Reaktion eines Betroffenen zur EVV-Studie
"Unentschuldbares Versagen"
Statt "Leben in Fülle" die "Hölle auf Erden" – die Reaktion eines Betroffenen auf die EVV-Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz seit 1945. Viele persönliche Aussagen von Betroffenen, die in der Studie wiedergegeben sind, seien "einfach nur erschütternd", sagt Dr. Michael Belzer.
Betroffene sexualisierter Gewalt aus dem Bistum Mainz haben Akteneinsicht gefordert. Dr. Michael Belzer, der in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission des Bistums mitarbeitet, hält dies für unabdingbar, um früheres kirchliches Versagen nachvollziehen zu können. Er reagierte damit auf die Veröffentlichung der „EVV-Studie“, die Rechtsanwalt Ulrich Weber und Co-Autor Johannes Baumeister jetzt zum sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz seit 1945 veröffentlicht hatten. Weiterhin fordert er, die Leistungen, die in der katholischen Kirche zur Kompensation „erlittenen Leids“ gezahlt werden, zu erhöhen. Denn was die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen bisher den Betroffenen anbietet, sei „beschämend“.
Statt den Kindern Gottes „Leben in Fülle“ zu eröffnen, sei Menschen in der Kirche Gewalt angetan worden – so sei ihr Leben zur „Hölle auf Erden“ geworden. Durch nichts könne das damit verbundene Leid aus der Welt geschafft werden, stellte Belzer fest. Er hatte persönlich an der Präsentation der Studie teilgenommen, die den Vorgängern des heutigen Mainzer Bischofs Peter Kohlgraf ein verheerendes Zeugnis im Umgang mit Betroffenen ausgestellt hatte.
Betroffene erlebten angesichts der Studienergebnisse einen Schock: Sie erführen, dass es im Bistum Mainz über Jahrzehnte gang und gäbe war, nach der Meldung eines Übergriffs gar keine oder eine völlig unangemessene Antwort zu geben. Das wertet Belzer als „unentschuldbares Versagen“. Nicht das „Wohl der Kirche“ dürfe über alles andere gestellt werden, sondern die Achtung der Würde eines jeden Menschen, wie er in Artikel eins des Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Bischof Peter Kohlgraf habe den richtigen Weg eingeschlagen, betont er. Mit Transparenz und Entscheidungswille sei vieles erreichbar.
„Lebensbegleitung“ und Hilfe für die Betroffenen anzubieten, wie die Studie vorschlägt, sei im Bistum Mainz mittlerweile selbstverständlich. Als schwierigsten Schritt für Betroffenen sieht Belzer das „spirituelle Suchen und Finden“ einer „neuen Heimat im Glauben“. Den Weg zum inneren Frieden müsse jeder und jede Betroffene selbst definieren: „Hier kann das Bistum nur Hilfestellung geben.“
Die Aufarbeitung der sexuellen Gewalt sei ohne Wille zur Reform weder leistbar, noch erfolgreich, hält der Betroffene fest.
Einen Betroffenenbeirat gibt es im Bistum Mainz derzeit nicht. Nach nur einem Jahr war im vergangenen September ein Konstrukt gescheitert, das die Betroffenen aus den Bistümern Mainz, Limburg und Fulda hatte zusammenführen sollen. (nen)
Kontakt: unabhaengig@aufarbeitung-mainz.de
Zum Thema siehe hier: https://www.kirchenzeitung.de/wie-bisch%C3%B6fe-und-auch-pfarrgemeinden-versagt-haben
https://www.kirchenzeitung.de/was-geschieht-ist-ein-schlag-ins-gesicht