Wie feiern Menschen in der Ukraine Weihnachten?

"Unser Gott kann Wunder vollbringen"

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Maksym Ryabukha, Weihbischof der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in Saporischschja, bei einem Gottesdienst zur Weihnachtszeit
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Foto: Pressedienst des Exarchats Donezk der UGKK

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Frohe Botschaft: Im Horror des Krieges ist Maksym Ryabukha das Licht von Weihnachten besonders wichtig.

Wieder müssen die Menschen in der Ukraine Weihnachten im Krieg feiern. Wie machen sie das? Was gibt ihnen Hoffnung? Und wie hilft ihnen der Glaube? Fragen an Maksym Ryabukha, Weihbischof der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in Saporischschja.

Wie feiern Sie und die Menschen in Ihrer Region Weihnachten im Krieg?

Wir sprechen hier über Menschen in dem Teil der Ukraine, in dem schon seit fast zehn Jahren Krieg herrscht …

… seit 2014, seit der Annexion der Krim durch russische Streitkräfte und der Ausrufung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk durch von Moskau unterstützte Separatisten … 

… und trotz des Krieges haben die Menschen dort immer noch ihre Rituale und Traditionen. Und sie haben auch immer noch ihre Hoffnung nicht verloren. An Weihnachten ist die Hoffnung besonders groß. Wissen Sie, unsere Bevölkerung hat eine sehr, sehr reiche religiöse Kultur. Und in der Weihnachtszeit leuchtet das Licht dieser Kultur noch heller als sonst. 

Was heißt das konkret?

In unserer Tradition haben wir vor Weihnachten ein besonderes Fest, an dem wir unsere Dankbarkeit mit Gott betonen: das Fest des heiligen Nikolaus. Der Nikolaus kommt zu unseren Kindern, um sie zu beschenken. Als ich in diesem Jahr am Tag nach diesem Fest von einer mehrtägigen Reise nach Hause, nach Saporischschja gekommen bin, habe ich mit vielen Gläubigen gesprochen. Und alle haben mir erzählt, wie viele Geschenke sie am Nikolaustag bekommen und wie viel Freude sie gehabt haben. Allein bei uns in Saporischschja in der Pfarrei waren mehr als 300 Kinder, die Geschenke vom heiligen Nikolaus erhalten haben. Ich möchte unseren Freunden und Mitbrüdern und Mitschwestern in Deutschland ein riesengroßes Dankeschön ausrichten, denn nur durch ihre Hilfe der Diözesen aus Deutschland konnten wir dieses Fest ermöglichen.

Wie werden die Menschen Weihnachten selbst feiern?

Weihnachten feiert man im Kreis der Familie, und für unsere Bevölkerung ist Familie etwas Heiliges. Alle Eltern hoffen, dass ihre Kinder zu diesem Fest nach Hause zurückkehren. Und die Kinder versuchen zu kommen – egal wo sie sind. Das Haus, in dem sie groß geworden sind, ist für die Menschen ein Ort der Liebe und Hoffnung und eine Quelle der Bestärkung. Durch den Krieg haben viele Familien nun ihre Häuser verloren, das ist traurig und schmerzhaft.

Viele mussten flüchten.

Ja, und zum Glück gibt es Familien, die ihre Eltern auf der Flucht mitgenommen haben. Und auch wenn sie nun nicht mehr in ihrem Haus, sondern irgendwo anders als Binnenflüchtlinge leben: Sie sind zusammen, und das ist das Wichtigste. Es gibt aber auch Familien, die diese Freude leider nicht erleben und deren Eltern in den von Russland besetzten Gebieten leben. 

Das klingt finster.

Ja, aber wir glauben fest daran, dass Jesus Christus an Weihnachten zu uns kommt – egal durch welche Finsternis. Und er bringt Licht. Dieser Glaube gibt uns innere Kraft. Jeder von uns lebt mit dem Traum und auch mit der Hoffnung, dass unser Sieg über das Böse bald kommt. Diese Zeit ist eine Zeit der Prüfungen und der Herausforderungen für uns. Wir müssen besonders aufmerksam sein für die Bedürfnisse unserer Nächsten – nicht nur in unserer Familie, sondern auch für all die Menschen drumherum, die uns gerade besonders brauchen.

Wo gelingt das?

Vor kurzem habe ich eine Frau getroffen, deren Eltern unter der russischen Besatzung leben. Sie hat mir erzählt, dass ein Klassenkamerad von ihr, der in der kleinen Stadt der Eltern lebt, sich um sie kümmert – so liebevoll, als ob es seine eigenen Eltern wären. Beispiele wie dieses zeigen mir, dass unser Gott Wunder vollbringen kann – sogar dort, wo so viel menschliche Bosheit herrscht und wo man denkt, dass gar nichts Gutes hinkommen kann. Auch ich werde versuchen, an Weihnachten Freude zu vielen Menschen zu bringen. Ich werde mit Studenten an die Frontlinie gehen zu den Menschen, die dort leben und kämpfen. Wir werden Weihnachtslieder singen und ein Weihnachtstheaterspiel aufführen. Denn ich als Bischof bin verantwortlich für jeden dieser Menschen.

Haben Sie Angst, wenn Sie direkt an die Front gehen?

Nein, Angst habe ich nicht. Denn der Krieg ist für mich nichts Neues, ich erlebe ihn seit vielen Jahren. Ich bin Salesianer, die Arbeit mit Kindern ist meine Berufung. Für mich sind alle Menschen hier wie Kinder. Und wenn ein Vater an seine Kinder denkt, dann denkt er nur an sie – und nicht an Angst. 

Weihbischof Maksym Ryabukha an der Front mit Soldaten in der Ukraine
Seelischer Beistand: Weihbischof Maksym Ryabukha besucht ukrainische Soldaten an der Frontlinie des Krieges. Foto: privat

Werden die Menschen in Ihrer Region die Weihnachtsgottesdienste wie in der Zeit vor dem Krieg feiern?

An vielen Orten nicht, nein. 35 Kirchen unseres Exarchats befinden sich zurzeit unter russischer Besatzung, und in den besetzten Gebieten sind Gottesdienste verboten und fallen deshalb auch an Weihnachten aus. Das bedeutet: Unsere Gläubigen werden nur bei sich zu Hause beten können. Aber sie werden einander auch eine SMS schreiben mit den Worten „Christus ist geboren“. Und das wird für diese Menschen die heilige Liturgie sein. 

Welche Auswirkungen hat der Krieg im Moment noch auf die Menschen in Ihrer Region?

Viele Menschen haben gelernt, schlafen zu gehen mit dem Gedanken, dass nur Gott uns schützen kann. Und viele Frauen schlafen fast gar nicht mehr. Sie wissen, dass der Feind in der Nacht besonders böse agiert – und sie beten für ihre Männer und Söhne, dass ihre Nacht gut vergeht und ein neuer Tag für sie kommt. 

Und trotz dieser dramatischen Lage bröckelt in Europa die Unterstützung für die Ukraine.

Es ist sehr unangenehm für uns zu hören, dass viele Menschen in anderen Ländern zu viel haben vom Thema Krieg, dass sie nur noch Ruhe und Frieden wollen. Was sollen wir denn sagen, die die ganze Zeit unter diesem Krieg leiden? Was sollen wir davon halten, wenn Menschen fordern, dass wir unsere Waffen niederlegen, uns ergeben und unsere Territorien und die Menschen dort den Russen überlassen sollen? 

Ja, was denn?

Das lässt uns nur noch mehr denken, dass Gott unsere letzte Hoffnung und Hilfe ist. Das Gute ist: Die Menschen in der Ukraine werden nicht müde, einander zu unterstützen. Bei unseren Gläubigen ist die Hilfsbereitschaft enorm groß. Unter uns Priestern rufen wir uns jeden Morgen an und fragen: „Ja, hallo, wie geht es Dir?“ Das russische Regime versucht immer wieder, den Menschen hier ihren Glauben zu nehmen. Denn wenn Du Glaube und Gott wegnimmst, dann nimmst Du ihnen auch die Hoffnung.

Aber das gelingt den Angreifern nicht?

Nein. Ich kann Ihnen wirklich bestätigen: Der Glaube der Menschen bleibt stark, und sehr viele Menschen suchen die Nähe zu Gott. Vor kurzem habe ich in einer kleinen Stadt einen Gottesdienst gefeiert – in einem Zelt, denn es gab keine Kirche. Da haben wir ein bisschen Spaß gemacht und gesagt: „Naja, Jesus ist auch in einem Stall auf die Welt gekommen – und das hat nicht verhindert, dass er den Menschen die Tür zum Himmel geöffnet hat.“ 

Können Sie noch mehr davon erzählen, was der Krieg für den Alltag der Menschen bedeutet?

Ich muss vorsichtig sein, was ich sage. Schon allein, weil sich zwei Priester von uns seit mehr als einem Jahr irgendwo in Russland befinden.

Die Redemptoristen-Patres Ivan Levitskyi und Bohdan Heleta, die im November 2022 von den Russen verschleppt worden sind.

Wir haben überhaupt keine Information über sie. Wir wissen nicht, ob sie noch leben. Wir wissen nicht, welche Torturen sie erleben und wo sie sind. Wir wissen nur: Wenn Du in Russland bist und unserer Kirche angehörst, bedeutet das aus Sicht der Russen, dass Du ein Verbrecher bist – und auch ein Todesurteil bekommen kannst. Was ich über die Folgen des Krieges sagen kann, ist: Ich kenne sehr viele Beispiele von Vergewaltigungen, Folter und Missbräuchen aller Art durch russische Soldaten. All das ist Alltag für die Menschen im von Russland besetzten Territorium. Und jeder, der es wagt, eine Meinung zu äußern, die sich von der Meinung der russischen Besatzer unterscheidet, weiß: Es kann ihn sein Leben kosten. Es gibt zahlreiche Menschen, die von den Russen erst gefoltert und danach erschossen werden. Wir haben die Massaker in Butscha viel zu schnell vergessen …

… die russische Armee hat dort massenhaft Kriegsverbrechen begangen.

Und es gibt viele Butschas. Es gibt diese Verbrechen wirklich in jedem Ort, wo die russischen Truppen stationiert sind. 

Was gibt Ihnen in dieser schrecklichen Lage außer dem Glauben Hoffnung? 

Hoffnung gibt mir die Liebe der Menschen für unser Land. Der Mut unserer ukrainischen Armee. Und die Kraft, die wir auch aus dem Wissen ziehen, welche Folgen die russische Besatzung bringt. Hoffnung gibt auch die Liebe am Leben – und zwar an einem Leben in Würde und mit Freude, in dem jeder Mensch glücklich sein kann. Aber all das hat nur dann wirklich Kraft, wenn Gott bei uns ist. Ich weiß, dass er mit uns ist – und wenn er mit uns ist, wieso sollen wir dann Angst haben?

Andreas Lesch