Aufarbeitungskommission
Ein fast gelungener Start – das Interview
Foto: Andreas Hüser
In Ihrer Kommission sollen zehn Experten unterschiedlichster Fachrichtungen und Herkunft ein sehr schwieriges Thema bearbeiten. Ist der Start gelungen?
Ja, wir sind mit Freude bei der Sache. Hier kommen ganz ausgezeichnete Damen und Herren zusammen. Wir verstehen uns hervorragend. Es gibt viel zu tun, aber wir sind konstruktiv und sorgfältig bei der Sache. Es läuft gute eine Arbeit ab – im Interesse der Gläubigen in den drei Bistümern und auch der an ihren Rechtsgütern verletzten Menschen.
Sie wollten heute aber schon weiter sein – so ist es im Zwischenbericht zu lesen.
Seit zweieinhalb Jahren kommen noch nicht die angeforderten Daten von den drei Bistümern. Das bedauern wir, weil es unsere Tätigkeit hemmt.
Um welche Daten handelt es sich?
Es geht um die Fallzahlen, um die Akten. Wir brauchen Informationen zu den Fragen: Wann ist wo was geschehen? Welche Taten werden zur Last gelegt? Wenn es mehrere in ihren Rechten Verletzte gibt, wie lassen sich diese zuordnen? Nur wenn wir dies wissen, können wir auch auf die strukturellen Umstände schauen. Nur so können wir danach Vorschläge machen, was geändert werden sollte.
Die Bistümer berufen sich auf den Datenschutz. Sie sehen das anders?
Ja. Ich habe am Anfang von allen Mitgliedern eine umfangreiche Verschwiegenheitserklärung unterschreiben lassen. Kein Wort, kein Name wird nach außen dringen. Wir sind zudem als Unabhängige Aufarbeitungskommission Nord gewissermaßen Teil der kirchlichen Einrichtungen. Und: Wir können unsere Aufgabe ohne die Daten nicht wahrnehmen.
Ich sehe allerdings, dass sich in jüngster Zeit etwas bewegt. Auf unsere Interventionen hin haben Hildesheim und Osnabrück angekündigt, uns die Daten zu liefern. Ich hoffe dass auch noch Hamburg einlenkt, damit wir in unserer Arbeit weiterkommen.
Warum fehlen Ihnen die Fallzahlen? Die bisher vorgelegten Studien, etwa die MHG-Studie oder die Ulmer Mecklenburg-Studie, haben ja Zahlen über die Missbrauchsfälle veröffentlicht.
Wir sind der Überzeugung, dass wir unmittelbar von den Bistümern zur Verfügung gestellte Daten benötigen. Es wäre sinnlos, wenn wir uns auf vorhandene Studien auf Feststellungen Dritter stützen würden, oder etwas als Grundlage nehmen, was nicht von unseren Bistümern kommt. Das kann nicht unsere Aufgabe sein. Wir arbeiten nicht aggressiv gegen die Bistümer. Wir wünschen eine gute und enge Zusammenarbeit. Aber wir kommen nicht zum Kern.
Wir reden meistens von den Altfällen. Haben Sie einen Überblick über aktuelle Fälle von Missbrauch?
Haben wir nicht. Aber ich sehe es auch als notwendig an, nicht nur Handlungen aus den Fünfziger Jahren aufzuarbeiten, sondern auch zu fragen: Was geschieht jetzt? Was ist in den letzten Jahren geschehen? Nur so können wir strukturell Vorschläge machen, wie Menschen vor sexuellen Übergriffen geschützt und bewahrt werden können.
Sie schreiben in Ihrem Bericht: Personell sollten nicht nur Kleriker im Fokus stehen. Glauben Sie, dass eine „Dunkelziffer“ von anderen Tätern gibt, die bisher wenig beachtet wurden?
Wir können das noch nicht sicher einschätzen. Aber nachdem, was wir aus dem Kreis der Betroffenen gehört haben, gibt es eine ganze Reihe von kindlichen Verletzten, die etwa in Kindergärten oder Heimen benachteiligt wurden und nicht durch Priester. Auch diese Fälle werden wir in den Blick nehmen.
Eine umstrittene Frage ist die Höhe von finanziellen Entschädigungen. Vor einem Jahr hat das Landgericht Köln das dortige Bistum zu einer Zahlung von 300 000 Euro verurteilt. Ist die Frage nach angemessenen Entschädigungen auch in Ihrer Kommission Thema?
Wir wollen als UAK Nord den Bistümern keine Vorgaben machen, in welcher Höhe Entschädigungen zu leisten sind. Dass sie geleistet werden, halte ich für richtig. Aber das Urteil des Landgerichts Köln ist aus meiner Sicht völlig überhöht. Wir haben in Deutschland ansonsten nicht solch hohe Schmerzensgelder. Es macht keinen Sinn, höhere Entschädigungen zu zahlen als bei sexuellen Straftaten in nichtkirchlichen Bereichen. Allerdings sehen das nicht alle Mitglieder der Kommission so wie ich. Eine weitere Frage ist, ob die Bistümer auf die Einrede der Verjährung bei Taten verzichten sollten. Die Verjährung ist eine gesetzliche Regelung, die man der Kirche nicht gänzlich wegnehmen sollte. Ob es im Interesse der Gläubigen ist, trotz einer Verjährung Leistungen zu zahlen, muss man im Einzelfall prüfen.
Missbrauch in der Kirche verhindern ist das Ziel – durch Prävention, aber auch durch schnelle „Intervention“, also Eingriff in einem akuten Fall. Sind die Regeln dafür heute hinreichend?
Im Hinblick auf die Interventionsordnung der Deutschen Bischofskonferenz muss man sagen: Es muss manches konkreter werden. Und wir könnten, wenn wir in der eigentlichen Arbeit sind, da einige Empfehlungen geben und deutlicher werden. Wir sagen nicht, dass wir alles besser wissen. Aber wir wollen aus unserer Arbeit, die sorgfältig gemacht wird, Empfehlungen dazu geben, was sinnvoll oder notwendig ist.
Was sind die nächsten Schritte?
Erst einmal warten wir jetzt auf die Entscheidung: Wann bekommen wir die Daten? Alles andere lässt sich gut bearbeiten. Wir arbeiten viel. Wir schauen alles an, schauen alle Rechtsthemen an. Wir haben häufige Sitzungen – mit weiten Anfahrten. Das ist aber kein Problem. Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen ein Ehrenamt. Wir benötigen Ehrenämter, um unser ausgezeichnetes Gemeinwesen und unser ausgezeichnetes Rechtssystem zu stützen, zu fördern – und gegen alle Angriffe zu verteidigen.
Der Zwischenbericht und weitere Informationen über die Aufarbeitungskommission sind veröffentlicht auf www.uak-nord.de