Was uns diese Woche bewegt

Vom Recherchieren und Singen

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In den vergangenen Monaten habe ich viel Zeit mit Menschen verbracht, die ihre Leidenschaft fürs Singen teilen. Für zwei größere Geschichten begleitete ich drei unterschiedliche Chöre in Osnabrück. Geschichte Nr. 1 brachte mich zum Johannis-Chor – und zu Voices of Worship, hinein in die Magie der Gospelmusik. Für Geschichte Nr. 2 traf ich auf dem historischen Johannisfriedhof die Stimmen gegen Trauer. Sie folgen keiner festen musikalischen Richtung, singen Tony Sheridan und die Beatles. Die Sängerinnen und Sänger kennen sich kaum und sind doch verbunden – durch den Verlust eines geliebten Menschen. Singen als Trauerarbeit. 

Das Vertrauen, das mir all diese Menschen entgegengebracht haben, klingt in mir nach. Man erzählte mir, wie Musik eine Gruppe von Fremden zu einer Familie machte. Wie emotional es werden kann, wenn die eigene Tochter in den Chor kommt, in dem auch die Mutter singt. Ich lernte, was in Kopf und Körper passiert, wenn man singt. Lernte, dass Gesang wie ein Erinnerungsspeicher wirkt. Lernte von ausgeschütteten Glückshormonen und vom limbischen System. Lernte die Lieblingslieder der Menschen kennen, mit denen ich sprach. Erfuhr, wie es ist, jemanden singend in den Tod zu begleiten. Warum gemeinsames Singen Trost spenden kann – und warum es gerade für demenziell erkrankte Menschen wohltuend sein kann. Ein Chor vermittelt im Grunde Regeln des Miteinanders und funktioniert wie eine kleine Gesellschaft. 

Es geht zwar auch um Musik, doch vor allem darum, dass sie verbindet. Mit jeder Probe entsteht aus unterschiedlichsten Menschen, Stimmlagen und Tönen am Ende immer Harmonie. Damit das funktioniert, braucht es Gemeinschaft – Respekt und Rücksicht. Es scheint, als herrsche in einem Chor eine ganz eigene Form von Nächstenliebe. Ich merkte schnell: Hier singen sich die Menschen nicht nur Töne zu, sondern auch Mut, Zuversicht und Zuneigung.

Und darum hat es auch mich gepackt: Kürzlich bin ich selbst einem Chor beigetreten. Und schon am Tag meiner ersten – und bisher einzigen – Probe bekam ich mit: Der gesamte Chor wird demnächst zur Großmutter des Chorleiters reisen, um für sie zu singen, da sie selbst nicht mehr reisen kann. Wunderschön!

Lisa Discher