Kirchliche Angebote für die Generation Z
„Manchmal sitze ich im Auto und telefoniere über das Fegefeuer“

Foto: Michael Burkner
Kaplan Winzer, Sie kommen aus Wittichenau, sind in Hoyerswerda zur Schule gegangen, haben dann unter anderem in Meißen, Bautzen, Dresden und Cottbus gelebt – jetzt sind Sie hier in Görlitz. Man hat den Eindruck, diese ganze Region ist ein bisschen Ihre Heimat. Aber wo fühlen Sie sich denn besonders heimisch?
Ich bin dankbar, dass ich in Görlitz von der Gemeinde so freundlich und herzlich aufgenommen wurde, das hilft dabei, hier heimisch zu werden. Zu Hause bin ich aber besonders da, wo meine Wurzeln sind, in Wittichenau also. Ich versuche, Kontakt zu meiner Familie und zu meinen Freunden zu halten, und nach Hause zu fahren, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Ich stelle aber auch fest, dass ich als Priester in der ganzen Welt zu Hause bin. Ich fahre nach Rom, stehe auf dem Petersplatz und treffe alte Freunde wieder. Es ist schön, Teil dieser großen Weltkirche zu sein.
Vor Ihrer Priesterweihe 2022 haben sie uns von einem Erlebnis berichtet, das auch ziemlich weit weg war, nämlich in Brasilien. Auf dem Weltjugendtag hat der Papst dazu aufgerufen, missionarisch tätig zu sein. Das hat Sie sehr geprägt. Was ist denn jetzt hier in Görlitz Ihre ganz persönliche „Mission“?
Ich versuche, Menschen zusammenzuführen, um Christus herum. Die Mitte der Gemeinde ist nicht der Ort, in dem wir zur Kirche gehen. Die Mitte ist Christus, um den wir uns als Kirche versammeln. Darin sehe ich meine Aufgabe.
Besonders Jugendliche möchten Sie um Christus versammeln. Deren Generation, Gen Z genannt, wird häufig als „kirchenfremd“ oder „ungläubig“ bezeichnet. Teilen Sie diese Beobachtungen?
Ich mache zwei total entgegengesetzte Beobachtungen. Einerseits gibt es viele Jugendliche, die mit Kirche nur zu den Sakramenten in Kontakt kommen und ansonsten ihr Leben gut ohne Glauben, Gott und Kirche leben. Es sind keine schlechten Menschen, aber ihnen genügt das offensichtlich. Und es gibt andererseits Jugendliche, die sich ganz intensiv mit Fragen des Glaubens beschäftigen und wie ein Schwamm alles aufsaugen wollen. Die immer tiefer erfahren wollen, was der Glaube mit ihrem konkreten Leben zu tun hat. Die dann unvermittelt anrufen und irgendwelche Fragen haben. Manchmal sitze ich im Auto und telefoniere über das Fegefeuer.
Warum gehen die einen Jugendlichen den einen Weg und andere Jugendliche einen ganz anderen?
Ich habe mir darüber letztens auch Gedanken gemacht. Ich war mit den Firmlingen ein Wochenende unterwegs und wir haben über Sakramente gesprochen. Mein Eindruck war, dass viele Jugendliche Symbole nicht mehr verstehen. Sie sehen allein das als wirklich an, was man sehen, hören und spüren kann. Der Blick auf das Transzendente ist verloren gegangen. Aber auch die Flüchtigkeit dieser Welt spielt eine Rolle. Viele rennen ihrem eigenen Leben hinterher und haben gar keine Ruhe und Muße, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Mir kommt unsere Gesellschaft sehr gehetzt vor. Vielleicht ist es die Ursache, aber es ist erstmal nur eine These, ich habe das noch nicht empirisch untersucht. (lacht)
Ist es Ihr Anliegen als Seelsorger, diese Ruhe wieder in das Leben gerade der Jugendlichen zu bringen?
Das sollte schon unser Anliegen als Kirche sein. Wir müssen den Menschen diese Möglichkeit eröffnen, durch das, was wir tun, wie wir Eucharistie feiern, aber auch durch spirituelle Angebote. Ich war zum Beispiel mit Jugendlichen im Sommer zehn Tage in den Alpen unterwegs, als Gruppe allein mit Gott und der Natur. Es hilft den Jugendlichen, diese Schönheit der Natur, ebenso wie die Gefahren der Berge zu spüren. Aber auch die Jugendstunden jede Woche sind für sie wie eine Oase. Sie können mit den großen Fragen des Lebens kommen, ihre Gedanken ein bisschen sortieren und einfach mal innehalten. Die Jugendstunden sind immer mittwochs, mitten in der Woche. Sie sollen die Woche unterbrechen und einen Impuls für das Leben geben.
Was sind das für Themen, mit denen die Jugendlichen gerade zu Ihnen als Seelsorger kommen?
Das ist ganz breit gestreut. Wir haben schon heftig über anstehende Wahlen diskutiert. Das war sehr intensiv und moralisch tiefgängig. Aber auch Liebeskummer oder Fragen der eigenen Berufung kommen auf: Was mache ich mit meinem Leben? Manche Jugendlichen kommen nach der Jugendstunde schwer nach Hause, weil sie weit auswärts wohnen. Ich fahre sie dann und diese Gespräche im Auto sind immer sehr wertvoll. Manchmal stehen wir schon vor der Haustür und müssen noch 20 Minuten zu Ende sprechen.
Kommen wir noch einmal auf Ihren Lebensweg zu sprechen. Ihr Theologiestudium hat Sie aus der Region herausgeführt, Sie waren unter anderem in Bamberg und Brixen, in Städten, die sehr katholisch geprägt sind. Wünschen Sie sich manchmal diese tiefe Verwurzelung des Katholizismus für Ihre Arbeit hier in Görlitz?
Ich kenne beides, das ist das Schöne. In Wittichenau habe ich volkskirchliche Elemente erlebt. In der Grundschule war es für mich normal, dass alle Welt katholisch ist. Dann bin ich nach Hoyerswerda in die Schule gekommen und plötzlich war ich der einzige Katholik. Erst da ging mir auf, dass es auch Menschen gibt, die nicht katholisch sind. Das Schöne an der Volkskirche ist, dass sie wie ein Netz ist, das dich auffängt, wenn du selber schwach bist. Hier in der Diaspora passiert dafür eine tiefere Reflexion und ich denke viel intensiver darüber nach, was ich tue. Das finde ich sehr heilsam, weil mein Glaube auf einem festeren Fundament steht, wenn ich ihn intellektuell durchdrungen habe. Ich möchte beides nicht missen.
Zum Abschluss eine kleine Schnellfeuerrunde: Ich stelle kurze Fragen, Sie geben mir kurze Antworten. Wie schalten Sie am liebsten vom stressigen Priesteralltag ab?
Am liebsten hole ich meine Nichte vom Kindergarten ab.
In welcher fernen Stadt würden Sie gerne zumindest eine Zeit lang leben?
Rom. Oder Reykjavik, aber eher wegen der Natur dort, weniger wegen der Stadt.
Zurück nach Görlitz: Wenn Sie hier in der Stadt eine konkrete Sache verändern könnten, was wäre es?
(überlegt lange) Das ist jetzt kein Schnellfeuer mehr. (lacht und überlegt weiter) Auf jeden Fall würde ich unsere Sekretärin fürs Bundesverdienstkreuz vorschlagen. (lacht wieder)