Vortrag der Politikwissenschaftlerin und Autorin Katrin Himmler

Als Kind wollte sie ihren Namen loswerden

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Porträt Katrin Himmler
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Foto: Katrin Himmler/privat

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Katrin Himmler hat sich kritisch mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt. Foto: Katrin Himmler/privat

Wie sind ihre Großeltern Nationalsozialisten geworden? Über ihre Familiengeschichte hat Katrin Himmler ein Buch geschrieben. Im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen warnte sie vor Parallelen zwischen den Nazis damals und den neuen Rechten heute.

Aus der Geschichte lernen bedeutet für Katrin Himmler, sich mit dem familiären Erbe auseinanderzusetzen. „Als ich 15 war, wurde ich von einem Mitschüler gefragt, ob ich mit ‚dem‘ Himmler verwandt sei“, erzählt die Großnichte des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, auf einer Veranstaltung im Lingener Ludwig-Windthorst-Haus (LWH) im Rahmen der Reihe „Emsland gegen Rassismus“. Sie habe die Frage bejaht, berichtet Himmler weiter, aber die Lehrerin habe die Situation überspielt und damit ihrer Meinung nach eine Chance verpasst, „begreiflich zu machen, was uns, die Nachgeborenen, mit diesen ‚alten Geschichten‘ überhaupt noch verbindet“.

Unter dem Thema „Wie sind meine Großeltern Nazis geworden?“ spricht die 1967 geborene Referentin vor einer gut gefüllten Aula. Schon als Kind habe sie sich ihres Namens geschämt und sich auf unerklärliche Weise schuldig gefühlt. Sie habe den Namen loswerden wollen. „Aber das würde nichts ändern, ich bleibe ja verwandt mit dem Mann“, so die Politologin, die sich in ihrem 2005 erschienenen Buch „Die Brüder Himmler“ kritisch mit der Familiengeschichte auseinandersetzt.

Die Autorin ist die Enkelin des jüngsten der drei Brüder Himmler. Ihren Großvater Ernst hat sie nie kennengelernt, denn er starb unter ungeklärten Umständen in den Kriegswirren Anfang Mai 1945. In der Familie galt er, ebenso wie sein ältester Bruder Gebhard, als Mitläufer. „Obwohl ich um die Nähe meines Großvaters zu Heinrich Himmler wusste, hatte ich in meiner Wahrnehmung immer eine scharfe Trennungslinie zwischen „Heinrich dem Schrecklichen“ und „Ernst dem Unpolitischen“ gezogen“, schreibt Katrin Himmler.

Es sind keine alten Geschichten, die lange vorbei sind.

Darin wiederholt sich ein Muster, wie in der Nachkriegszeit mit der Vergangenheit umgegangen wurde. Bis heute wissen viele Nachkommen nicht, welche Rolle ihre Vorfahren im Nationalsozialismus gespielt haben. Über diese Zeit haben die unmittelbar Betroffenen weitgehend geschwiegen, die nachfolgenden Generationen haben eine entlastende Familiengeschichte bevorzugt nach dem Motto „Opa war kein Nazi“. Auch in der Familie Himmler wurde nicht über die Vergangenheit gesprochen, der einzige Überlebende der drei Brüder, Gebhard, hat nie Verantwortung für sein Handeln übernommen und seine Kinder haben nie kritische Fragen an den Vater gestellt.

Katrin Himmler hält einen Vortrag im LWH
Im LWH berichtet Katrin Himmler von ihrer Familiengeschichte. Foto: Elisabeth Tondera

In ihrem Buch verwertet Katrin Himmler bekannte Quellen, teilweise aber auch Briefe und Dokumente aus dem Nachlass der Familie Himmler, zum Beispiel ihrer Großmutter. Sie beschreibt das Milieu, in dem die Brüder aufgewachsen sind – streng katholische Mutter, deutsch-national gesinnter Vater – schildert den Werdegang der Brüder und zeigt, dass der Verbrecher Heinrich Himmler nicht isoliert war.

Der Anstoß, sich mit der Familiengeschichte zu beschäftigen, sei von ihrem Vater gekommen, der sie gebeten habe, im Bundesarchiv in Berlin nach Akten über seinen Vater Ernst zu recherchieren. „Die Fakten stimmten nicht mit den Erzählungen in der Familie überein“, stellt die Politologin fest. Die Brüder Himmler profitierten vom Aufstieg Heinrich Himmlers und stimmten mit ihm ideologisch völlig überein. Deren Ehefrauen und Kinder blieben nach dem Krieg weitgehend der nationalsozialistischen Gesinnung treu.

Katrin Himmler hat im LWH an zwei Tagen auch vor mehr als 500 Schülern gesprochen und dabei vor rechtsextremen Gruppen und Parteien gewarnt. „Die Rechten verwenden ähnliche Strategien wie die Nazis: stark vereinfachte Lösungen, einen Sündenbock präsentieren, zum Hass aufstacheln“, sagt Katrin Himmler. Es ist ihr wichtig, ihre Familiengeschichte zu erzählen und dabei auf Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus damals und der neuen Rechten heute hinzuweisen, „zu zeigen, dass es keine alten Geschichten sind, die lange vorbei sind, sondern dass es immer noch was mit uns zu tun hat und uns betrifft“.

Elisabeth Tondera