Jugendhilfe in Burkina Faso

Bevor sie verloren sind

Schwester Gertrude zeigt den Jugendlichen, wie ein Feld richtig bewirtschaftet wird.

Foto: Petites Soeurs de la Sainte Enfance

Schwester Gertrude zeigt den Jugendlichen, wie ein Feld richtig bewirtschaftet wird.

In Burkina Faso treiben Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit Jugendliche in die Arme von Terroristen. Schwester Gertrude erzählt, was ihr Orden tut, um sie vor diesem Schicksal zu bewahren.

 

„Wir haben ein junges Mädchen auf der Straße gefunden, sie war ein Waisenkind“, sagt Schwester Gertrude. „Sie hat sich alleine durchgeschlagen und das ist für Mädchen natürlich sehr gefährlich.“ Denn sie könnten in falsche Hände geraten und ausgebeutet werden.

Wenn die Ordensfrau von falschen Händen spricht, meint sie islamistische Terrorgruppen, die Burkina Faso seit 2015 bedrohen. Um Jugendliche zu rekrutieren, verschleiern sie ihre Ideologie, hängen Poster auf und werben mit Arbeit und Geld. „Die jungen Leute sehen das als eine Möglichkeit, aus der Armut herauszukommen, zu arbeiten, etwas zu tun“, sagt Schwester Gertrude. „Wenn sie dann realisieren, worauf sie sich eingelassen haben, hängen sie da fest. Dann sind sie im Prinzip verloren.“

Die Ordensfrauen leiten eine Grundschule

Angeworbene Jugendliche werden Teil des Terrors: Sie brennen Häuser nieder, vertreiben Familien, entführen oder töten Lehrkräfte und Pflegepersonal. Laut dem burkinischen Justizminister haben seit Beginn des Terrors bis zum Jahr 2022 etwa 10 000 Menschen durch Anschläge ihr Leben verloren. In dem jährlich veröffentlichten „Globalen Terrorismus Index“ des Institute for Economics & Peace landete Burkina Faso im Jahr 2024 auf Rang eins – als weltweit am meisten von Terror betroffenes Land.

Der Terror führte dazu, dass „ganz viele Leute aus ihren Dörfern in die Städte geflohen sind und man dort an Menschenmengen fast erstickt ist“, sagt Schwester Gertrude. Mit fünf Mitschwestern ihres Ordens „Petites Soeurs de la Sainte Enfance“ betreibt sie eine Grundschule in Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes. Nach Angaben einer staatlichen Behörde hat es bis März 2023 etwa zwei Millionen Binnengeflüchtete in Burkina Faso gegeben. Der Übergangsregierung fällt es schwer, die Lage unter Kontrolle zu bekommen.

Die Folgen sind Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit. Damit die Jugendlichen auf der Suche nach Arbeit nicht in die Falle der Terroristen tappen, versuchen die Ordensschwestern Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie sagen den jungen Leuten, dass „die Jagd nach Geld“ oft zu gefährlichen Situationen führt und „man nur über gute Arbeit sicher Geld verdienen kann“, erzählt Schwester Gertrude.

Die Mädchen ernten Cashewkerne, um sie zu verkaufen.
Die Mädchen ernten Cashewkerne, um sie zu verkaufen. Foto: Petites Soeurs de la Sainte Enfance

Das junge Mädchen von der Straße nahmen die Schwestern zunächst bei sich auf. Doch das Wichtigste war, dass es „lernte, auf eigenen Beinen zu stehen“, sagt Schwester Gertrude. „Wir haben ihr beigebracht, einfache Lebensmittel herzustellen wie zum Beispiel Saft, Sirup oder Erdnüsse.“ Damit betreibt das Mädchen einen Kiosk an der Grundschule der Ordensschwestern. Bald, so hofft die Ordensfrau, kann es die Produkte in der Stadt verkaufen und sich so ein eigenes Leben finanzieren.

Um junge Leute vor den Terroristen zu beschützen, versuchen die Schwestern vieles. Sie bieten ihnen eine Ausbildung in der Viehzucht oder in einem handwerklichen Beruf. Manche können als Gärtner oder in der Kantine der Grundschule vorübergehend eine Anstellung bekommen. „Sobald die Jugendlichen in der Lage sind, ihr eigenes Geld zu verdienen, ist die Anziehungskraft der Terrorgruppen vorbei“, sagt Schwester Gertrude.

„Sind sie auch kurz davor, rekrutiert zu werden?“

Durch ihr Projekt, das von dem katholischen Hilfswerk missio Aachen getragen wird, konnten die Schwestern in den vergangenen Jahren fünf Mädchen und zehn Jungen ein selbstständiges Leben ermöglichen. Wenn die Jugendlichen später die Projekte des Ordens verlassen, halten die Schwestern weiter Kontakt zu ihnen und bieten ihre Unterstützung an. Laut Schwester Gertrude kommen sie aber sehr gut alleine zurecht. „Wir schauen ganz genau, wann ein Mensch in der Lage ist, sich selbst zu versorgen“, sagt sie. Allerdings gebe es auch „eine Menge Menschen, die an unsere Tür klopfen“.

Das Engagement der Ordensfrauen ist wichtiger denn je. Denn der „gesellschaftliche Zusammenhalt in Burkina Faso ist in Gefahr“, sagt Katja Voges, Referentin für Menschenrechte und Religionsfreiheit bei missio Aachen. Früher sei das Land in Westafrika ein Vorbild gewesen, was den interreligiösen Dialog und ein friedliches Zusammenleben anging. Doch die Terrorgruppen säten Misstrauen, berichtet Voges. Viele Menschen fragten sich: „Was ist mit meinen muslimischen Nachbarn? Sind sie auch kurz davor, rekrutiert zu werden?“

Damit sich die Lage wieder beruhigt, müsse sich vieles ändern: Das Land brauche ein Ende des Terrors, eine stabile Regierung und eine bessere wirtschaftliche Lage. Derzeit, sagt Schwester Gertrude, gebe es erste positive Entwicklungen in Bobo-Dioulasso. Durch die Friedensbestrebungen der Regierung und viele Freiwillige seien die Dörfer wieder sicherer geworden. Einige Menschen konnten bereits dorthin zurückkehren.

Jasmin Lobert