Einfach mal die Welt retten ...
„Friede auf Erden in Realisierungsform“
„Friede auf Erden den Menschen“ – die Friedensbotschaft klingt in diesem Jahr besonders fremd. Was ist Ende 2022 übrig von der christlichen Verheißung, dass Frieden wird? Dieter Skala, Leiter des Katholischen Büros in Mainz, berichtet von Einsichten auf einer Reise nach Ruanda. Wo 1994 bis zu eine Million Menschen bei einem Genozid starben, sind Frieden und Versöhnung ein großes Thema. Von Ruth Lehnen
Dieter Skala war im Oktober als Mitglied einer rheinland-pfälzischen Delegation mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Ruanda. Anlass war das 40-Jahr-Jubiläum der Partnerschaft Ruanda – Rheinland-Pfalz. Dieter Skala erlebte, wie die Ruander Gewalt hinter sich lassen und Frieden aufbauen wollen. Er berichtet davon, was sie tun, damit Zerstörung durch Versöhnung überwunden wird.
Ruanda, das „Land der tausend Hügel“, ist am Äquator gelegen. Dieter Skala, der mit seinen Mitarbeitern im Katholischen Büro Mainz den Kontakt der Kirche zu Politik und Gesellschaft hält, war zum ersten Mal in Afrika. 40 Jahre „Graswurzelpartnerschaft“ zwischen Ruanda und Rheinland-Pfalz waren ein Grund zum Feiern, aber auch ein Anlass, mehr zu erfahren und voneinander zu lernen. Mehr als 30 Rheinland-Pfälzer, etwa aus der Justiz, von den Gewerkschaften, aus dem Sport oder der Bildung ergriffen diese Gelegenheit. So auch Skala, der die katholische Seite repräsentierte und sich beeindruckt zeigt: „Wir haben so viele soziale Projekte besucht, und es gab nicht eins, bei dem es nicht auf die eine oder andere Weise eine Beteiligung der katholischen Kirche gegeben hat.“ Er nennt als Beispiel einen Besuch im Norden, im Distrikt Gicumbi, bei einer zahlenmäßig kleinen Bevölkerungsgruppe, die bis vor Kurzem als Jäger und Sammler gelebt hatte. Nachdem ihre Lebensgrundlagen im Wald zerstört wurden, haben diese Menschen jetzt „umgeschult“ in Richtung Landwirtschaft und pflanzen „Irish potato“ an, wie Kartoffeln hier im Gegensatz zu Süßkartoffeln genannt werden. Ein katholischer Priester, Father Theophil, war der Vertrauensmann dieser
Neu-Landwirte. Eine Vertreterin der Gruppe dankte den Rheinland-Pfälzern dafür, dass durch die Hilfe zur Selbsthilfe nicht nur die Familien zu essen haben, sondern sie auch etwas Geld beiseite legen können, das in die Bildung der Kinder fließt.
Dem schlimmen Zustand, dass durch die Zerstörung der Wälder diese Bevölkerungsgruppe entwurzelt wurde, wird durch die Umschulungsmaßnahmen etwas entgegengesetzt, neue Hoffnung entsteht: „Friede auf Erde, das haben wir hier in der Realisierungsform“, sagt Skala.
„Deutsche und Ruander haben das Thema Aufarbeitung gemeinsam“
Ruanda war vor dem Genozid sehr stark römisch-katholisch geprägt. Heute sind etwa 51 Prozent der Bevölkerung römisch-katholisch. Die Anzahl der Menschen, die von Freikirchen angezogen werden, steigt. Ruanda hat heute etwa 13 Millionen Einwohner, Rheinland-Pfalz 4,105 Millionen. Die Partnerschaft Ruanda-Rheinland-Pfalz wird als Graswurzelpartnerschaft bezeichnet, weil rund 40 Kommunen, 50 Vereine, zwölf Kirchengemeinden sowie Unis und Hochschulen Kontakte zum Partnerland pflegen. Es gibt 200 Schulpartnerschaften. Das Partnerschaftsbüro in der ruandischen Hauptstadt Kigali hält die Fäden zusammen.
Etwa eine Million Menschen sind dem hunderttägigen Ausbruch der Gewalt im Jahr 1994 zum Opfer gefallen. Fast jede ruandische Familie hat Opfer zu beklagen. Deutsche und Ruander hätten – ohne die Ereignisse vergleichen zu wollen – das Thema Aufarbeitung gemeinsam, sagt Dieter Skala. Waren es im Dritten Reich jüdische Deutsche aus der Mitte der Gesellschaft und weitere Minderheiten, die der Verfolgung und Vernichtung zum Opfer fielen, so wandte sich die Gewalt in Ruanda gegen die Tutsi, aber auch gegen oppositionelle Hutu. Heute sei es in dem afrikanischen Staat Doktrin, nicht mehr von Hutu und Tutsi zu sprechen, erläutert der Leiter des Katholischen Büros. Das ist der Einsicht geschuldet, dass diese Kategorisierung der Ruander auf kolonialen und rassistischen Grundlagen beruht hat. Die grauenvolle Aufhetzung zur Gewalt war erst möglich geworden durch eine Spaltung und Abwertung von Menschen, die ursprünglich gleiches Bürgerrecht genossen. Heute werde in Ruanda nicht mehr nach der Bevölkerungsgruppe (Hutu, Tutsi, Twa) gefragt, berichtet der katholische Theologe.
Beeindruckt hat ihn der Besuch der Schule Nyange, in der drei Jahre nach dem Genozid Bewaffnete in Uniform in Klassenräume eindrangen und die Schüler zwingen wollten, sich getrennt nach „Hutu“ und „Tutsi“ aufzustellen. Damals erhoben sich die Schüler gemeinsam und erklärten, hier gebe es keine Hutu und Tutsi, sie seien alle Ruander.
Daraufhin schossen die Angreifer in die Gruppe, sieben Schüler starben, 40 wurden verletzt. Die Schule ist heute Gedenkstätte.
Skala ist überzeugt, dass die Ruander Schlussfolgerungen fürs Heute gezogen haben, indem sie Nein sagen zu jeder Form der Diskriminierung. Zumindest in der Gedenkstätte Nyange wird genau das thematisiert: Nein zu sagen zur Verächtlichmachung von Frauen, zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, von homosexuellen Menschen oder, ein Thema in Afrika, der so genannten Albinos.
„Weg von Überheblichkeit hin zur christlichen Vision von Versöhnung“
Dieter Skala sieht darin urchristliche Gedanken ausgedrückt: Weg von Überheblichkeit, von der sich niemand freisprechen könne, hin zu einer christlichen Vision von Frieden und Versöhnung. Hier könnten die Deutschen von den Ruandern viel lernen, meint der Theologe – hierzulande scheine der Zusammenhalt in der Gesellschaft unter dem Druck von Corona, Klimakrise und den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine eher zu bröckeln, bedauert er.
Bei der Begegnung von Nichtchristen und Christen geht es für Skala immer auch um die Frage: Sind die Christen erkennbar in ihrem Einsatz für Frieden, Versöhnung, im Einsatz für die Gesellschaft? Erhellen oder verdunkeln sie persönlich durch ihr Leben, was Christus wollte?
Der Einsatz für Kinder mit Behinderungen, den in Ruanda mit deutscher Unterstützung Ordensschwestern zeigen, sei ein solcher Einsatz, bei dem über christliche Werte nicht geredet, sondern bei dem nach christlichen Werten gehandelt werde.
Dieter Skala hat sich in Ruanda auch Gedanken über Reichtum und Armut gemacht. Die ruandische Gesellschaft ist reich an jungen Leuten: Fast 40 Prozent der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt. Was Geld betrifft, ist Ruanda arm: Das Durchschnittseinkommen beträgt umgerechnet 71 Euro im Monat. Dazu im Vergleich in Rheinland-Pfalz: etwa 1960 Euro. Während er Ruander beobachtete, die bis zu acht Kisten Wasser auf einem Fahrrad transportierten, dachte er darüber nach, dass er in Deutschland nur den Wasserhahn aufzudrehen braucht, um trinkbares Wasser zu erhalten: „Wie unverdient ist unsere Lebenssituation! Weil wir zufällig hier geboren sind und nicht 6000 Kilometer weiter südlich!“ Skala sieht darin eine Verpflichtung der europäischen Länder, zur Selbsthilfe in Ruanda beizutragen, „um den Menschen dort das Leben erträglicher zu machen.“
Diese Verpflichtung wächst noch mit der Veränderung des Klimas. Da Ruanda am Äquator liegt, kennt es keine Jahreszeiten, wie sie hierzulande prägend sind. Dort gibt es Regenzeit und Trockenzeit und „kleine Regenzeit und kleine Trockenzeit“. Als die Deutschen zu Besuch waren, war es die Zeit der „kleinen Regenzeit“. Das heißt, es hätte jeden Tag einige Stunden regnen müssen. Aber es war viel zu trocken. Der ausbleibende
Regen macht den Menschen das Leben im "Land der tausend Hügel" noch schwerer. Und auch der Krieg gegen die Ukraine hat schlimme Folgen: Die Benzinpreise sind sprunghaft angestiegen, ebenso wie für Nahrungs- und Düngemittel. Für den Leiter des Katholischen Büros in Mainz war die Delegationsreise ein Augenöffner. Frieden werde, wenn Menschen sich in konkreter Form begegnen. Wenn Vorurteile überwunden werden, wenn Gäste liebevoll aufgenommen werden. Wenn Verständnis füreinander wächst. Und wenn es tätige Hilfe gibt. All das hat er in Ruanda erlebt, im Oktober. Ein bisschen wie Weihnachten. Das „Katholische Büro Mainz. Kommissariat der Bischöfe Rheinland-Pfalz“ ist die Verbindungsstelle der Bistümer Trier, Speyer, Mainz und Limburg sowie des Erzbistums Köln zur Politik und Gesellschaft auf Landesebene in Rheinland-Pfalz.