Historischer Briefwechsel zwischen Bischöfen
Deutsch-polnische Völkerverständigung: Brücken statt Grenzen
Foto: privat
Lukas Schibowski an der deutsch-polnischen Grenze zwischen Slubice und Frankfurt an der Oder.
Lukas Schibowski freut sich auf den Tag, an dem er Licht ins Dunkle bringen wird. Zusammen mit Deutschen und Polen will er über eine Brücke gehen – von Frankfurt an der Oder nach Słubice, von einem Land ins andere. Knapp 250 Meter, kerzentragend. Vor der Lichterprozession wird ein Gottesdienst auf der deutschen Seite der Stadt gefeiert, danach einer auf der polnischen Seite. Die Prozession soll der Höhepunkt einer Versöhnungswoche an den Ufern der deutsch-polnischen Grenze sein.
Pastoralassistent Schibowski organisiert die Woche maßgeblich – zusammen mit Ehrenamtlichen. Der Anlass ist das 60-jährige Jubiläum eines historischen Briefwechsels zwischen den katholischen deutschen und polnischen Bischöfen.
In ihrem Schreiben an die deutschen Amtsbrüder vom 18. November 1965 formulierten die polnischen Bischöfe die berühmten Worte: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Sie bezogen sich damit auf den Überfall Deutschlands auf Polen 1939 und die Kriegsgräuel sowie auf die Vertreibung der Deutschen am Kriegsende 1945. Zwei Wochen später antworteten die deutschen Bischöfe: „Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volk angetan worden. So bitten auch wir zu vergessen, ja, wir bitten zu verzeihen.“
Die Briefe bereiteten den Weg für politische Annäherungen und kirchliche Kooperationen. An der Grenze zwischen Deutschland und Polen aber spürt Schibowski, dass die damals angestoßenen Bemühungen noch nicht abgeschlossen sind. Die Brücke, die Frankfurt und Słubice verbindet, überquert er täglich. Er wohnt auf der polnischen und arbeitet auf der deutschen Seite. Mit dem Rad braucht er 30 Minuten – und fährt an Autoschlangen vorbei, die die Straßen auf der polnischen Seite der Stadt verstopfen. Er sieht viele Menschen, denen die Grenzkontrollen schon am Morgen die Laune vermiesen.
„Die Woche ist für alle. Jeder ist eingeladen“
Schibowski (33) kommt aus Hamburg und hat in Münster studiert, Theologie und Geschichte. Der Zweite Weltkrieg und die Rolle der Kirche – seine Themen. Dass sein Weg ihn, seine Frau und ihre drei Kinder an die deutsch-polnische Grenze führte, war kein Zufall: In einer Region, die seinen Eltern früher einmal Heimat gewesen war, wollte er sich ausbilden lassen. Zum Pastoralreferenten. Diaspora, Zerrüttung, Dialog bewegen ihn seit seiner Kindheit. Der Pate seiner Schwester wurde im KZ Sachsenhausen geboren. Seine Großmutter schrieb Bücher zu polnischen Überlebenden der Vernichtungslager. Als kleiner Junge half Schibowski ihr beim Übersetzen der Werke ins Deutsche. Über die Vergangenheit wurde in seiner Familie immer gesprochen.
Schibowski sagt: „Vergebung ist ein Prozess, kein einmaliger Akt.“ Dass damals die polnischen Bischöfe ihren deutschen Mitbrüdern vergaben und um Versöhnung baten, ist für ihn „ein Akt des Mutes“. Heute will Schibowski diesen Mut wieder aufgreifen. „Die Brücke, die uns verbindet, kann von beiden Seiten wieder aufgebaut werden“, sagt er.
Die Versöhnungswoche, die er jetzt im November organisiert, bietet Gottesdienste auf Polnisch und Deutsch, in Polen und in Deutschland, Podiumsdiskussionen und Begegnungen mit Zeitzeugen. „Die Woche ist für alle“, betont Schibowski, „für Katholiken, für Nicht-Katholiken, für Deutsche, für Polen. Jeder ist eingeladen.“
An der Oder leben Deutsche und Polen gegenüber voneinander. Und sind sich doch oft fremd. Schibowski sagt, man müsse wegkommen von den Vorurteilen, die sich auf beiden Seiten der Grenze halten: die Deutschen seien Nazis, die Polen diebische Elstern. Die Nachbarn fänden schwer zueinander, sagt Schibowski: „Das ist schade, dieses Nebeneinanderherleben.“
Dann seien da noch die Forderungen Polens nach Reparationszahlungen und Deutschlands Weigerung, darauf einzugehen: „Viele der Polen fühlen sich alleingelassen und nicht gesehen von ihrem Nachbarstaat und den Deutschen.“
Was für die eine Seite längst vergessen ist, die andere aber nicht vergeben kann: die Rolle Deutschlands zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Schibowski sagt: „Das lange politische Zögern auf deutscher Seite, ob und wie die Ukraine unterstützt werden sollte, hat dazu geführt, dass man sich in Polen fragt: Kann man dem Nachbarland trauen?“
Die Wahl des neuen Präsidenten Karol Nawrocki macht den Versöhnungsprozess nicht unbedingt leichter. Denn Nawrocki polarisiert und ist wenig europafreundlich. Trotzdem bleibt Schibowski optimistisch. „Ich glaube daran, dass Polen und Deutsche wieder Brüder und Schwestern werden können.“ Und er ist überzeugt, dass die Kirche eine wichtige Rolle bei der Versöhnung spielen kann. Denn: „Gerade in dieser dunklen Zeit, in der wir uns befinden, ist es unsere Aufgabe, eine hoffnungsvolle Botschaft zu verkünden.“
Hintergrund
Die von Lukas Schibowski initiierte Woche der Versöhnung findet vom 16. bis 23. November in Frankfurt an der Oder/Słubice statt. Zudem planen die Deutsche und die Polnische Bischofskonferenz eine gemeinsame, zentrale Feier am 18. November in Breslau (Wrocław).
Lukas Schibowski ist für seine Ausbildung zum Pastoralreferenten direkt ins Grenzgebiet gezogen. Er arbeitet in Deutschland, lebt aber in Polen.