher, welches Publikum angesprochen werde. Also: Wer kann rein, wer nicht? Für Löscher ist Barrierefreiheit ein Thema, das nicht nur wichtig ist, wenn es auf ihrem Schreibtisch liegt. Privat leitet sie seit Jahren eine inklusive Klettergruppe. Durch den Sport wurde sie aufmerksam, sagt Löscher. „Dort habe ich zum ersten Mal erfahren, dass Orte, die für mich selbstverständlich sind, für viele Menschen überhaupt nicht selbstverständlich sind.“

Barrierefreiheit ist mehr als ein Aufzug, es geht um Zugang und Teilhabe. Leichte Sprache, virtuelle Angebote, Audio-Transkriptionen, Braille-Schrift, Handläufe, Bodenleitsysteme für Menschen mit Sehbehinderungen, breite Gänge für Menschen im Rollstuhl. Letztlich sei Inklusion jedoch vor allem eins, so Löscher: Menschen mit Behinderung in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Gelernt hat Jessica Löscher viel von den sechs Menschen aus dem Christophorus-Werk, wie sie erzählt. Nicht nur, welche Barrieren im Museum zuerst angegangen werden müssen (Beschriftungen). Oder, wie man das besser macht, was gerade noch entsteht (Audioguide). Vor allem aber mitgenommen hat sie, in zwei Schritten zu handeln. Schritt eins: Barriere erkennen. Schritt zwei: Barriere abbauen. Sich auf diesen Weg zu machen, so Löscher, falle oft schwer. „Die eigene Deutungshoheit auch mal abzugeben“, das sei unbedingt notwendig – auch für andere Museen. Löscher mahnt: Museen dürften nicht in die Falle tappen und fragen, wie viele Menschen denn wirklich im Rollstuhl kämen. „Sind es nur zwei, möchte ich nicht sagen: Okay, dann haben die eben Pech.“ Denn das sei nicht menschlich.

Klicken Sie hier, um zur Version des Textes in Leichter Sprache zu gelangen. Übersetzung von BES·SER verstehen. Das ist das Büro für Leichte Sprache und gehört zum Christophorus-Werk Lingen. Website: https://bes-ser.de/