Fahrradwerkstatt in Lingen

Die Räder haben einen Wert

Image
Leute in der Fahrradwerkstatt
Nachweis

Foto: Christiane Adam

Caption

Hat den Überblick und packt in der Werkstatt selbst mit an: Diakon Christian Eilers (r.). Foto: Christiane Adam

Seit neun Jahren werden in Lingen gespendete Fahrräder repariert und für kleines Geld an Menschen in Not weitergegeben. Das Projekt hat sich in der Region längst etabliert. Nun entsteht daraus ein Verein.

„Wir haben gestern das 1500. Fahrrad gespendet bekommen“, berichtet Christian Eilers. Der Diakon der Lingener Pfarreiengemeinschaft Maria Königin/St. Marien Biene steht mit ölverschmierten Händen inmitten von Fahrrädern in unterschiedlichen Zuständen: fertig repariert, gerade in der Arbeit oder frisch hereingekommen und sanierungsbedürftig. Seit 2015 werkelt Eilers mit einem Team an Fahrrädern, seit 2019 in der „Fahrradwerkstatt für Menschen in Not“ neben dem Jugendzentrum „Alter Schlachthof“ am Konrad-Adenauer-Ring in Lingen.

Lange schon hat sich herumgesprochen: Wer einen fahrbaren Untersatz braucht und sich kein werkneues Fahrrad, geschweige denn ein Auto leisten kann, wird hier fündig. Fachkundig reparieren hier Freiwillige die gespendeten Drahtesel. Und so finden sich dienstags zwischen 15 und 18 Uhr zahlreiche Menschen ein: um ein Fahrrad zu erwerben, sich bei der Reparatur helfen zu lassen oder auch einfach nur, um sich zu unterhalten.

Letzteres ist Christian Eilers wichtig, auch für die rund 17 Ehrenamtlichen im Team. „Es geht um Kommunikation und Zusammenkommen. Darin sehe ich meinen diakonischen Auftrag.“ Der 43-jährige Jonatt de Paula aus Brasilien kommt unter anderem deshalb in die Räume. Er hilft hier und auch in der Fahrradwerkstatt der Gesamtschule Emsland mit, „weil ich Deutsch lernen muss und etwas zur Gemeinschaft beitragen möchte“. Seine Frau arbeitet bei einer Lingener Firma, so kam der Brasilianer ins Emsland.

Umsonst gibt es die Fahrräder nicht. Was die Räder kosten, entscheidet die Ausstattung, manchmal auch der Geldbeutel des Käufers. So entschloss sich das Team vor kurzem, einer Krankenpflegeschülerin ein Rad zu spendieren. „Die Hedon-Klinik hat uns angerufen und erzählt, dass die Auszubildende einen Unfall hatte und ihr Fahrrad dabei irreparabel beschädigt worden ist.“ Wohlwissend, dass eine Auszubildende nicht viel Geld hat, zumal es sich um eine junge Frau aus Kenia handelte, überreichte man ihr eines der Fahrräder. Ähnlich erging es einer alleinerziehenden Mutter, deren Kind das Rad gestohlen worden war. „Wir müssen  nichts verdienen, Hauptsache, am Jahresende steht eine schwarze Null“, so Diakon Eilers.

Die Mitarbeiter hatten zunächst Sorge, ob sie jetzt jedes Ersatzteil buchen müssen.

Hierbei handelt es sich jedoch um Ausnahmen, denn „wir möchten verdeutlichen, dass die Räder immer noch einen Wert haben, auch wenn sie nicht neu sind“. Somit hat die Fahrradwerkstatt auch Einnahmen. Und eben hierin liegt der Grund, weshalb aus dem Projekt gerade ein Verein gegründet wird.

Ein seit Jahren schwelendes Thema sei, dass Kirchengemeinden künftig umsatzsteuerpflichtig werden sollen. Wenn die Einnahmen eine bestimmte Größe überschreiten, würden Steuerzahlungen fällig. „Die Gemeinde Maria Königin, der die Fahrradwerkstatt angehört, soll nicht durch unsere Einnahmen belastet werden“, sagt der Diakon. Und so ist die Fahrradwerkstatt gerade dabei, sich von der Gemeinde abzukoppeln. Das hat neben den Formalitäten, die eine Vereinsgründung mit sich bringt, noch andere Folgen. Bislang waren die freiwilligen Mitarbeiter über das Freiwilligen-Zentrum Lingen versichert. Nun hat die Fahrradwerkstatt die wichtigen Versicherungen selbst abgeschlossen.

Eilers ist es wichtig, dass jeder und auch die Werkstatt als solche versichert sind. Ebenfalls abgesichert hat der neue Verein „Fahrradwerkstatt für Menschen in Not“ sich gegen Haftungsschäden, die aus unsachgemäßer Reparatur entstehen könnten. Ansonsten möchte Eilers den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich halten. „Die Mitarbeiter hatten zunächst Sorge, ob sie jetzt jedes Ersatzteil buchen müssen“, doch dem sei nicht so.

Ordnung müsse aber schon sein, und so ist im Lager im vergangenen Jahr ein übersichtliches System für Reserveteile entstanden. Ebenso gut erkennbar sind jetzt die Teammitglieder: Jeder hat beschriftete Arbeitskleidung erhalten. Für den Diakon hat das etwas mit Wertschätzung zu tun. Was sich trotz der Umwandlung vom Projekt in einen Verein nicht ändern werde, sei die Kooperation mit der Stadt Lingen, der Gemeinde Maria Königin, dem SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste und dem angrenzenden Jugendzentrum: „Das soll alles so gut weiterlaufen wie bislang!“

Im Vorstand des Vereins sind Andreas Hueske als erster Vorsitzender, Enno Seeker als zweiter Vorsitzender und Hugo Kruip als Kassenwart.

Christiane Adam