Ehrenamtliche Krisenberatung für Jugendliche

Reden kann Leben retten

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Kreideschrift auf dem Pflaster
Nachweis

Foto: Christiane Adam

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"Du bist mir wichtig": Diese Botschaft, mit Kreide auf die Straße geschrieben, vermittelt das Projekt [U25]. Foto: Christiane Adam

Liebeskummer, Streit, Mobbing: Wenn junge Menschen in eine Krise geraten, finden sie Hilfe beim Projekt [U25]. Dort werden sie von Gleichaltrigen ehrenamtlich beraten. Gerade ist ein neuer Ausbildungskurs zu Ende gegangen.

„Vielleicht hast du mir gerade das Leben gerettet. Ohne deine E-Mails hätte ich mir sonst wahrscheinlich keine Hilfe geholt.“ Carolin Cyzykowski erinnert sich noch sehr gut an diesen Satz. Sie ist Pädagogin mit einem Master of Education und arbeitet gemeinsam mit den Sozialarbeiterinnen Christina Jaspers und Lara Behnen im Projekt [U25], einem bundesweiten Angebot des Caritasverbands an elf Standorten. Lingen ist einer dieser Standorte.

Das Prinzip bei [U25]: Gleichaltrige – sogenannte Peers – beraten Hilfesuchende bei Lebenskrisen – und zwar anonym und online. War [U25] zunächst als Suizidpräventionsprojekt angedacht, so wurde es auf Anfrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend während der Corona-Krise auf eine allgemeine Krisenberatung ausgeweitet.

Die Probleme, mit denen die jungen Menschen im Alter von 15 bis 26 Jahren an das Team ehrenamtlicher Peers herantreten, sind vielfältig. „Jüngere Menschen haben oft Liebeskummer, Streit zu Hause, leiden unter Mobbing oder Essstörungen, haben auch Suizidgedanken“, erzählt Luisa, die seit 2019 dabei ist. Luisa ist nicht ihr richtiger Name, weil die Namen aller ehrenamtlichen Peer-Beraterinnen anonym bleiben müssen.

Du schaffst das! Es ist zwar hart, aber es gibt einen Weg da raus.

Die 21-jährige Studentin aus Lingen kam durch ein Sozialpraktikum in der elften Klasse dazu, sich freiwillig bei der Caritas zu engagieren. „Mir hat es Spaß gemacht. Der Kontakt zu den Menschen ist schön, und auch wenn man sich nicht sieht, merkt man, dass man helfen kann, vor allem, weil man im selben Alter ist wie die Anfragenden.“ Oft genügen zwei bis drei E-Mail-Kontakte, einfach mal ein Denkanstoß, um den Hilfesuchenden mitzugeben: „Du schaffst das! Es ist zwar hart, aber es gibt einen Weg da raus. Und du bist nicht allein.“ Andere werden über mehrere Jahre begleitet.

Frau vor Plakat zur Online-Suizidprävention
Sozialarbeiterin Christina Jaspers leitet das Beratungsprojekt [U25]. Foto: Christiane Adam

Wichtig sei die Supervision, die einmal im Monat stattfinde, sagt Carolin Cyzykowski. Dann können sich die Peers in festen Kleingruppen austauschen, neue Ideen für die Beratung bekommen oder auch mal Dampf ablassen, wenn etwas belastend war. „Ein Kontakt hat sich mal sehr lange nicht gemeldet. Da habe ich angefangen, nach Suiziden in dem Bundesland, aus dem er kam, zu recherchieren“, erzählt Emilia aus Spelle. Sie habe lernen müssen, sich zu distanzieren, weiß sie heute. Die Anonymität ist dabei von Vorteil. Von den Ratsuchenden wissen die Peers nicht viel mehr als das Alter und das Bundesland, aus dem der- oder diejenige stammt.

Etwa 25 Freiwillige zählt das Lingener Team zurzeit. Fürs Mitmachen wirbt der Caritasverband für den Landkreis Emsland. So hat auch die Lehramtsstudentin Selina aus Osnabrück davon erfahren: In ihrer „Ersti-Tüte“ zu Beginn des Studiums lag ein Flyer, der für die Ausbildung zum Peer warb. In 36 Unterrichtsstunden erlernen die jungen Leute, wie sie Gleichaltrige beraten können. Selina ist gerade eben mit dieser Ausbildung fertig und berät ihren ersten Klienten.

Welche Klienten sie kontaktieren, dürfen sie sich selbst aussuchen. Manche gehen dabei nach dem Alter. Selina, die Lehrerin werden möchte, mag lieber jüngere Menschen beraten. „Ich möchte wissen, wie ich später als Lehrkraft mit den Krisen meiner Schüler umgehen kann“, begründet sie. Mit dem Alter der Ratsuchenden änderten sich auch die Sorgen: „Mit Mitte 20 geht es oftmals um existenzielle Krisen. In dem Alter haben manche schon eine abgeschlossene Ausbildung und Familie, andere stecken noch mitten im Studium.“ Das könne schon zu Sinnkrisen führen, meint Emilia.


Zur Sache

2021 wurde aus [U25] heraus die Initiative [Ausweg] LOS! entwickelt. Dabei geht es in Workshops für Schulen, Firm- oder Jugendgruppen darum, das Thema Suizid zu enttabuisieren. Jugendliche sollen erkennen können, ob bei ihren Freunden oder Schulkameraden eine Krise besteht, die zur Selbsttötung führen könnte.

Diese Workshops bieten die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Caritas mit den freiwilligen Peers an.

Bislang läuft [U25] als Projekt, dessen Finanzierung bis zum Jahresende gesichert ist. Möglicherweise geht es als festes Angebot weiter.

Kontakt und weitere Informationen unter www.u25-emsland.de

Christiane Adam