Suchtberatungsstellen in finanzieller Notlage

Flammender Protest

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Zettel werden verbrannt
Nachweis

Simone Lause/Caritas Bremen

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Aktion der Bremer Caritas-Suchtberatung: In einer Feuerschale wurden symbolisch die Geschichten von potenziellen Klientinnen und Klienten, die künftig nicht beraten werden können, verbrannt

Die Suchtberatung in Deutschland schlägt Alarm. Dreiviertel der öffentlich finanzierten Beratungsstellen können ihre Kosten in diesem Jahr nicht decken. Die Folgen: Viele müssen schließen oder ihre Angebote einschränken – und das bei steigender Nachfrage. Fragen an die Leiterin der Fachambulanz für Suchtprävention und Rehabilitation der Caritas Bremen, Eileen Teuber.

Frau Teuber, wie ernst ist die finanzielle Situation?

Sehr angespannt. Die Suchtberatung wird aus kommunalen Mitteln und zum Teil aus Haushaltsmitteln der Bundesländer finanziert. Es handelt sich um eine Kann-Leistung: Wenn also irgendwo gekürzt werden muss, betrifft es diese Leistungen als Erstes. Das bedeutet für uns zum Beispiel kürzere Sprech- und Öffnungszeiten. Dabei steigt die Nachfrage – gerade in der Großstadt Bremen –, und die einzelnen Fälle werden immer komplexer. Weitere Krankheitsbilder wie ADHS, Angststörung, Depression oder Trauma kommen hinzu. Wir versorgen auch Patienten im niedersächsischen Umland mit, dort, wo Beratungsstellen keine ambulante Rehabilitation mehr anbieten können. Personell stoßen wir an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Und es gibt noch eine Bremer „Spezialität“.

Welche?

In Bremen wird zwischen legalen und illegalen Drogen getrennt. Die illegalen Substanzen laufen über eine andere Beratungsstelle, die einen Versorgungsauftrag hat. Und im Bereich Alkohol liegt dieser Versorgungsauftrag bei den Behandlungszentren, sodass unsere Caritas-Beratungsstelle keinerlei kommunale Mittel erhält. Die Rentenversicherung finanziert unsere Reha-Leistungen – und wir sind im Therapieverbund mit den Landkreisen Diepholz und Nienburg links der Weser. Dort werden zwar kommunale Gelder gezahlt, aber sie wurden lange nicht erhöht, weil es wie gesagt keine gesetzliche finanzielle Verpflichtung gibt. Steigen dann auch noch die Lohnkosten, wie das in den vergangenen Jahren geschehen ist, wird es eng für die Suchtberatungsstellen.

Wie ist die Caritas-Beratungsstelle in Bremen aufgestellt?

Wir sind sechs Therapeutinnen, zusätzlich gibt es ärztliches Personal für die Reha. Wir beraten und behandeln Klientinnen und Klienten ab 18 Jahren und decken das gesamte Suchtspektrum ab: Alkohol, Medikamente, illegale Substanzen, Medien, Glücksspiel, Pornografie. Viele kommen mit Doppeldiagnosen und weiteren Erkrankungen zu uns. Das kostet Zeit. Wir versorgen zu sechst um die 500 Patienten im Jahr. Ein Drahtseilakt. Oft müssen wir Betroffene abweisen. Aber auch Angehörige und Kinder aus suchtbelasteten Familien. Das ist besonders schade. Termine müssen wir oft mit langen Wartezeiten vergeben. Das ist im Suchtbereich schwierig, wenn jemand akut Hilfe braucht. Im Moment machen uns auch der Fachkräftemangel und bürokratische Strukturen zu schaffen – insofern, dass die Fachkliniken und die Entgiftung lange Wartelisten haben, sodass wir Monate überbrücken müssen. In der Zeit können wir keine neuen Klienten aufnehmen.

Eileen Teuber
Eileen Teuber leitet die Caritas-Fachambulanz Suchtprävention und Rehabilitation in Bremen. Foto: Simone Lause/Caritasverband Bremen

Welche Folgen hat das für Suchtkranke und ihre Angehörigen?

Es hat Folgen für die gesamte Gesellschaft, denn Sucht betrifft in der Regel das breite Umfeld der Menschen: Familie, Freunde, Arbeitgeber. Zu späte Hilfe verstärkt das Risiko eines Arbeitsausfalls und trägt indirekt zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels bei. Die Kosten durch die Unterversorgung sind immens. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Alkoholkonsum liegt bei 57 Milliarden Euro. Es gibt Studien, die belegen, dass jeder in die Suchthilfe investierte Euro 17 Euro Ersparnis bringt für die Gesellschaft, etwa bei den Krankenhauskosten, bei Folgekosten gesundheitlicher Art, Kosten für Justiz oder Behörden.  

Warum steigt die Zahl der Suchterkrankungen?

Therapie ist heute nicht mehr so verpönt, das hat sich zum Glück verändert. Hilfe wird frühzeitig in Anspruch genommen. Viele haben das Gefühl, dass sie aus dem Krisenmodus überhaupt nicht mehr rauskommen: die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, gestiegene Lebensmittelpreise, politische Unruhen – all das führt dazu, dass die Menschen belasteter sind. Und in einer belasteten Gesellschaft steigt die Suchtgefahr. Wir leben zudem in einer Leistungsgesellschaft, in der viele Menschen glauben, die an sie gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen zu können. Das fängt bei Kindern und Jugendlichen in der Schule an, wo es oft sehr stark um Leistung geht und nicht so sehr um die persönliche Entwicklung.

Am bundesweiten Aktionstag Suchtberatung, 14. November, machen Sie auf plakative Weise auf die Not der Suchtberatung aufmerksam – mit Feuer ...

Genau, wir wollen zeigen, wie prekär die Lage ist. In den vergangenen Jahren haben wir es mit sehr viel Wohlwollen versucht, aber kaum Gehör gefunden. Menschen mit Suchterkrankungen haben eine schlechte Lobby in Deutschland. Wenn sich die Beratungsstellen, die direkt mit diesen Menschen arbeiten, nicht dafür stark machen, macht es keiner. In einem Feuerkorb vor dem Caritas-Zentrum verbrennen wir symbolisch Zettel: die kurze Wartezeit, genügend Behandlungsangebote, die Suchtberatungsstelle in Wohnortnähe. Alles Dinge, die wegfallen, wenn es so weitergeht. Wir hoffen, damit die Kostenträger zu erreichen.

Was wünschen Sie sich konkret?

Unser Ziel ist eine verbesserte Situation für die Suchtberatungsstellen, zum Beispiel durch einen individuellen Rechtsanspruch analog der Schwangerenkonfliktberatung. Abhilfe schaffen kann eine kommunal finanzierte Suchtberatung als verbindliche und gesetzlich gesicherte Leistung, wie etwa bei der Krebsberatung. Mit einem festen Budget könnten wir planen. Wir haben noch so viele gute Ideen vor allem in der Prävention.

Könnten Sie an einem Beispiel beschreiben, wie wichtig Ihre Beratung ist?

Von unseren unverbindlichen und ergebnisoffenen Beratungen profitieren viele Menschen. Manche suchen bereits Hilfe, wenn sie erkennen, dass sie in letzter Zeit zu viel Alkohol getrunken haben und Gefahr laufen, in eine Sucht zu rutschen. Sie überlegen dann gemeinsam mit uns, wie sie es schaffen können, ihren Konsum zu reduzieren. Einer meiner Klienten, der lange in Behandlung war, sagte am Ende: „Ich habe gelernt, mich selbst zu lieben.“ Ein schöner Satz, der deutlich macht, was wir in unserer Suchtberatungsstelle bewirken können. 

 

Anja Sabel

Allein die Fachambulanz Suchtprävention und Rehabilitation der Caritas Bremen berät jährlich mehr als 500 Klientinnen und Klienten. Das sind 52 Prozent mehr als im Jahr 2018. 

Laut Bundesgesundheitsministerium trinken 14,8 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von 18 bis 64 Jahren so viel Alkohol, dass es gesundheitlich riskant ist. Das sind 7,9 Millionen Menschen. Eine Erhebung des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung zeigt, dass die Quote von Alkohol- und Drogenmissbrauch in Bremen mit rund drei Prozent doppelt so hoch liegt wie im Bundesdurchschnitt.

Den bundesweiten Aktionstag Suchtberatung unter dem Motto „Suchtberatung stärken – Gesundheit schützen“ nimmt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zum Anlass, eine zweckgebundene Abgabe auf legale Suchtmittel zugunsten von Prävention, Behandlung und Erforschung von Suchterkrankungen zu fordern.

Günter Sandfort
Suchtexperte Günter Sandfort. Foto: Caritas/Roland Knillmann

Günter Sandfort, Suchtexperte des Diözesan-Caritasverbandes Osnabrück, unterstützt das. Er rechnet vor: „In Deutschland wurden im vergangenen Jahr etwa 8,4 Milliarden Liter Bier abgesetzt. Würde für jeden Liter lediglich ein Cent abgeführt, stünden allein hierdurch bundesweit 84 Millionen Euro zur Verfügung."

In dieser Berechnung seien Wein, Spirituosen und andere alkoholhaltige Getränke noch nicht einmal enthalten, ergänzt Sandfort. Auch andere legale Suchtmittel, beispielsweise Zigaretten, nicht. Allein in Niedersachsen könnten demnach etwa acht Millionen Euro zusätzlich für Prävention und Behandlung von Suchterkrankungen genutzt werden. 

Insbesondere vor dem Hintergrund der Cannabislegalisierung, aber auch mit Blick auf den steigenden Bedarf in Prävention, Beratung und Behandlung wäre die von der DHS vorgeschlagene Abgabe absolut hilfreich, sagt er. So würden auch die ohnehin bereits stark angespannten öffentlichen Haushalte im Land und in den Kommunen nicht zusätzlich belastet.