Vorbild bis heute

„Sie war mein Schutzengel“

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Besucher der Margarete-Sommer-Ausstellung
Nachweis

Fotos: Walter Wetzler

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Matthias Kohl führt anschaulich durch die neu eröffnete Ausstellung.

Der Keller unter der Sakristei von Herz Jesu in Berlin-Prenzlauer Berg ist zu einem Ausstellungsraum geworden. Erzählt wird dort die Geschichte von Menschen, die Margarete Sommer hier vor nationalsozialistischer Verfolgung schützte.

Karl Müller, Arbeiter, Kommunist und Mitglied des Rotfrontkämpferbundes, lebte von 1944 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs versteckt im Keller unter der Sakristei der Herz Jesu Kirche in Berlin. Mitarbeiter des Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat unterstützten ihn und bewahrten ihn damit vor der Deportation. Das erfahren Besucher einer Ausstellung, die seit dem 3. Dezember in seinem einstigen Versteck zu besichtigen ist.

Bei der Ausstellungseröffnung führte Gemeindesekretär Matthias Kohl die erste Besuchergruppe in den ehemaligen „Sakristeikeller“. In dem hellen, spärlich eingerichteten Raum erzählen großformatige Tafeln die Geschichte des Hilfswerks, das ab 1939  auf dem Gelände der Herz Jesu Kirche arbeitete. Deren Leiterin Margarete Sommer wurde 2004 als „Gerechte unter den Völkern“ in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem geehrt. Das Hilfswerk bot – solange dies möglich war –  Hilfe bei der Ausreise jüdischer Berliner. Unter anderem vermittelte es ihnen Arbeitsstellen, Lebensmittel- und Kleiderkarten. Später mussten sich Margarete Sommer und ihre meist jüdischen Mitarbeiterinnen auf wachsende Schikanen und diskriminierende Gesetze einstellen. Die Kirchen bekamen kurz vor der offiziellen Bekanntmachung Einsicht in die Deportationslisten, sodass Mitbürger gewarnt und manche in Sicherheit gebracht werden konnten.

Die Ausstellungsmacher haben in Archiven der Diözese und der Pfarrei geforscht und in Gesprächen mit Angehörigen der ehemals Verfolgten manches ans Licht gebracht. So kann man in der Ausstellung von Karl Müller (1892 bis 1970) lesen, dass er 1938 aus der jüdischen Gemeinde austrat. Seine Frau war Katholikin, Gemeindemitglied in Herz Jesu, und er ließ sich und seine beiden Kinder 1938 dort taufen. Die Ausreise der Familie nach Amerika scheiterte. Das Hilfswerk unterstützte die Familie, und Margarete Sommer versuchte mehrfach, eine Arbeitsstelle für den kranken Vater zu besorgen. 1944 erfuhr das Hilfswerk von dessen bevorstehender Deportation und versteckte ihn im Keller unter der Sakristei. Pfarrer Alfred Brinkmann und der Küster kümmerten sich um ihn. Die Tochter des Versteckten, Berit, brachte ihrem Vater manchmal Essen. Sie erkannte nach der Wende die Räumlichkeiten wieder und konnte genau zeigen, über welche schmale Treppe sie zu ihrem Vater gelangte. So entdeckten die Ausstellungsmacher eine lange zugemauerte Tür zum Sakristeikeller und öffneten sie wieder, dort, wo heute die Ausstellung hängt.

Veronika Nahm
Veronika Nahm hält Erinnerungsorte für wichtig. 

Eine ganz besondere „Erbschaft“

Am anderen Ende des Kellers, getrennt durch einen öffentlichen Luftschutzkeller, versteckte das Hilfswerk im Kohlenkeller Erich Wolff (1894 bis 1969), der im September 1942 von Pater Kreutz getauft worden war und noch im gleichen Monat deportiert werden sollte. Pater Kreutz kümmerte sich ohne Mitwissen der anderen um ihn. Als er 1944 von Kaplan Rothkegel abgelöst wurde, übergab er diesem neben einer kleinen Kasse, Büchern und Kartei eine besondere „Erbschaft“: Beide gingen in den Kohlenkeller, wo der Neue den konvertierten Juden kennenlernte und ihn dann weiter betreute. Margarete Sommer kümmerte sich auch um die Geschwister Maximilian und Sonja Goldwerth und nahm Sonja bei sich zu Hause auf, immer in Gefahr, selbst verhaftet und deportiert zu werden. Sonja überlebte, weil Ordensschwestern auf dem Gelände von Herz Jesu sie in der Klausur versteckten. Später sagte sie über Margarete Sommer: „Für mich war sie der Schutzengel schlechthin“. 

Den Grundstock zur Ausstellung legte nach der Wende das Prenzlauer Berg-Museum. Nach mehreren Jahren sollte die  Schau in den Fundus wandern. Die Herz Jesu Gemeinde bat, sie in ihren Räumen zeigen zu dürfen. Im Diözesanrat des Bistums sah man darin Potenzial, auf aktuell drängende Fragen zu antworten. Auf Initiative des Diözesanrats und mit Förderung durch den Senat wurde die in die Jahre gekommende Ausstellung neu gestaltet und nun anlässlich des 130. Geburtstags von Margarete Sommer und des 85. Gründungstags des Hilfswerkes vorgestellt. „Individuelle Lebensgeschichten sind mehr als Zahlen. Sie helfen zu erkennen, wie es einst zur NS-Diktatur kam“, sagte Karlies Abmeier, Historikerin und Vorsitzende des Diözesanrats, bei der Eröffnung. Die Herz Jesu-Kirche war aus diesem Anlass gut gefüllt, sodass der Rundgang durch die Ausstellung in Gruppen erfolgte.

„Abwanderungsbuch“ von Margarete Sommer
Eine Kopie des „Abwanderungsbuches“, das Margarete Sommer erstellt hat.
Foto: Andrea von Fournier

Wie Jugendliche sich Geschichte erschließen

Nach den Besichtigungen trafen sich die zalhreichen Besucher im Gemeindesaal und folgten dem Gespräch von Moderator Marcel Hoyer mit Erzbischof Heiner Koch und Historikerin Veronika Nahm. Wichtig schien beiden, deutlich zu machen, wie wertvoll es ist, an Erinnerungsorten wie dem Keller unter der Herz-Jesu-Sakristei etwas über die Geschichte zu lernen. Veronika Nahm erlebt in ihrer Aufgabe als Direktorin des Anne Frank Zentrums Berlin, dass Kinder und Jugendliche von Erwachsenen vorgegebene Antworten selten übernehmen: „Sie brauchen Such- und Freiräume, müssen in die Geschichte tauchen und für sich selbst etwas herausnehmen. Wir müssen ihr Interesse wecken, den Blick öffnen und längerfristiges Lernen ermöglichen“, sagte sie.

In der ersten Reihe verfolgte Rita Krause das Gespräch mit. Die 82-Jährige war bis 1970 Mitglied der Herz Jesu Gemeinde und hatte an der Theresienschule auf dem Kirchengelände Abitur gemacht. Als Jugendliche habe sie die Tür in der Kirche interessiert, die niemals aufging, erzählte sie. Jetzt weiß sie, dass dahinter der Sakristeikeller lag. „Ich finde es so wichtig, dass es diese Ausstellung in meiner alten Gemeinde gibt“, sagte sie. Sie werde in ihrer aktuellen Gemeinde davon berichten und mit anderen wiederkommen, um sich in Ruhe in der Ausstellung umzusehen. Dass viele Menschen von dem Angebot Gebrauch machen, wünschen sich auch die Mitglieder des  Diözesanrates und der Herz Jesu Gemeinde. „Unter den Kirchen Berlins gibt es noch so manches zu entdecken,“ sagte Veronika Nahm. Wenn jeder Teilnehmer der Eröffnung zehn Menschen davon erzähle, werde auch der neuer Ausstellungsort bekannt.

Die Ausstellung in der Kirche in der Fehrbelliner Straße 99 ist sonntags von 10 bis 10.30 und von 11.30 bs 12 Uhr geöffnet. Führungen für Gruppen zu anderen Zeiten auf Anfrage

 

Andrea von Fournier