Edelgard Gardt, "weltliche Ordensfrau"

Die Gottsucherin

Image
07_gottmacher.jpg

„Ich bin so ein Aber-Mensch“, sagt Edelgard Gardt von sich. Ihr kritischer Geist haderte oft mit ihrer Sehnsucht nach Halt. Eine Krise krempelte ihre Einstellung zur Kirche um. Heute lebt die Wormserin im Dritten Orden der Franziskaner. Von Anja Weiffen



Edelgard Gardt vor dem Wormser Haus am Dom. Dort ist die Gemeindereferentin ehrenamtlich als Ansprechpartnerin für Besucher aktiv.


Edelgard Gardt ist „weltliche Ordensfrau“. Mit zwei Kindern und acht Enkeln. „Und mit einer Adoptiv-Flüchtlingsfamilie“, sagt Edelgard Gardt lachend beim Treffen im Wormser Haus am Dom. Sie hat einen kleinen Tisch und zwei Stühle für das Gespräch zusammengestellt und zündet eine Kerze an. Die Flamme bringt Licht in den trüben Morgen. Ihr Smartphone liegt griffbereit auf dem Tisch.
Die ausgebildete Gemeindereferentin arbeitet als Seelsorgerin im Wormser Caritas-Altenheim Burkhardhaus. Auch ehrenamtlich ist sie aktiv. Aber sie lebt noch eine andere Berufung: Sie gehört dem Ordo Franciscanus Saecularis (OFS) an, dem Dritten Orden des heiligen Franz von Assisi. Inzwischen wirkt sie dort als Vorsteherin der Bensheimer Gemeinschaft, deren Mitglieder verstreut in der Region wohnen und sich einmal im Monat zu Gebet und interner Bildung treffen. Auf überregionaler Ebene organisiert Gardt als Beauftragte europaweite Treffen der OFSler. Vor zehn Jahren gab sie dem Orden ihr lebenslanges Versprechen.
So einträchtig sich ihr Verhältnis zur Religion heute darstellt, so ambivalent war es viele Jahre. Edelgard Gardt wuchs im rheinhessischen, „erzkatholischen Nackenheim“ auf, wie sie es nennt. Doch Sitten und Gebräuche lockerten sich, in der Republik und auch in Nackenheim. „In den 1970er Jahren, als ich Jugendliche war und nach Orientierung suchte, fiel fast jede Regel“, erinnert sich die 65-Jährige. Wenn sie sich samstagabends mit Freundinnen treffen wollte und vorher in die Messe ging, kam sie in Erklärungsnot. „Auch die Sprüche über den Pillen-Papst verunsicherten mich“, sagt sie.
Mit Skepsis habe sie die gesellschaftlichen Entwicklungen wahrgenommen. Sie heiratete früh, wurde Mutter von zwei Kindern. Die Ehe ging in die Brüche, als sie Ende 20 war. Sie geriet in eine persönliche Krise. „Ich haderte damals mit Gott und der Kirche“, sagt sie von dieser Zeit, die sie dazu veranlasste, sich über andere Religionen zu informieren. „Ich stellte unter anderem fest, dass es auch anderswo meist vorteilhafter ist, ein Mann zu sein.“ Dann habe sie angefangen, mit Gott zu reden: „Wenn es dich wirklich gibt …“ Sie begann, einen eigenen Standpunkt in ihrer Religiosität zu suchen.
Bei einem Reha-Aufenthalt lernte Gardt einen Baptisten kennen. „Er konnte gut Klavier spielen“, erinnert sie sich. „Er hielt meine oftmals aufmüpfigen Fragen aus.“ Eines Tages nahm sie der Klavierspieler mit zu einer Erwachsenentaufe an einen See. „Ich fühlte mich ausgeschlossen wie noch nie. Alle hatten ihre Partner dabei, ich war allein. Zudem spürte ich eine tiefe Gottverlassenheit.“ In dieser Situation macht sie eine Erfahrung, von der sie erzählt, als wäre sie gestern gewesen. „Ich habe etwas an meiner Schulter gespürt, als wenn mich jemand umdrehen und ansprechen wollte.“ Erst später deutete sie diesen Augenblick als „Lebenswende“.

„Das hatte nichts mit irgendeiner Logik zu tun“

So wichtig ihr die kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben war, sie versperrte etwas, das wurde ihr zunehmend deutlich. „Die Getauften am See strahlten Freude und Frieden aus. Das beeindruckte mich. Das hatte nichts mit irgendeiner Logik zu tun. Glaube ist intuitiv, begriff ich. Damals fühlte ich mich wie der verlorene Sohn aus Jesu Gleichnis.“ Anfangs suchte sie Anschluss an die Baptisten. Aber sich ein zweites Mal taufen lassen? „Ich war ja schon getauft“, argumentiert sie. Zu der Zeit stand für sie beruflich eine Neuorientierung an. Ihren Erzieherinnenberuf wollte sie aufgeben. Um mehr über den christlichen Glauben zu erfahren, begann sie den Würzburger Fernkurs und wechselte zur Fachakademie Mainz, wo sie sich zur Gemeindereferentin ausbilden ließ. „Ich habe mich mit meiner Kirche versöhnt“, sagt sie. Glaubenswissen half ihr dabei.
Eine Freundin war Bildungsbeauftragte beim Ordo Franciscanus Saecularis, durch sie kam sie mit franziskanischer Spiritualität in Kontakt. Vor allem bei den Europa-Treffen fühlte sie sich in der franziskanischen Familie zu Hause. Irgendwann fragte jemand, ob sie eintreten wollte. „Ich bin hineingewachsen. Das Franziskanische gefällt mir durch seine Einfachheit, durch die Nähe zum Evangelium.“ Sie weist auf einen Satz aus der Feier zum Ordensversprechen hin. „Beobachte das Evangelium! Das finde ich eine interessante Formulierung, die ausdrückt, welche Bedeutung das Evangelium für uns hat. Es ist lebendiges Wort Gottes.“
Einfach leben, das passt für sie. „Früher bin ich gern einkaufen gegangen. Heute trage ich eher Secondhand-Kleidung. Das nehme ich auch als Trend bei jungen Leuten wahr“, sagt sie und zeigt lächelnd auf ihr Mobiltelefon. „Fair hergestellt.“ Die Erfahrung am See deutet Gardt im Rückblick so: „Ich habe mich zuinnerst gesehen gefühlt. Nächstenliebe bedeutet für mich, Gottes Geschöpf in jedem Menschen zu erkennen, das gibt mir eine positve Haltung, auch anderen gegenüber.“

 

ZUR SACHE

Der OFS

Die Mitglieder des Ordo Franciscanus Saecularis sind Männer, Frauen, Verheiratete, Ledige, Laien, Kleriker. Sie treffen sich in lokalen Gemeinschaften und verpflichten sich, entweder auf Zeit oder für immer, das Evangelium im Alltag zu leben. Der Orden geht zurück auf eine mittelalterliche Bewegung. Seit dem Zweiten Vatikanum übernehmen die Mitglieder die Leitung in Eigenregie. Die sieben Schwestern und Brüder der Bensheimer Gemeinschaft, der Edelgard Gardt vorsteht, kommen aus dem Gebiet zwischen Worms und Michelstadt sowie zwischen Mannheim und Darmstadt.
www.ofs.de

Von Anja Weiffen