Ein eingespieltes Team
Foto: Marco Heinen
Kastorf. Regentropfen prasseln auf das Dach, aber bei Cathy und Nixda im Stall ist es schön trocken. Während die zwölfjährige Reitpony-Stute Nixda den Besucher ein bisschen argwöhnisch beäugt und etwas abweisend wirkt (der Name scheint Programm zu sein), macht Haflinger-Stute Cathy in der Nachbarbox einen tiefenentspannten Eindruck. Erst recht, als sie ein paar Leckerlies zur Begrüßung bekommt. Cathy ist schon 26 Jahre alt. „Mit dem Alter kommt sie gut klar“, scherzt Reinhold Kruck, der seinerseits schon 64 Lenze auf dem Buckel hat.
Die beiden sind ein eingespieltes Team; Kruck kennt das Pferd, seit es als Fohlen bei ihm auf dem Hof zur Welt kam. Seine Tochter hatte ihn überredet, das Tier zu behalten. Wer der Chef ist und wer nicht, das haben Kruck und Cathy schon vor Jahren untereinander ausgemacht. Als heiliger Martin mit seinem Pferd werden die beiden am 11. November in Lübeck einen großen Auftritt auf der Parade vor der Propsteikirche Herz Jesu haben – inmitten von Dutzenden Kindern mit Laternen, die mit den beiden durch die Straßen ziehen wollen.
Klar, dass für so einen Laternenumzug nur Pferde in Frage kommen, die sich durch viele Kinder, ein bisschen Geschrei, Gesang und Laternen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Das Pferd im Vorjahr war auch so eines, aber leider lebt es inzwischen nicht mehr, und so fahndete Kita-Leiterin Sabrina Bayer intensiv nach Ersatz. Auf Umwegen landete die Anfrage bei Reinhold Kruck, und der wurde sich mit Sabrina Bayer schnell einig.
Cathy ist eine alte Dame mit viel Erfahrung
Kein großes Gedöns, sondern einfach helfen, wenn er gebraucht wird. So ein Typ ist Kruck, der sonst ein bisschen spröde wirkt, aber ein Gespür für trocken gesetzte Pointen hat – und offenbar ein großes Herz für Kinder. Er ist aus dem Nachbarort Bliestorf nach Kastorf gekommen, beides Orte im Lauenburgischen zwischen Bad Oldesloe und Ratzeburg. In Kastorf haben die Pferde ihr Zuhause. Kruck hat Cathy schon vor 13 Jahren an die Familie von Sandra Groß und
ihre drei Kinder abgegeben. Ihre beiden Mädchen reiten ebenfalls. Die pharmazeutisch-technische Assistentin arbeitet in einer Apotheke, die Pferde sind ihr Ausgleich. Sie und Kruck kennen sich unter anderem aus ihrer Kirchengemeinde der freikirchlichen Siebenten-Tags-Adventisten. Und Kruck war es auch, der Sandra Groß schon vor Jahren das Reiten beibrachte.
Cathy hat er ihr unter der Bedingung gegeben, dass er sie auch mal holen kann, wenn er das Pferd braucht. Ab und zu reiten sie zusammen aus. In Lübeck wird Sandra Groß wohl mit dabei sein. Cathy kennt das schon. Als Dreijährige war sie das erste Mal in der Stadt, zur Hochzeit von Krucks Bruder. „Wir waren auch schon auf einem Pfadfinderlager mit viel Lärm und Krawall, sind hin geritten und zurück – das macht sie alles mit“, erzählt Sandra Groß. Haflinger sind oft so. „Sie werden häufig als Therapiepferde genommen, weil sie unheimlich gut Emotionen und Stimmungen auffassen. Und bei Kindern – wenn sie merken, dass die Kinder unsicher sind – sind Haflinger extra lieb und vorsichtig“, weiß sie aus Erfahrung. Sensibilität gehört auch zu Cathys Charakter. „Wenn man rauskommt, die hört jeden Schritt und Tritt.“
Bei der Weihnachtsfeier ist das Team auch gefragt
Im vergangenen Jahr hat Cathy eine Kutsche gezogen, auf der ein Weihnachtsmann saß. Das war in Klinkrade, bei der Weihnachtsfeier auf einem Pferdehof. „Seit etlichen Jahrzehnten gab es da keine Kutsche mehr, keinen Weihnachtsmann, kein gar nichts“, sagt Kruck. „Und dann war da großes Highlife bei den Kindern und bei den Erwachsenen.“ Klar, wer den Weihnachtsmann gespielt hat. Am 9. Dezember ist er bei der diesjährigen Weihnachtsfeier wieder dabei. Das ist Ehrensache.
Die Mutter von Cathy war noch ausgeglichener, sagt Kruck. 35 Jahre alt wurde sie. Ein paar Jahre davon hat sie bei seiner Nichte zugebracht, die auch reiten wollte. Er selbst ist auf einem Hof mit rund 30 Pferden groß geworden, denn sein Vater war Landwirt und Züchter. Kruck hat einen anderen Berufsweg gewählt und nur noch zwei Pferde in seinem Stall, einen Haflinger und einen Holsteiner. Die seien aber nicht geeignet für Ausflüge in die Stadt. Der Haflinger vielleicht irgendwann mal. „Da arbeite ich noch dran“, sagt Kruck grinsend. „Der Umgang spielt eine ganz große Rolle. Wie man mit dem Tier umgeht. Es muss Vertrauen hergestellt werden. Das ist kein Moped, das man abstellt und dann weggeht.“
Beruflich ist Reinhold Kruck ein echter Exot, denn er ist – so sagt er – der letzte Kranzbinder in Schleswig-Holstein. Das heißt, er stellt Rohlinge aus Stroh für Trauerkränze und Adventskränze her. Aber es ist ein aussterbender Beruf. Von ehemals etwa 30 Kranzbindern im Land sei außer ihm keiner mehr übrig. „Der Bedarf ist nicht mehr da. Nur bei den Alten auf den Dörfern sind Kränze noch üblich.“ Und mit der Billigkonkurrenz kann er schon gar nicht mithalten. Für die heute üblichen Preise bekommt er nicht einmal sein Material. Statt 400 bis 450 Strohballen pro Jahr, die er vor 25 Jahren mal verarbeitet hat, sind es jetzt nur etwa sieben Ballen. „Für jeden Toten ist man dankbar“, meint er trocken. Aber das ist ein Thema für sich.
Als heiliger Martin muss Reinhold Kruck für seinen Auftritt vor der Propsteikirche Herz Jesu keinen Text lernen, denn die Geschichte wird vorgelesen. Nur den Mantel teilen muss er. Und zusammen mit Cathy vorangehen und Ruhe bewahren. Los geht es um 16 Uhr – hoffentlich ohne Regen.