Ausstellung in der Gedenkstätte Augustaschacht
„Ich durfte leben, weil er tot war"

Zeigen, welche Folgen Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der Geschichte hatten – das möchte die Ausstellung „Warum schreibst du mir nicht?“ in der Gedenkstätte Augustaschacht. Aufklären will auch Rozette Kats, die als Zeitzeugin eine Realschule besucht hat.

„Heute bin ich einer der sogenannten Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind. Damals, vor 70 Jahren, gab es Deutsche, die ins Ausland flüchteten, weil sie Juden waren. Einer von ihnen war Wolfgang.“ So beginnt Schauspieler Rauand Taleb in einem Film die Erzählung über den Juden Wolfgang Maas, der 1936 als 16-Jähriger vor den Nationalsozialisten in die Niederlande flieht. Taleb kennt Flucht aus eigener Erfahrung: Als Kind ist er mit seinen Eltern aus dem Irak nach Deutschland gekommen.
Der Film ist Teil der Wanderausstellung „Warum schreibst du mir nicht?“ in der Gedenkstätte Augustaschacht in Hasbergen. Die Ausstellung soll anhand von Briefen und Tagebucheinträgen die Schicksale von fünf Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus vorstellen. „Die Kommunikation könnte digital auch heute noch genauso ablaufen“, sagt Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätte Augustaschacht. Die Lebensgeschichten der Protagonisten der Ausstellung werden in den Filmen von vier Erzählern geschildert, die selbst einen Bezug zum Thema haben wie Rauand Taleb. Die Opfer des Naziregimes sollen so als freie Menschen mit Familien, Freunden und einem normalen Leben gezeigt werden.
„Es geht darum, gerade in einer Zeit, in der immer menschenfeindlichere Parolen vorgebracht werden, daran zu erinnern, welche Folgen das schon mal hatte“, sagt Gander. Die Schaukästen der Ausstellung sind in dem ehemaligen Arbeitslager in Hasbergen daher in unterschiedlichen historischen Räumen aufgebaut, die nur wenig umgebaut und renoviert wurden.
„Reden wir nicht darüber“ – das hörte Rozette Kats als Kind oft, wenn sie nach ihren Wurzeln fragte. Die Zeitzeugin wuchs in einer Pflegefamilie unter dem nichtjüdischen Decknamen Rita auf. Ihre Eltern hatten sie als Säugling zu einer kinderlosen Familie gegeben, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden. Ihre Pflegeeltern und verbliebenen Verwandten wollten und konnten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aber nicht mit ihr über ihre Eltern sprechen. Erst nach psychologischer Behandlung und eigener Forschung konnte Kats so nach und nach ihre wahre Identität entdecken.
„Wir sollten in die Schulen gehen, wo sie uns nicht haben möchten"
„Wenn man nicht lernt, sich in die Geschichte eines anderen zu versetzen, dann kann man einander auch nicht verstehen. Und es fehlt so viel Verständnis in der Gesellschaft“, sagt Kats bei einem Auftritt in der Realschule in Georgsmarienhütte vor rund 300 Schülern. Sie erzählt aus ihrer Geschichte und über die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf sie und ihr Umfeld. Die Niederländerin erklärt den Schülern, wie schwierig es war, ein Kind zu verstecken und welche Gefahren es brachte, wenn ein Versteck verraten wurde. Ihre Pflegeeltern hatten zweimal ein Kind nach der Geburt verloren. Im Stammbuch wurde der Name des Sohnes gelöscht und ihr Name an der Stelle eingetragen. „Ich durfte leben, weil er tot war. Das bedeutet Untertauchen“, sagt Kats.
Seit rund 20 Jahren besucht Kats Schulen vor allem in den Niederlanden, um über ihre Geschichte und die Nazizeit zu berichten. Besorgt stellt sie fest, dass immer weniger Schüler über die Zeit Bescheid wissen und sich sogar Lehrer weigern, über das Thema zu unterrichten. „Wir sollten in die Schulen gehen, wo sie uns nicht haben möchten, da ist es wichtig“, sagt Kats.
Den Abschluss der Ausstellung „Warum schreibst du mir nicht?“ bildet eine Wahlkabine aus Holz. Die Besucher sollen sich darin mit heutigen politischen Herausforderungen und Fragen beschäftigen und können ihre eigene Position auswählen. Zu den Antworten gibt es Informationen verschiedener Organisationen. „Wir wollen, dass die Menschen nicht nur die Geschichte kennenlernen, sondern sie auch ermutigen, auf die Gesellschaft aufzupassen“, sagt Michael Gander.
Christoph Brüwer
Die Wanderausstellung „Warum schreibst du mir nicht?“ ist noch bis zum 31. Oktober in der Gedenkstätte Augustaschacht (Zur Hüggelschlucht 4) in Hasbergen zu sehen. Weitere Infos: www.gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de