Ein Pfarrer aus Essen radelt durch die Welt

Grenzenlose Freiheit

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Radfahrender Pfarrer
Nachweis

Foto: privat

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Immer unterwegs: Der Essener Pfarrer Gereon Alter

Im Urlaub radelt der Essener Pfarrer Gereon Alter durch die Welt. 70 Länder hat er schon bereist, 100 000 Kilometer abgestrampelt. Wichtiger als die körperliche Herausforderung sind ihm die Begegnungen mit den Menschen und mit der Schöpfung.

Es gibt Sätze, die brennen sich in dein Gehirn, die vergisst du für dein Leben nicht. Gereon Alter hörte so einen Satz in der weiten Landschaft Utahs, an einer Tankstelle. Er hatte sein Rad abgestellt, um die Wasservorräte aufzufüllen. Ein älterer Farmer, der zum Tanken gekommen war, blickte lange auf das voll bepackte Fahrrad. Und dann sagte er nickend: „You’re doing right …!“ Du machst es richtig.

Manchmal, gar nicht so selten, hat Alter die Begegnung mit diesem amerikanischen Landwirt so lebendig vor Augen, als sei sie gestern gewesen: wenn er gegen den Wind kämpft, wenn die Sonne brennt, der Regen prasselt, die Steigungen kein Ende nehmen. Wenn die Landschaft zum Heulen schön ist, die Sterne am Nachthimmel glitzern, die Menschen sich unterwegs Zeit nehmen für ein kurzes Gespräch. Wenn er durch die Lüneburger Heide strampelt oder in Südamerika unterwegs ist – zwischendurch auf kleineren Touren, einmal auf großer Fahrt. 70 Länder hat der Pfarrer mittlerweile mit dem Fahrrad durchquert, rund 100 000 Kilometer im Sattel zurückgelegt. Europa sowieso, aber auch Alaska und Kenia, Marokko und Indien, Thailand, Sri Lanka, Kuba und Madagaskar.

„Nie wieder!“ oder „Nochmal!“

Wie ein Draufgänger sieht Alter nicht aus beim Gespräch im Pfarrhaus seiner Essener Gemeinde. Aber die Fotos machen Respekt. Eines zeigt ihn auf einer Schotterpiste, es geht bergab und hinter der nächsten Kurve hinauf. Keine Menschenseele, nur Geröll, steile Abhänge, im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Himalaya. Wer hier über den Lenker geht, ist geliefert.

Als Jugendlicher ist Alter das erste Mal auf Fahrt gegangen, mit ein paar Freunden in den Weihnachtsferien und eher aus Langeweile. Bundeswehrparka, Esbit-Kocher, Biwakzelt. Kilometer um Kilometer im Schneetreiben. Die einen schreckt so was ab und sie schwören: „Nie wieder“. Die anderen kommen nicht mehr davon los.

Gereon Alter
Pfarrer Gereon Alter. Foto: Simon Wiggen

„Für mich ist eine Radtour grenzenlose Freiheit“, sagt Alter. Und der Einstieg in sein Buch „Wer radelt, der findet“ liest sich wie eine Liebeserklärung: „Das sanfte Klicken der Gangschaltung, das Surren der Räder, es klingt wie die behutsam einsetzende Ouvertüre zu einer großen Symphonie … Mein Atem wird tiefer und gleichmäßiger, ich spüre meinen Körper, die wachsende Kraft. Der Kopf wird frei, der Alltag entflieht. Ich liebe es, mit dem Rad unterwegs zu sein.“

Damit es kein Missverständnis gibt: Als Priester ist Alter das, was man einen Überzeugungstäter nennt. Eine Großstadtgemeinde mit 23 000 Katholiken, einem halben Dutzend Kirchen, sieben Kindertagesstätten, drei Seniorenheimen und einem Krankenhaus – das fordert vollen Einsatz. Da gibt es keine Flucht vor der Verantwortung. Aber wie jedem anderen steht ihm ein Jahresurlaub zu. Und den verbringt er nicht im Resort-Hotel oder am Strand, sondern auf dem Rad. „Unterwegs tanke ich meine Seele auf“, sagt der Pfarrer. Davon profitiert nicht nur er, sondern auch seine Gemeinde: „Wenn ich wieder zurück bin, sind meine Predigten lebendiger, kraftvoller. Die Touren sind für mich wie eine Rettungsinsel, die mich davor bewahrt, in den hohen Alltagsanforderungen an einen Seelsorger unterzugehen.“

Natürlich liebt Alter die Herausforderung, die Überraschung, das Abenteuer. Aber unterwegs ist er auch als Christ – neugierig auf die Menschen, denen er begegnet, auf ihre Spiritualität, auf ihre Geschichten. Es sind die ungezählten flüchtigen Begegnungen am Wegesrand, aber auch die intensiven Gespräche bis hin zur Lebensbeichte eines Fremden, der sich ihm anvertraut, weil er weiß: Gleich setzt sich der andere wieder in den Sattel, man sieht sich nie wieder.

„Gott ist in allen Dingen zu finden, auch in der Natur“, sagt Alter. Das könnte abgedroschen klingen. Aber in diesem Fall kann man es ihm abnehmen, wenn er sagt: „Ich erlebe die Natur immer wieder staunend und voller Ehrfurcht, mit Haut und Haaren. Ich gehe jetzt auf die 60 zu, und die Schöpfungspsalmen bete ich heute ganz anders als noch als junger Mann.“

Auch sein Blick auf die anderen Religionen habe sich durch die Reisen geweitet: „In Thailand beispielsweise spielt das Christentum keine Rolle. Und trotzdem sind die Menschen fromm, freundlich und immer hilfsbereit. Das hat mich, bis in die Haarspitzen katholisch sozialisiert, sehr nachdenklich gemacht.“

Stefan Branahl