Missbrauchstäter in der Kirche
Auch Verstorbene haben Rechte

Zuletzt hat der Fall eines Priesters, der in den 60er Jahren Minderjährige im Meppener Konvikt missbraucht haben soll, zwei Gemeinden aufgerüttelt. Viele Menschen fragen sich: Warum werden jetzt nicht alle bekannten Missbrauchstäter öffentlich gemacht? Fragen an Justiziar Ludger Wiemker.

Ludger Wiemker ist Justiziar des Bistums Osnabrück. Foto: Matthias Petersen
Ist es möglich, die Namen aller Beschuldigten einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen?
In der sogenannten MHG-Studie berichten wir von 35 Beschuldigten zwischen 1946 und 2015. In der Studie sind die Namen anonymisiert worden. Es würde den Grundsätzen der Studie widersprechen, wenn wir jetzt im Nachhinein alle Namen veröffentlichen würden.
Hätten Sie denn die Möglichkeit?
Viele der Beschuldigten sind gar nicht mehr am Leben, manche Fälle reichen in die 40er Jahre zurück. Es ist die Frage, wem wir damit nützen würden, wenn wir das jetzt öffentlich machten. Man muss bedenken, dass das Persönlichkeitsrecht mit dem Tod nicht endet. Angehörige bzw. Erben hätten gegebenenfalls auch nach langer Zeit noch die Möglichkeit, gegen eine Veröffentlichung vorzugehen, zumal in nicht wenigen der genannten Fälle eine Befragung der betreffenden Priester nicht möglich war, weil sie längst verstorben waren.
Und wie ist es mit Fällen, die jetzt bekannt werden, bei denen Beschuldigte noch leben?
Wenn Vorwürfe an das Bistum herangetragen werden, müssen wir nüchtern prüfen, ob diese hinreichend belastbar sind. Ein unberechtigter Vorwurf, der allzu früh an die Öffentlichkeit gelangt, kann einen guten Ruf zerstören. Wenn sich zeigt, dass ein strafrechtlicher Hintergrund vorliegt, geht der Fall an die Staatsanwaltschaft.
Immer wieder wird gefordert, es müssten alle Personalakten der Priester veröffentlicht werden. Geht das?
Nein, das geht nicht. In der Personalakte befinden sich alle Vorgänge, die sich zwischen einem Priester und dem Bistum abspielen, die das Arbeitsverhältnis betreffen. Da wird ein Priester länger krank, da beklagt sich ein Gemeindemitglied über die Mitarbeiterführung. Das sind vertrauliche Dinge, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Und jeder Mitarbeiter möchte sicher sein, dass mit seinen Daten ordentlich umgegangen wird.
Hat die MHG-Studie da etwas verändert?
Nachdem das Bistum in einer Pressekonferenz öffentlich die Zahl von 35 Beschuldigten ge-nannt hatte, hat sich die Staatsanwaltschaft bei uns gemeldet und um die entsprechenden Akten gebeten. Die haben wir natürlich umfänglich angeboten, haben also Transparenz gezeigt. Einige Akten wurden nicht angefordert, weil die genannten Personen nicht mehr leben. Und gegen Verstorbene wird nicht ermittelt. Gegen andere Beschuldigte war früher schon einmal ermittelt worden, einzelne waren auch bereits rechtskräftigt verurteilt.
Hätten Sie im vorauseilenden Gehorsam alle Akten zur Verfügung stellen dürfen?
Nein, weil ich die Persönlichkeitsrechte der Einzelnen achten muss. Und die Staatsanwaltschaft fordert nur Akten an, wenn dafür ein konkreter Verdacht vorliegt.
Im Fall des verstorbenen Pfarrers G. hat sich 2010 ein Betroffener gemeldet, wollte aber nicht, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Würde das Bistum mit einer solchen Frage heute anders umgehen?
Grundsätzlich sind wir da inzwischen anders aufgestellt, weil wir einen Betroffenen zunächst an die beiden unabhängigen Missbrauchsbeauftragten verweisen. Wenn in dem Kreis mit den Betroffenen Konsens über das weitere Vorgehen getroffen ist, wird die Bistumsleitung eingeschaltet und der Vorgang wird der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben.
Was passiert mit einem Priester, der eine Straftat verbüßt hat?
Wenn er seine staatliche Schuld beglichen hat, hat er wie jeder andere Mensch auch das Recht, wieder ein unbelastetes Leben zu führen. Ob er wieder in der Gemeindepastoral arbeiten kann, hängt von seinem Vergehen ab. Das Kirchenrecht hat oft andere Möglichkeiten als das staatliche Recht. Es kann ihn zum Beispiel verurteilen, nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, wenn das Vergehen entsprechend war. Oder es kann eine Kürzung der Bezüge erfolgen. Der Bischof hat aber auch für einen straffällig gewordenen Priester eine Fürsorgepflicht und muss ihn so stellen, dass er überleben kann.
Welche Rolle spielt das kürzlich vorgestellte neue Konzept für den Umgang mit des Missbrauchs beschuldigten Priestern?
Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die ausschließlich mit externen Beratern besetzt ist. Dazu gehören eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt, ein Bewährungshelfer und ein Personalvorstand. Sie sorgen in jedem einzelnen Fall für einen konstruktiven Blick von außen, damit der Bischof eine verantwortliche Entscheidung fällen kann. Und er hat angekündigt, sich dem Votum dieser Gruppe dann anzuschließen.
Interview: Matthias Petersen